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# taz.de -- Berlinale Dokufilm „Il cassetto segreto“: Die sprechende Biblio…
> Mit ihrem Dokumentarfilm archiviert Costanza Quatriglio für sich das
> riesige Archiv ihres Vaters, des Journalisten Giuseppe Quatriglio.
Bild: Giuseppe Quatriglio in Berlin, 1963
Die erste Erinnerung ist der Ton. Noch kein Wort, nur Klang: Das Baby will
nicht aufhören zu weinen, der Vater pfeift eine Melodie, um es zu
beruhigen. Die Intimität dieser neuen Beziehung teilt die Regisseurin und
Tochter Costanza Quatriglio am Anfang ihrer dokumentarischen Reise in die
Vergangenheit ihres Vaters, des sizilianischen Journalisten und Autors
Giuseppe Quatriglio, mittels der Aufnahme einer analogen Audiokassette, auf
der man ihre Babystimme hört. „Wir sind so egozentrisch, dass wir denken,
unsere Geburt sei der Anfang von allem“, sagt Costanza aus dem Off, als
hätte es das Leben der Eltern vor unserer Ankunft nicht gegeben.
Um genau auch diese Phase des Lebens ihres Vaters festzuhalten, hat sie
eine schwierige Aufgabe auf sich genommen: die scheinbar endlose Bibliothek
von Giuseppe Quatriglio aus seinen Arbeitszimmern in die „Biblioteca
Centrale“ der Region Sizilien in Palermo umziehen zu lassen, um sie
öffentlich zugänglich zu machen. 1944 bekam der 22-jährige Quatriglio den
ersten Presseausweis. Er schrieb sein Leben lang, bis er 2017 mit 94 starb.
„Es darf kein Tag vergehen, ohne dass ich mindestens eine Zeile geschrieben
habe“, steht in einem Heft, das die Tochter findet. Giuseppe Quatriglio hat
die Form des Archivs gewählt, um die Welt und sein Leben zu ordnen. Er hat
alles aufbewahrt, sogar den vergilbten Zettel mit der Zimmernummer des
Hotels Savoy in Berlin, wo er sich 1946 aufhielt, als hätte er geahnt, dass
beinah alle Teile des Archivs – Bücher, Artikel, Briefe, Tonaufnahmen,
Fotos, Negative, Filmmaterial, Zeitungen, Skulpturen, Bilder – irgendwann
in den vorsichtigen Händen der Archivare landen würden.
Was Costanza aber schwerfällt, ist der damit verbundene obligatorische Akt
des Loslassens, und darin liegt auch eine Schwäche des Films. Jede Ecke des
Archivs wird von mehreren Perspektiven fotografiert, man bekommt langsam
das Gefühl, das Haus immer besser zu kennen, bis man etwas überwältigt ist.
Hat eine Tochter überhaupt das Recht, die geheimen Schubladen ihres Vaters
zu öffnen, fragt sie sich. Welche Bücher behalten? Welche Bilder? Welche
Briefe?
## Der Fotoenthusiast Quatriglio und seine Reisen
Ihr Film wird also selbst zum Eintrag eines neuen Archivs: des Archivs
Costanza Quatriglios. Was gefilmt wird, bleibt bei ihr, ist nicht ganz weg.
Aufgebaut hat sie ihren Dokumentarfilm tatsächlich wie einen antiken
Folianten, aufgeteilt in fünf rückwärts erzählte Kapitel, plus Epilog und
Prolog.
Zwischen den spontanen Aufnahmen mit Handkamera, in denen die Tochter sich
mit dem neunzigjährigen Vater unterhält und durch das „Archiv-Haus“ auf
Entdeckungsreise geht, und den jüngeren Aufnahmen der emsigen Arbeit der
Archivare im Haus nach dem Tod Quatriglios, wo das Einstürzen eines Regals
zum dramatischen Höhepunkt wird, gibt es großartiges Bild- und Filmmaterial
aus dem immensen Fundus, den der Fotoenthusiast Quatriglio auf seinen
vielen Reisen aufgenommen hat. Von winterlichen Sechziger-Jahre-Bildern des
geteilten Berlins, bis zu Filmsets von Luchino Visconti oder
Trümmerlandschaften nach dem verheerenden Erdbeben im sizilianischen Belice
1968, wo Quatriglio Liebesbriefe zweier Verlobter findet und sich fragt, ob
sie noch leben.
Im Footage trifft die „große“ Geschichte der Nachkriegszeit auf die
„kleine“ Geschichte der Quatriglios, und nicht nur des Paterfamilias:
Costanzas Mutter, Adele, wurde Rechtsanwältin, in einer Zeit, in der es für
Frauen kaum möglich war, nicht in der Kanzlei des Vaters oder Ehemannes die
Karriere zu starten. Dieses lebhafte Filmmaterial trägt den Film und macht,
auch dank der verschiedenen Filmformate, die Zeit spürbar. Wie es sich in
einem umfangreichen Archiv gehört.
22 Feb 2024
## AUTOREN
Sara Piazza
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
Fotografie
Italien
Journalismus
Schwerpunkt Berlinale
Film
Italien
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