| # taz.de -- Die Wahrheit: Rüffel vom Rechnungshof | |
| > Die gänzlich wahre Moritat von einem, der auszog, um Zahlen über Zahlen | |
| > zu fressen, und daran scheiterte, dass es keine Ecken zum Anbeißen gab. | |
| Bild: Rüffel auf der Suche nach falsch geplanter Brücke | |
| Von Natur aus sind Rüffel gar nicht gemein, sondern mitfühlend und | |
| freundlich. Zu ihrem Unglück sind sie aber auch immer hungrig, weswegen | |
| Rüffel oft von Rechnungshöfen in Ministerien, Behörden und Staatsbetriebe | |
| geschickt werden. Sie sollen dort große Zahlenmengen fressen. | |
| So war es auch bei unserem Rüffel. Und weil unser Rüffel ganz besonders | |
| hungrig war und selbst die enormsten Zahlen keine große Nummer für ihn | |
| darstellten, war er nicht irgendein Rüffel, sondern der Rüffel vom | |
| Rechnungshof. Nur sahen ihn die Menschen dort nicht besonders gern und raus | |
| durfte er nur, wenn es etwas zu rüffeln gab. Doch draußen gefiel es Rüffel | |
| noch weniger. Rüffel sind soziale Wesen, aber überall, wo er hinkam, | |
| begegneten ihm die Menschen abweisend. | |
| Als er wieder einmal unvernichteter Dinge nach Hause kam, wartete schon | |
| sein Chef auf ihn. „Rüffel“, sagte der, „langsam musst du mal wieder | |
| Erfolge verspeisen, der Rubel muss rollen, Geld wächst nicht auf Bäumen, es | |
| wird nur aus ihnen gemacht. Kurz: Unsere Rüffel müssen Leistung bringen!“ | |
| Sonst, so der Chef, werde man sich einen neuen Rüffel suchen und ihn, den | |
| alten, zu einer dieser Brücken ins Nichts oder zu einer überteuerten | |
| Bushaltestelle schicken. Oder auf einen unbeliebten Spielplatz mit ganz | |
| komischen Geräten, wo es dann kaum etwas zu fressen gibt und nur ab und an | |
| eine Satiresendung auf der Suche nach der größten Verschwendungsfalle zu | |
| Besuch kommt. | |
| Also zog Rüffel am nächsten Tag voller Einsparpotenzial los. Zuerst ging er | |
| zur Deutschen Bahn, hier hatten seine Vorgänger noch immer die eine oder | |
| andere Leckerei gefunden. Die Bahn wollte ihm zwar gern helfen, konnte ihm | |
| jedoch keine großen Zahlen zum Fressen geben. „Die Zahlen sollten | |
| eigentlich längst da sein“, sagte die Bahn und fuhrt fort: „Sind sie aber | |
| leider nicht.“ Und auf dem Rückweg musste Rüffel einsehen, dass die Bahn | |
| wirklich keine Zahlen zu entbehren hatte, denn selbst der ausgefallene Zug | |
| hatte noch Verspätung. | |
| Am nächsten Tag versuchte er es bei einer anderen aussichtsreichen | |
| Futterquelle: den Krankenkassen. Hier ließ man ihn erst sehr lange warten | |
| und schickte ihn dann voller Bedauern wieder weg. „Unseren Zahlen geht es | |
| nämlich gar nicht gut, sie sind ganz blass, ja kaum zu erkennen, willst du | |
| die etwa fressen?“, fragten die Krankenkassen. Wollte Rüffel natürlich | |
| nicht. Er könne aber ruhig später, noch lieber viel später, versuchen, | |
| einen Termin zu bekommen, rieten ihm die Krankenkassen. Und auf dem Rückweg | |
| musste Rüffel einsehen, dass die Krankenkassen wirklich alle noch halbwegs | |
| gesunden Zahlen brauchten, denn die Leute schnieften und röchelten, als | |
| hinge ihr Leben davon ab. | |
| Jetzt, dachte sich Rüffel, probiere ich mal was Neues und gehe zu einer | |
| Digital-Agentur nach Berlin! Hier war man sehr nett zu ihm, allerdings | |
| konnte Rüffel nur Einsen und Nullen finden, aber keine einzige große Zahl, | |
