| # taz.de -- Knausgård als Theaterinszenierung: Mit Kochtopf und Selbstzweifel | |
| > Regisseurin Yana Ross hat „Sterben Lieben Kämpfen“ nach Karl Ove | |
| > Knausgård am Berliner Ensemble inszeniert. Das Stück lässt einen ratlos | |
| > zurück. | |
| Bild: So macht Theater keinen Spaß: „Sterben Lieben Kämpfen“ am Berliner … | |
| Im letzten Band seiner autobiografischen Romanreihe thematisierte [1][Karl | |
| Ove Knausgård] die von den Büchern heraufbeschworenen innerfamiliären | |
| Konflikte. Reichlich kokett hieß es da über seine Kinder: „Ich werde mir | |
| selbst nie vergeben, was ich ihnen angetan habe, aber ich habe es getan, | |
| ich muss damit leben.“ | |
| Dass er vielleicht auch nicht hätte tun können, was er tat, spielt in | |
| diesem Denken und Schreiben ersichtlich keine Rolle und kann wohl auch | |
| keine spielen, denn dann wäre natürlich auch kein Buch, keine Kunst da, und | |
| folglich würde auch nicht der Erzähler Knausgård existieren, der sich hier | |
| Seite für Seite selbst erschafft. | |
| Diese Haltung erinnert an Menschen, die ihre Taten mit einem Bekenntnis zur | |
| eigenen Authentizität erläutern, die „Ich bin halt so“ sagen, oder sich | |
| Frank Sinatras „I did it my way“ als Begleitmusik zur eigenen Beerdigung | |
| wünschen. Es ist diese Fixierung auf das Eigene, mit der die Adaption am | |
| [2][Berliner Ensemble] dem Kern des Stoffs durchaus nahekommt. | |
| ## Die Begründung fehlt | |
| Denn auch Yana Ross’ Inszenierung liefert keine Begründung dafür, warum | |
| nun, da der Hype doch schon ein paar Jahre vorbei ist, unbedingt eine | |
| Knausgård-Adaption fürs Theater herauskommen muss. Sie erklärt auch nicht | |
| aus sich heraus, warum in ihr zu welchem Zeitpunkt was passiert. Oder warum | |
| es überhaupt die Mühe lohnen sollte, einen norwegischen Schmerzensmann und | |
| Literaturstar auf die Maße eines leidlich sympathischen Trottels | |
| zusammenzustutzen. | |
| Denn genau das passiert hier. Und zwar einfach so. Hauptdarsteller Gabriel | |
| Schneider taumelt über die mit mehreren Podesten ausgelegte Bühne, ringt | |
| mit dem Kinderwagen, dem Kochtopf, den Selbstzweifeln, lässt sich von | |
| seinem Vater (Paul Herwig) einschüchtern und von seiner Gattin (Kathleen | |
| Morgeneyer) anschreien. Damit ist der größte Teil der Handlung des Abends | |
| „Sterben Lieben Kämpfen“ zusammengefasst, der Teile von dreien der fünf | |
| Romane enthält. | |
| Zu Beginn betritt Cynthia Micas im schwarzen Frack als Conférencier die | |
| Bühne, heißt das Publikum willkommen, zitiert eine Passage aus „Mein | |
| Kampf“, in der Hitler Spekulationen über den Einfluss von Räumen auf die | |
| Wirkung von Theaterstücken anstellte, und verabschiedet sich wieder mit der | |
| Frage, was das mit Knausgård zu tun habe. Durchaus gerne hätte man es | |
| erfahren, verlässt das Haus aber später so ahnungslos wie zuvor, behält | |
| diese Inszenierung ihre Geheimnisse doch grundsätzlich für sich. | |
| ## Schlicht unangenehm | |
| Etwa auch das, warum es notwendig ist, Paul Celans „Todesfuge“ in voller | |
| Länge vorzutragen. Recht unvermittelt lesen Micas und Schneider sie vor, in | |
| einem Ton, den man vielleicht als eindringlich bezeichnen könnte, wenn die | |
| Szene nicht schlicht unangenehm wäre. Und zwar, weil hier keinerlei Gespür | |
| oder überhaupt Interesse an der literarischen historischen, politischen und | |
| moralischen Bedeutung dieses Gedichts erkennbar wird. | |
| Einer der ganz wenigen Texte der [3][deutschen Literatur] der zweiten | |
| Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, dem man zweifellos kanonischen Wert | |
| beimessen muss, wird hier einfach hergesagt und hergezeigt für – ja, für | |
| was überhaupt? Für den Effekt? Für den Sound? Als Holocaust-Marker? Die | |
| Motivation bleibt einmal mehr völlig unklar. | |
| Logisch, es geht in „Kämpfen“, dem letzten Band der Reihe, auch um das | |
| sogenannte Dritte Reich, aber – mit Verlaub – Knausgårds seltsame | |
| Engführung des eigenen Werks mit dem Werdegang Hitlers ergibt in der | |
| Wiederholung auf der Bühne kein bisschen mehr Sinn als im Buch. | |
| Da klagt Gabriel Schneider in einer Szene als junger, mittelloser Adolf | |
| sein Leid und scharwenzelt zwischen den anderen Spielern umher, die in | |
| feinem Zwirn zusammenstehen und ihre Sektgläser auf den Boden leeren. Da | |
| singen sie unvermittelt das britische Soldatenlied „Hitler has only got one | |
| ball!“ | |
| Da ist dann nach reichlichen zweieinhalb Stunden recht unvermittelt | |
| Schluss. Ein anstrengender, ein unbefriedigender Theaterabend. | |
| 4 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Wolf | |
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| Rainald Goetz | |
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