# taz.de -- Bushido-Prozess: Die schlechte Gute-Nacht-Geschichte | |
> Im Bushido-Prozess wurde sein Ex-Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker in | |
> fast allen Punkten freigesprochen. Der Fall sagt viel über Projektionen | |
> aus. | |
Bild: „Endlich hat die Gerechtigkeit gesiegt!“, rief Arafat Abou-Chaker nac… | |
Das gute Rotkäppchen gegen den bösen Wolf, die lieben Kinder gegen die | |
mörderische Hexe. In Deutschland liebt man Märchen. Vor allem dann, wenn | |
sie die eigenen Moralvorstellungen widerspiegeln. Wer sich die Fingernägel | |
nicht schneiden will oder Rapper erpresst, stirbt einen grauenvollen Tod. | |
Wer brav seine Großmutter besucht oder sich als gut integrierter Musiker | |
um die Familie kümmert, lebt lang und glücklich. Und weil die ollen | |
Kamellen der Brüder Grimm irgendwann auserzählt sind, muss neuer Stoff her. | |
Was klingt da vielversprechender als Bushi, [1][der ehemalige „Rüpelrapper“ | |
und mittlerweile geläuterte Vater von sieben Kindern], der sich mit der | |
ehrenwerten Gilde der Polizei und der Staatsanwaltschaft zusammenschließt, | |
um gegen das ultimativ Böse, den „Clanboss“ Ari und seine Schergen, in den | |
Kampf, also vor Gericht zu ziehen? Eben. | |
Das Problem an dieser Geschichten ist nur: Am Ende war doch alles ganz | |
anders. „Gut“ und „böse“ transzendierten. Denn Märchen sind Märchen,… | |
Gerichtsprozesse sind Gerichtsprozesse. Und weil das so ist, rief Arafat | |
Abou-Chaker am Montag – am Ende des letzten Verhandlungstags im knapp | |
dreieinhalb Jahre andauernden Prozess am Amtsgericht Berlin gegen ihn und | |
drei seiner Brüder –, nachdem er aus dem Gerichtsgebäude trat: „Endlich h… | |
die Gerechtigkeit gesiegt!“ | |
## Zu geil auf die obergeile Geschichte | |
Was war passiert? | |
Der in bestimmten Kreisen eben als „Clanboss“ verschriene Abou-Chaker | |
soll sich einiges zuschulden kommen lassen haben. Behaupteten zumindest der | |
Nebenkläger und Kronzeuge, Rapper Bushido, und die Berliner | |
Staatsanwaltschaft. | |
Die Anklagepunkte lauteten: schwere räuberische Erpressung, | |
Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung und | |
Untreue. Ein dickes Ding. | |
Arafat Abou-Chaker und seine Brüder sollen Bushido an zwei Tagen in einem | |
Büro eingesperrt, ihn angeschrien und bedroht haben. Am Ende soll | |
Abou-Chaker unter anderem mit einer Hartplastikflasche zugeschlagen haben. | |
Um viele Millionen Euro sei es gegangen und darum, wie man sie | |
untereinander aufteilt. Bushido wollte sich von seinem alten | |
Geschäftspartner, Manager und Freund lösen. Das ist der Ausgangspunkt des | |
Streits und der Taten, die den Angeklagten vorgeworfen wurden. | |
Mehr als vier Jahre Haft forderte die Staatsanwaltschaft schließlich für | |
Arafat Abou-Chaker. Freispruch forderten die Anwälte der Abou-Chakers. Und | |
erreichten [2][ihn – fast]. Am Ende blieb von den Vorwürfen wenig übrig. | |
Arafat Abou-Chaker muss 90 Tagessätze à 900 Euro zahlen, weil er Gespräche | |
heimlich mit dem Handy aufgenommen hatte, und bekommt eine Entschädigung | |
für seine Zeit in Untersuchungshaft. Der Vorsitzende Richter stellte | |
außerdem die Glaubwürdigkeit von Kronzeuge Bushido infrage. O-Ton: „Die | |
Aussage-Entstehung von Bushido regt zum Nachdenken an.“ Und das nicht im | |
positiven Sinne. | |
Es stellt sich nun nach Ende [3][des medial ausgeschlachteten Prozesses mit | |
