Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Humanitäre Hilfe für Gaza: Kugeln statt Mehl
> Zivile Hilfsorganisationen können in Gaza kaum noch agieren. Aber
> Lieferungen durch Militär per Luft sind ineffizient und erzeugen
> problematische Bilder.
Bild: Menschen drängen sich um Pakete mit humanitärer Hilfe, die über dem n�…
Schon vor dem [1][Angriff auf das Auto der Hilfsorganisation World Central
Kitchen] mussten Hilfsorganisationen ihre Hilfe in weiten Teilen Gazas
einstellen, weil sie die Sicherheit ihrer Mitarbeitenden nicht garantieren
können. Hier wird eine Realität geschaffen, in der zivile Organisationen
zurücktreten müssen und nur noch militarisierte Hilfe, in Form von Luft-
und Seebrücken, möglich erscheint.
Lufthilfen sind ineffektiv, teuer und gefährlich (Anfang März sind fünf
Menschen in Gaza durch vom Himmel fallende Güter erschlagen worden). Sie
sind dehumanisierend und dienen vor allem den Interessen der vermeintlich
Helfenden: ein Hollywood-Spektakel mit der dazugehörigen
Machtdemonstration.
Mit der insuffizienten Luftbrücke und der trägen Seebrücke wird nun die
Hilfe vom Militär umgesetzt, und damit werden die unabhängigen Hilfssysteme
ausgeschaltet, die nur über Land kommen können – und es in der Hand hätten,
die bestehende Hungersnot und kommende Hungerkatastrophe zumindest in
Teilen zu verhindern. Die unabhängige Hilfe darf nicht zugunsten einer
militärisch eingebetteten Hilfe abgeschafft werden.
Völkerrechtlich ist die Besatzungsmacht für die Versorgung der Bevölkerung
in den besetzten Gebieten verantwortlich. Allerdings werden in Gaza die
Strukturen, die humanitäre Hilfe leisten sollen und könnten, angegriffen
und zerstört, oder ihre Mittel gekürzt. Weiterhin gelangen viel zu wenige
Hilfslieferungen in den Gazastreifen, obwohl Israel vom Internationalen
Gerichtshof rechtsverbindlich angewiesen wurde, die Bereitstellung
humanitärer Hilfe vollumfänglich zu ermöglichen. Die Durchfahrt von
Hilfskonvois wird dennoch seit Monaten massiv behindert.
Vielleicht hat humanitäre Hilfe per Flugzeug in Deutschland durch die
Berliner Luftbrücke im Kalten Krieg eine positive Konnotation, vielleicht
wurde aber auch nur die Erinnerung an deren Wirklichkeit verdrängt. In
anderen Teilen der Welt erinnert man sich jedenfalls noch an die jüngere
Geschichte und George W. Bushs Worte von 2001: „Wenn wir militärische Ziele
angreifen, werfen wir auch Lebensmittel, Medikamente und Vorräte für die
hungernden und leidenden Männer, Frauen und Kinder in Afghanistan ab, damit
die Menschen die Großzügigkeit Amerikas und seiner Verbündeten sehen“.
Und was, wenn die unkontrolliert abgeworfenen Güter nun in die falschen
Hände gelangen oder nur den Schnellsten und Stärksten und nicht den
Bedürftigsten nutzen? Die Selbstrechtfertigung ist schon im Akt
eingebettet: „Wir haben die Pakete nur abgeworfen.“ Bushs Worte würden sich
hier gut anschließen: Und wir wollten, dass „die Menschen [unsere]
Großzügigkeit sehen“.
## Minimale Effizienz, maximales Spektakel
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagt in Bezug auf die
Lufthilfe: „Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, dass sie Zugang zu
Nahrung und Medikamenten bekommen.“ Doch die [2][mit enormem Aufwand
betriebenen Abwürfe] entsprechen jeweils nicht mal einer LKW-Ladung, dabei
leiden schon über 90 Prozent der in Gaza lebenden 2,4 Millionen Menschen an
Hunger. Allein sprachlich überzeugt Pistorius nicht: Abwerfen hat nichts
mit „Zugang schaffen“ zu tun. Einen Zugang zu schaffen heißt, die
Lebensgrundlage der Menschen zu sichern und einen Waffenstillstand zu
fordern. Und nicht, durch dehumanisierende Hilfe die Zerstörung von
Lebensgrundlagen zu legitimieren.
Deutschland ist inzwischen der zweitgrößte Waffenlieferant für Israel, die
Hilfe dagegen ist geprägt von minimaler Effizienz und maximalem Spektakel.
Ein Spektakel, um von der politischen Mitverantwortung für die
unerträgliche humanitäre Lage abzulenken. Allen voran die USA und
Deutschland bemühen sich darum, die Konfrontation mit Israel zu vermeiden,
und ermöglichen so die Fortsetzung des Krieges.
