# taz.de -- Abou-Chaker-Prozess in Berlin: Ein Spektakel für alle | |
> Der Prozess mit Bushido als Kronzeuge dauert schon zwei Jahre. Es geht um | |
> Erpressung und Körperverletzung, doch Fans und Medien interessiert nicht | |
> nur das. | |
Bild: 78 Prozesstage hat es schon im Abou Chaker Prozess gegeben | |
Die Luft steht bereits am Morgen dieses Verhandlungstages in Saal 500 im | |
Berliner Landgericht. Draußen steigen die Temperaturen bald auf über 30 | |
Grad, drinnen nehmen [1][der Angeklagte Arafat Abou-Chaker] und seine | |
mitangeklagten Brüder Yasser, Nasser und Rommel Abou-Chaker Platz. | |
„Herzlichen Glückwunsch“, sagt Rapper Bushido, bürgerlich Anis Ferchichi, | |
Nebenkläger und Kronzeuge im Prozess zum Vorsitzenden Richter. „Es jährt | |
sich heute zum zweiten Mal.“ „Ich weiß nicht, ob das ein Grund zum Feiern | |
ist“, entgegnet der. | |
Seit zwei Jahren läuft der Prozess gegen den Clanchef Arafat und seine | |
Brüder – ein Ende ist, so wurde an diesem 78. Prozesstag am Mittwoch | |
deutlich, nicht in Sicht. Der anberaumte Schlusstermin Ende Oktober könne | |
wohl nicht eingehalten werden, kündigte der Richter an. | |
Angeklagt sind die Brüder wegen versuchter schwerer räuberischer | |
Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung, Freiheitsberaubung. | |
Konkret geht es um den 18. Januar 2018, an dem ein Treffen zwischen den | |
ehemaligen Geschäftspartnern und „Brüdern“, wie sie sich nannten, Arafat | |
Abou-Chaker und Rapper Bushido stattgefunden haben soll. „Das Finale“, | |
wie es Bushido an diesem Mittwoch immer wieder beschreibt. Schon vor dem | |
18. Januar 2018 hatte Bushido Clanchef Arafat Abou-Chaker mitgeteilt, dass | |
er die Zusammenarbeit mit ihm, der mit dem Rapper Millionen gemacht hatte, | |
zu einem Ende bringen wollte. Bushido behauptet, er sei bei besagtem | |
„Finale“ bedroht, eingesperrt und mit einer Hartplastikflasche und einem | |
Stuhl angegriffen worden. Eine zweistündige Tonaufnahme, über die bereits | |
im Februar der Stern berichtet hatte, soll dieses Treffen dokumentieren. | |
Am Montag war diese Tonaufnahme erstmals im Prozess vorgespielt worden. | |
Sechs Stunden, so lange hatte es gedauert, sie anzuhören. Gemeinsam mit | |
einem Übersetzer ging der Vorsitzende Richter die Tonaufnahme im | |
Gerichtssaal mit vielen Unterbrechungen durch, stellte Nachfragen zu | |
Wörtern und Sätzen, die auf Arabisch fielen. Auch Bushido war währenddessen | |
im Saal. | |
## Kaum verständlich | |
Mühselig und anstrengend war das für alle Anwesenden. Auf der Anklagebank | |
fächelte sich Rommel Abou-Chaker mit einem Papier Luft zu. Bushido | |
schloss immer wieder die Augen, starrte an die Decke und schob sich seine | |
FFP2-Maske vor die Augen, die er als Einziger im Saal trug. | |
Viel verstand man von der Aufnahme leider nicht: Die Tonqualität ist | |
schlecht, immer wieder rauscht es. Es fallen Sätze, die nicht zu verstehen | |
sind, weil sie viel zu leise oder viel zu laut zu hören sind. Es tönen | |
laute Knalle durch den Saal, die nicht näher zugeordnet werden können. Was | |
jedoch zu hören ist: ein enttäuschter und cholerischer Arafat: „Ich sage | |
dir bei Gott: Du bist der größte falscheste Hund, den ich je in meinem | |
Leben gesehen habe“, sagt er zu Bushido. Dieser selbst wirkt in der | |
Aufnahme eher zurückhaltend, defensiv, versucht zu beruhigen: „Egal was, | |
