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# taz.de -- Theaterstück über Maskulinisten: Artenschutz in eigener Sache
> Im Schauspiel Köln rufen „Die letzten Männer des Westens“ zum Feldzug
> gegen die liberale Gesellschaft auf. Der Abend lehrt einen das
> Schaudern.
Bild: Regisseur Raffael Sanchez lässt in „Die letzten Männer des Westens“…
„Soja-Boys“, die kein Beef wollen, und verweichlichtes „Gender-Gesocks“?
Nicht mit uns! – meinen einige Typen, die sich zur Rettung der altgedienten
Männlichkeit berufen fühlen. Schließlich muss man unter der Diktatur des
Feminismus regelrechten Artenschutz in eigener Sache betreiben,
Ausrufezeichen!
Leicht erklären lassen sich die wissenschaftlich glasklaren Zusammenhänge
mit einem Overheadprojektor: Eine Folie dokumentiert, dass Frauen heute in
Selbstverteidigungskursen lernen, ihrem Gegenüber direkt zwischen die Beine
zu treten, was natürlich einer „Genitalverstümmelung“ gleichkäme. Es ist
nur eine von vielen Szenen, die von [1][der perfiden Verschiebung gängiger
Codes durch die neue Rechte] zeugt. Ein Begriff, der ursprünglich eine
spezifische Gewalt an Frauen beschreibt, wird nunmehr für einen
vermeintlichen Feldzug gegen Männer missbraucht.
Nachlesen kann man all dieses verschwörungstheoretische Geschwurbel in
Tobias Ginsburgs gefeierter Investigativreportage „Die letzten Männer des
Westens“, wofür sich der Autor über ein Jahr hinweg in unterschiedlichste
neonationalistische Kreise, von spinnerten Burschenschaften bis zu
Anhängern des Trumpismus in den USA, begeben hat.
Leibhaftig gewahr wird man dieser Melange aus Gekränkten,
Umsturzfabulierern und hartgesottenen Ideologen in der Uraufführung des
Werks am Schauspiel Köln. Regisseur Rafael Sanchez führt uns mit Witz und
Zynismus durch deren Welt und zeigt, wie das einstmals in abgedrehten
Zirkeln entstandene Gedankengut längst Regierungskreise und weitere Teile
der Gesellschaft infiltriert hat.
Dazu läuft mal eine bräsige Bierzeltmusik, mal eine den ganzen Staub dieses
Fanatismus versinnbildlichende Barockarie. Die ironische Botschaft: alles
harmlos, alles nur besorgtes Bemühen um die Erlösung der Gemeinschaft von
der Dekadenz.
Inszenierung im Leerlauf
Zugegeben, nachdem wir auf verschiedene [2][„Maskulinisten“-Bünde], auf
misogyne Cyber-Nerds, völkisch gesinnte Kanzleien und nicht zuletzt Rapper
gestoßen sind, die sich via Kamera außerhalb des Gebäudes von der elitären
und selbstredend linksgrün-versifften Kulturbourgeoisie im Inneren des
Theaters abzugrenzen versuchen, gerät die Inszenierung in einen Leerlauf.
Wir haben es rasch mit einer bloßen Addition von Karikaturen zu tun. Als
Recherche mag Ginsburgs Text brillieren, als Theaterstück entwickelt er
dagegen keinen Drive, nicht zuletzt, weil es Sanchez sichtlich an einer
Steigerungsdramaturgie mangelt. Auch die Gegenwart des Autors (stark
gespielt von Nicola Gründel) als kritische Reflexionsfigur inmitten des
monochromen Faschistenblocks verhilft dem Abend kaum zur nötigen Dynamik.
Überzeugend mutet derweil die vieldeutige Kulisse (Eva-Maria Bauer) an.
Denn wir befinden uns in einem deutschen Hain. Einige Stämme ragen in die
Höhe, andere werden an diesem Abend von starken, männlichen! Holzfällern
mit Kreissäge bearbeitet. Auf den ersten Blick fällt einem die Rede vom
Wald ein, den man – im Sinne der Verblendung der Protagonisten – vor lauter
Bäumen nicht mehr sieht.
Doch dem Bild wohnt noch eine tiefere Dimension inne. Zunächst wirft es die
Frage nach der scheinbaren „Natur“ des Geschlechts auf, die heutzutage ja
vornehmlich noch von Rechten gestellt wird, darüber hinaus dürfte die Bühne
auf die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis anspielen. Sie waren es, die,
ausgehend von der Schlacht im Teutoburger Wald, eine regelrechte
Mythisierung und Politisierung der Landschaft betrieben.
Indem Sanchez diese Bildgeschichte aufruft (und seine Figuren am Schluss
sogar auf der Leinwand im braunen Sumpf untergehen lässt), gelingt ihm mit
seinem Werk auch der historische Brückenschlag. Hinter dem gefährlichen
Populismus unserer Tage wird so der geistige Nährboden sichtbar. Ein
wichtiges Stück also – auch wenn es letztlich nur begrenzt für das Theater
taugt.
25 Mar 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Björn Hayer
## TAGS
Sexismus
Männlichkeit
Toxische Männlichkeit
Neue Rechte
Theater
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Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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