| nicht mal hinter dem Designerfahrrad an der Wand. Und das ging scheinbar | |
| nicht nur ihm so. „Kannst du uns nicht beim Suchen helfen?“, fragte die | |
| Digital-Agentur, „du gehst doch bestimmt auch den ganzen Tag ins Internet.“ | |
| Aber Rüffel konnte große Zahlen leider nur fressen, nicht ausspucken. | |
| Wieder kehrte Rüffel niedergeschlagen heim. Um seinem Chef nicht gleich | |
| unter die Augen treten zu müssen, nahm er allerdings einen anderen Weg als | |
| sonst. Da kam er durch ein Viertel, in dem er noch nie gewesen war. Große | |
| Häuser standen dort in großen Gärten hinter großen Zäunen. Bei solchen | |
| Häusern, dachte sich Rüffel, gibt es sicher ganz besonders große Zahlen. | |
| Und als er die Anwohner freundlich nach den großen Zahlen fragte, schlugen | |
| die ihm ihre großen Türen vor der Nase zu, so überflüssig fanden sie es zu | |
| erwähnen, dass es hier große Zahlen gäbe. | |
| Glücklich ging Rüffel nun nach Hause. Im Rechnungshof berichtete er seinem | |
| Chef von seiner Entdeckung. Der sah ihn mit traurigem Augen an. Er wisse | |
| selbstverständlich von den großen Zahlen in den großen Häusern. Schon oft | |
| hatten Rüffel sich dort mal so richtig sattfressen wollen, doch die Zahlen | |
| seien derart groß und gewichtig, dass kein Rüffel dort je eine Ecke zum | |
| Anbeißen gefunden habe. Und dagegen könne auch er als Chef nichts machen. | |
| So zieht der Rüffel vom Rechnungshof bis heute hungrig durch Behörden und | |
| Ministerien, durch Verbände und Vereine. Die großen Häuser in den großen | |
| Gärten – die aber hat er nie mehr vergessen. | |
| 12 Mar 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Ernst Jordan | |
| ## TAGS | |
| Rechnungshof | |
| Verschwendung | |
| Steuern | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Pandemie | |
| Tierschutz | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Norddeutschland | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Der Hosentaschler | |
| Ein kleines Zauberding aus Kindheit und Jugend, wo es oft Magisches | |
| vollbracht hat, kann auch im ausgewachsenen Erwachsenenalter interessant | |
| sein … | |
| Die Wahrheit: Hier urlauben Sie gesund | |
| Traum oder Wirklichkeit? Eine Stippvisite in Impflingen in der Pfalz | |
| katapultiert einen auf bizarre Weise zurück in die Pandemie. Film ab … | |
| Die Wahrheit: Ente gut, Koks gut | |
| In Berlin mischt ein findiger Unternehmer mit seinem Ententaxi gleichzeitig | |
| die Tierschutz- und die Drogenbranche auf. | |
| Die Wahrheit: Im Rausch der Doppelmoral | |
| Die Hamburger Kneipe Bierkiste verbietet jeden Cannabis-Genuss – da ist | |
| sich die alteingesessene Trinkbesatzung einig, dass das Saufen genügen | |
| muss. | |
| Die Wahrheit: Jeder Maus ihr Päckchen | |
| Zwischen Hamburg und Göttingen macht sich ein pendelnder Nager so seine | |
| Gedanken über die deutsche Provinz. | |
| Die Wahrheit: Recherche im Rotbarschmilieu | |
| Warum verändert sich der Preis für das Hummerbrötchen an der | |
| Lieblingsfischbrötchenbude in Hamburg andauernd? Handelt es sich um eine | |
| Verschwörung? | |
| Die Wahrheit: Dem Hustinetten-Bär eins husten | |
| Wer mit wachen Augen und offenen Ohren sich in der winterkalten | |
| Öffentlichkeit bewegt, der weiß: es gibt 100 Wörter für 100 Hustenarten. |