viel Rummel], vielen Rappern im Zeugenstand und Prozesskosten von rund 2,4 | |
Millionen Euro die Frage: Sind Medien und die Berliner Staatsanwaltschaft | |
ihren eigenen Vorurteilen aufgesessen? Haben sie womöglich ein paar Märchen | |
zu viel gelesen? Waren sie zu geil auf diese obergeile Geschichte? | |
## Fruchtbare Zusammenarbeit | |
Eigentlich ist bekannt, dass Bushidos Karriere schon immer auch auf seiner | |
Märchenonkeligkeit und seinem Opportunismus aufbaute. Er wusste, wie er | |
Medien und Journalist*innen mit seinem Charisma für sich einspannen | |
konnte – von Markus Lanz bis zum Magazin Stern. Gleichzeitig gründete seine | |
Karriere auf einem Gangsterimage, für das vor allem sein alter Kumpel | |
Abou-Chaker und dessen Dunstkreis bürgten, auch wenn Bushido nie wirklich | |
ein Schwerkrimineller war. Die Abou-Chakers bescherten ihm Glaubwürdigkeit | |
und Narrenfreiheit in Berlin, er bescherte ihnen viel Geld. Eine fruchtbare | |
Zusammenarbeit. | |
Einen Bambi für Integration kassierte Bushido trotzdem und machte später | |
sogar ein Praktikum im Bundestag, ausgerechnet bei einem CDU-Abgeordneten. | |
Denn Bushido weiß genau, wann der richtige Zeitpunkt ist, alle | |
erbarmungslos zu beleidigen, und wann er lieber berlinernd ein paar | |
Witzchen reißt. | |
Er war dabei immer der Herr seiner eigenen Geschichte, hat mittlerweile | |
drei autobiografische Bücher veröffentlicht, von denen eines verfilmt | |
wurde. Er ist, das kann man so sagen, ein Meister des Storytellings. Arafat | |
Abou-Chaker hingegen, den man vor allem pöbelnd aus Dokumentationen von | |
Spiegel TV und aus Boulevardberichten über sogenannte Clankriminalität | |
kennt, der vor Gericht stand, weil er einen Hausmeister verprügelte, und | |
der auf Tiktok Netanjahu mit Hitler verglich, ist in der Öffentlichkeit ein | |
Unsympath sondergleichen; das „Clanmilieu“, in dem er sich bewegen soll, | |
dazu ein beliebtes Feindbild. Dementsprechend klein war seine Lobby in den | |
letzten Jahren. | |
Bushido inszenierte sich währenddessen als liebenswürdiger Daddy, sprach | |
offen über seine Panikattacken, arbeitete mit dem Springer-Verlag zusammen, | |
den er zuvor verteufelt hatte. In unzähligen Podcasts und soapartigen | |
Dokuepisoden zeigte er sich geläutert, als Opfer eines Tyrannen. Viele | |
Medien kauften es ihm ab und verkauften der Öffentlichkeit seine Version | |
der Geschichte. | |
## „Integrierter Ausländer“ versus „krimineller Ausländer“ | |
Es ging in der Rezeption des Prozesses dabei unterschwellig auch um eine | |
Gegenüberstellung „integrierter Ausländer“ versus „krimineller Ausländ… | |
Hier durfte man endlich mal Partei ergreifen. Viele wollten, so scheint es, | |
Bushido auch deswegen glauben, weil es ihr Gut-böse-Weltbild bestätigt. Das | |
wurde nun erschüttert. Denn so einfach ist das abseits von Märchen eben | |
alles nicht. | |
Bushido ist nun womöglich erstmals an seinem Storytelling gescheitert. Die | |
Berliner Staatsanwaltschaft erlitt einen Dämpfer und muss neue Wege finden, | |
zu beweisen, dass „kriminelle Clans“ tatsächlich ein Problem sind. Medien | |
müssen ihre eigene Gier nach einfachen Gut-böse-Geschichten hinterfragen. | |
Nur die Abou-Chakers lachen sich ins Fäustchen. Ihren Erfolg feierten sie | |
im eigenen Restaurant: Papa Ari. | |
10 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Johann Voigt | |
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