Deshalb Lufthilfe, deshalb ein Seehafen. Aber bloß nicht: Den großen
politischen Einfluss auf Israel nutzen, einen Waffenstillstand zuzulassen,
das Völkerrecht zu achten und den einzig sinnvollen Zugang für Hilfe – über
Land – zu öffnen. Auch für die Befreiung der Geiseln ist ein
Waffenstillstand und die Einhaltung des Völkerrechts erforderlich.
Die [3][Menschen in Gaza] sind am Ende ihrer Kräfte, natürlich rennen viele
zu jedem noch so kleinen Anzeichen von Hilfe. Zuletzt kamen ihnen aber
anstelle von Mehl Kugeln entgegen. Allein die Tatsache, dass sie um das
Essen rennen müssen, bricht mit den humanitären Prinzipien.
Neben Grundprinzipien wie Menschlichkeit und Unparteilichkeit ist einer der
wichtigsten Ansätze in der humanitären Hilfe „Do-No-Harm“. Kurz gesagt
bedeutet dies, dass Hilfe keinen Schaden anrichten darf. Aber was die
Luftbrücke und andere nicht koordinierte Hilfsleistungen perpetuieren, ist
eine weitere Dehumanisierung der Menschen in Gaza: das Hollywood-Bild der
braunen, hungrigen, unzivilisierten Masse. Ein „nacktes Leben“, wie der
italienische Philosoph Giorgio Agamben es bezeichnen würde. Dieses
rechtlose, weil außerhalb des Rechts stehende, nackte Leben ist quälbares
und tötbares Leben unter dem Blick des Souveräns.
Warum eine feministische Außenpolitik daran keine Kritik formuliert, bleibt
fraglich. Sind es doch gerade Frauen und Mädchen, die am drastischsten
unter unkoordinierter Hilfe und den Folgen des Krieges leiden. Wo ist hier
eine gendersensible humanitäre Hilfe? Von einer feministischen Kritik ganz
zu schweigen, die die Machtverhältnisse als Ganzes in Betracht zieht und
sich konsequent für Frieden und Würde für alle einsetzt.
Solange das [4][humanitäre Engagement der Bundesrepublik] und anderer
Staaten nicht mit entsprechendem Druck auf die israelische Regierung
einhergeht, sich an das Völkerrecht und die Menschenrechte zu halten,
humanitäre Lieferungen über Land umfassend zuzulassen und seine massiven
Angriffe auf die Zivilbevölkerung einzustellen, bleibt diese Hilfe Teil der
Kriegsführung.
4 Apr 2024
## LINKS
[1] /Israelische-Angriffe-in-Gaza/!5999067
[2] /Bundeswehr-Hilfsgueter-fuer-Gaza/!5998205
[3] /Evakuierung-aus-Gaza-Stadt/!5999784
[4] /Finanzierung-der-UNRWA-nach-Vorwuerfen/!5996443
## AUTOREN
Radwa Khaled-Ibrahim
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Gaza
Hunger
Humanitäre Hilfe
Luftbrücke
Deutsche Welthungerhilfe
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
Postkolonialismus
Israel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Index der Welthungerhilfe für 2024: Kampf gegen Hunger stockt
Immer noch haben 733 Millionen Menschen zu wenig zu essen, berichtet die
Welthungerhilfe. Sie fordert zum Beispiel mehr Einfluss für Frauen.
Deutsche Haltung zum Krieg in Gaza: Schärfere Töne gegen Israel
Nach dem Angriff auf einen Hilfskonvoi im Gazastreifen fordern mehrere
Oppositionspolitiker:innen, Waffenlieferungen nach Israel zu
stoppen.
Israel nutzt KI-System Lavender in Gaza: 20 Sekunden für Leben oder Tod
Die israelische Armee setzt für die Suche nach Hamas-Kämpfern auf eine KI.
Sie agiert fast autonom, nimmt zivile Opfer in Kauf und verdächtigt
Zehntausende.
Israelischer Angriff auf Hilfskonvoi: „Hätte nicht passieren dürfen“
Israel übernimmt die Verantwortung für den Tod von humanitären Helfern in
Gaza. Mehrere Organisationen kündigen einen Stopp ihrer Hilfen an.
Israelische Angriffe in Gaza: Pfleger und Helfer unter den Opfern
Nach Luftschlägen auf humanitäre Helfer in Gaza stellen Hilfs-NGOs ihre
Arbeit ein. Im Al-Schifa-Krankenhaus bietet sich ein Bild der Zerstörung.
Postkolonialismus und Shoah-Forschung: Wege aus der Dichotomie
Seit dem 7. Oktober tobt ein Pingpong der Vorwürfe: „Ihr seid Antisemiten“
versus „Ihr seid Rassisten“. Ein Plädoyer für mehr Differenzierung.
Evakuierung aus Gaza-Stadt: Unsere Reise ins Elend
Evakuieren oder nicht? Unsere Autorin in Gaza erinnert sich an die ersten
Tage des Kriegs. Bis heute konnte sie nicht in ihr Zuhause zurückkehren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.