wann wir klären, mir ist wichtig, dass wir es im Guten klären.“ Oder: „Ich | |
möchte eine Sache, die wir Jahre gemacht haben, zu einem Ende bringen.“ Auf | |
Arafats aggressive Anfälle entgegnet er zum Beispiel: „Du bist auf 180, du | |
fängst an zu schreien, du rollst wie ein Panzer über alles hinweg.“ | |
Brisant ist, was auf der Tonaufnahme nicht zu hören ist, und zwar solche | |
Situationen, die Bushido ausgesagt hat und die auch Grundlage für die | |
Anklage sind. Das von ihm in der Vergangenheit genannte Zitat „Ich werde | |
deinen Vater ficken. Dann ficke ich deine Mutter. Dann ficke ich deine | |
Frau. Dann ficke ich deine Kinder. Und wenn ich damit fertig bin, dann | |
ficke ich dich“, das Arafat gesagt haben soll, fällt zum Beispiel nicht. | |
## Wie im Theater | |
Dass genau so etwas fehlt, lässt Bushido vermuten, dass das Tondokument | |
gefälscht sein muss. Das bekräftigt er auch am Mittwoch in seiner | |
Zeugenaussage. Für ihn ist der Inhalt der Aufnahme, die am Montag gehört | |
wurde, deshalb auch „Larifari“. „Es müssen verschiedene Aufnahmequellen | |
sein“, sagte er. Mindestens von zwei verschiedenen Treffen, die | |
mitgeschnitten und später dann zu einer Aufnahme zusammengeschnitten worden | |
sein sollen, so seine Vermutung. Auch findet Bushido inhaltliche Fehler, | |
durch die er die Echtheit der Aufnahme anzweifelt. So ginge es mehrfach um | |
eine verschobene Tour, die bereits im Dezember 2017 stattfinden sollte und | |
über die man sich schon vor dem besagten 18. Januar 2018 verständigt hatte. | |
Beweise soll zudem der gesamte Whatsapp-Chatverlauf zwischen ihm und Arafat | |
Abou-Chaker aus dem Zeitraum von September 2017 bis März 2018 liefern, die | |
er ausgedruckt mitgebracht hatte. | |
Dass in der Aufnahme Schmatzgeräusche zu hören sind und die Aufforderung, | |
sie, also Arafat und Bushido, sollten sich küssen und vertragen, hält | |
Bushido ebenfalls für unglaubwürdig. Man sei nach seiner Erinnerung an | |
diesem Tag nicht in der versöhnlich auseinander gegangen. „Ich habe mich | |
des Öfteren mit Arafat geküsst. Im südländischen Sinne“, sagt er. Sein | |
Verhältnis zu Arafat zu Anfang 2018 beschreibt Bushido am Mittwoch noch | |
mal so: „Arafat hat für mich damals das Böse verkörpert, vor ihm hatte ich | |
Angst.“ | |
Arafat Abou-Chaker runzelt während Bushidos Aussage immer wieder die Stirn, | |
flüsterte seinen Brüdern etwas zu, schüttelt den Kopf. Nachdem Bushido | |
seine Erklärungen vorerst beendet hat, klatscht Arafat. Es sei wie Theater, | |
oder?, fragt Arafat Abou-Chaker beim Hinausgehen aus dem Gebäude des | |
Landgerichts in der Mittagspause am Mittwoch. Und sicherlich, er hat einen | |
Punkt. Seit Prozessbeginn drängeln sich schon früh morgens Interessierte | |
und Rap-Fans vor dem Zuschauereingang, weil die Plätze begrenzt sind. | |
Interessant ist deshalb nicht nur das Prozessgeschehen an sich, sondern | |
das, was sich im Café gegenüber des Landgerichts, davor oder dem | |
Zuschauereingang abspielt: Unterhaltungen von HipHop-Fans, die ihre eigenen | |
Theorien über das Verhältnis zwischen Arafat und Bushido miteinander teilen | |
und die oft mit Sätzen wie „Ich sag dir, wie’s laufen wird“ eingeleitet | |
werden; Gespräche, in denen erörtert wird, wer wann wie schon etwas gesagt | |
hat im Prozess, wie das Verfahren aussehen sollte oder warum Bushido nicht | |
glaubwürdig ist; Momente, in denen Fans nach Fotos und Autogramme fragen | |
und ganz entspannt in der Pause das Gespräch beim Kaffee mit den | |
Clanmitgliedern suchen. Für die Zuschauer ist jedenfalls auch vor der | |
Urteilsverkündigung schon alles klar: Bushido lügt, und Arafat Abou-Chaker | |
ist der Unschuldige, der falsch Verstandene. | |
## Ein Fall für Medien und Fans | |
Der Abou-Chaker-Prozess ist über die zwei Jahre zu einem Spektakel geworden | |
– auch für Medien. Das Verhältnis zwischen Bushido und der | |
Abou-Chaker-Familie ist schon seit Jahren Gegenstand von | |
Medienberichterstattung. Zahlreiche Berichte, Texte und Dokumentationen | |
sind dazu erschienen. Ende November 2021 erschien [2][die Amazon-Prime-Doku | |
„Unzensiert – Bushido’s Wahrhei]t“, eine sechsteilige Serie, in der der | |
Rapper von seinem Leben unter Polizeischutz erzählt. Er gibt sich darin als | |
[3][geläuterter, reflektierter und sensibler Familienvater und | |
Polizeiversteher]. Im Frühjahr 2022 veröffentlichte der Spiegel die | |
Crime-Serie „Im Verhör“, in der die Spiegel-TV-Reporter Thomas Heise und | |
Claas Meyer-Heuer mit Bushido über sein Verhältnis zu Arafat Abou-Chaker | |
sprechen. | |
Für die Presse, die bei jedem Verhandlungstag zahlreich und regelmäßig | |
dabei ist, ist der Prozess gerade deshalb interessant, weil er Einblicke in | |
eine Welt gibt, in der sich Musikgeschäft und organisierte Kriminalität von | |
Clanfamilien verschränken. Schon seit Langem gibt es i[4][mmer wieder | |
Berichte über „Rücken“ von Rappern], also Verbindungen von Musikern und d… | |
kriminellen Milieu, das Schutz und Rückhalt bietet und im Gegenzug am | |
Erfolg beteiligt wird. | |
Wie eng Medien mit dem Fall Abou-Chaker gegen Bushido verbunden sind, zeigt | |
sich auch exemplarisch in dieser Woche. Da kritisiert Arafats Verteidiger | |
während der Verhandlung, dass die Presse die Abschrift der Tonaufnahme | |
durch das Landeskriminalamt besäße. Ein anderes Mal geht es immer und immer | |
wieder um den Stern und seine falschen Darstellungen, wie Bushido | |
behauptet. | |
Am Ende des 78. Verhandlungstags bleiben noch viele Fragen offen – und | |
Bushido, der Kronzeuge, gerät unter Druck. Die Verteidigung äußert Bedenken | |
und wirft Bushido „Bullshitting“ vor: Wenn Bushidos Aussagen nicht in der | |
Aufnahme zu hören sind, dann sind sie nicht echt, oder aber es heißt, dass | |
die Taten nicht stattgefunden haben. Aufnahme und Zeuge stehen sich also | |
gegenüber. | |
Der Vorsitzende Richter hält das so fest: „Wir haben zwei Beweismittel: den | |
Zeugen und das Audio. Wir müssen klären, welches Beweismittel den | |
Sachverhalt vom 18. Januar korrekt wiedergibt. Das machen wir hier.“ Das | |
Gericht will nun einen Gutachter beauftragen, der die Tonaufnahme auf seine | |
Echtheit prüfen soll. Bislang existiert so ein Gutachten nicht. | |
Die Vernehmung Bushidos ist an diesem Mittwoch nicht abgeschlossen. Noch | |
ist die Verteidigung dran, ihre Fragen an ihn zu richten. „So, Herr | |
Ferchichi, es sieht so aus, als ob wir uns doch noch mal wiedersehen. Gibt | |
Schlimmeres, oder?“, sagt der Richter. Bushido: „Ganz ehrlich? Ja, gerade | |
schon.“ Dann verlässt Bushido den Saal. | |
18 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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