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# taz.de -- Die Wahrheit: Knistern in der Ruhezone
> Nach dem Bahnstreik ist vor dem nächsten Radau: Was geht eigentlich ab im
> Schweigeabteil? Und warum sind die Lärmschläger so gern im Zug unterwegs?
Bild: Fürs Geraschel bringen Störenfriede einiges mit
Das Schweigeabteil. Was klingt wie ein modernes Theaterstück, verbirgt
hinter der Bezeichnung eine bahnbrechende Neuerung im Eisenbahnwesen:
Abteile, in denen einfach mal die Schnüss gehalten wird. Die Resonanz der
Presse auf diese wegweisende Erfindung der sogenannten französischen
Westbahn im Jahre 1912 soll begeistert gewesen sein, schrieb der Stern
viel, viel später.
Man rechnete seinerzeit mit gewaltigem gesellschaftlichen Zuspruch, aber
die Schweigeabteile wurden nicht angenommen und bald wieder still und
heimlich abgeschafft. Wer die redseligen Westfranzosen kennt, wird das
Scheitern des Experiments nicht verwundern. Hätte man doch nur im Norden
Deutschlands damit begonnen, wo kein unnötiges Wort verloren wird.
Der Stern sollte 1962, also 50 Jahre später, die Schweigeabteile als
vergessenes Kuriosum der Vergangenheit beschreiben, ohne zu ahnen, dass die
Deutsche Bahn im 21. Jahrhundert einmal sogenannte „Ruhebereiche“ in ihren
Zügen einführen sollte. Die Chose hing natürlich mit dem Einzug der Handys
in unsere ohnehin laute Welt zusammen, denn seitdem wird in den Zügen
bekanntlich telefoniert, was das derbe Zeug hält.
Wer noch die gute, alte Zeit der Interzonenzüge zwischen der BRD und der
DDR miterlebt hat, wird wissen, dass unter den Mitreisenden noch
miteinander geredet wurde. Verschlungene Lebensläufe wurden auf so einer
Deutschlandreise ausgebreitet. Man teilte damals freimütig Gespräche und
Reiseproviant.
## Stille Mauerblümchen
Heutzutage ist das verpönt, jeder führt seine Gespräche fein für sich,
lässt aber gern das ganze große Abteil daran teilhaben. Denn so ein
Gespräch signalisiert auch Weltläufigkeit und Beliebtheit. Mitreisende, die
still und verschämt auf ihrem Platz sitzen, sind dagegen die modernen
Mauerblümchen des Eisenbahnverkehrs.
Unter lauter Telefonierenden fühlt sich der ruhige Zugfahrende wie in den
Gängen einer Irrenanstalt, in der auch jeder und jede mit sich selbst
redet. Sagt man heute noch Irrenanstalt? Und was bedeutet so ein
„Ruhebereich“ eigentlich in der Bahn?
Befragen wir Das Unternehmen doch einfach mal selbst auf seiner Website:
„Ruhebereiche sind meist Abteile hinter dem Fahrzeugführer, in dem
Handytelefonate, Klingeltöne, lautes Musikhören oder sonstige lärmende
Tätigkeiten nicht erwünscht sind.“ Nicht erwünscht? Das heißt, sie sind
nicht „ausdrücklich untersagt“. Zudem sind „Geräusche, die von Kindern
ausgehen“ im Ruhebereich von den Vorgaben ausgenommen.
## Kreischende Kinder
Kreisch! Ausgerechnet diese notorischen Nervensägen dürfen ungestraft
lärmen! Doch eine ungeahnte Lärmquelle ist im Netzbahnknigge dafür
ausdrücklich geächtet: „Sie sollten versuchen, anhaltendes Knistern zu
vermeiden.“
Welche Strafe nur droht dem anhaltenden Knisterer? Keine Geldstrafe, „aber
im schlimmsten Fall kann ein Fahrgast von der Weiterfahrt ausgeschlossen
werden“, versichert die Bahn. Dies am besten auf freier Strecke und
gänzlich ohne Handyempfang.
Anders wird in Österreich mit Störenfrieden verfahren, dort müssen
Fahrgäste, die sich im Ruhebereich unruhig verhalten 40 Euro Strafe
bezahlen. Recht so. In Deutschland setzt die Bahn auf die soziale Kontrolle
der Mitreisenden, das Zugpersonal hingegen ist nicht verpflichtet, bei
Uneinigkeiten einzugreifen. Es kann dann belustigt dabei zusehen, wie der
entnervte Zugreisende den Dauerknisterer zum Stillsein bringt.
„Ein freundlicher und höflicher Ton ist in jedem Fall angebracht“,
schwadroniert die Bahn dazu auf ihrer kackfreundlichen Internetseite. Das
Fazit heißt: Wir wünschen weiterhin gute und knisternde Unterhaltung im
Ruhebereich der Deutschen Bahn!
6 Feb 2024
## AUTOREN
Kriki
## TAGS
Deutsche Bahn
Lärm
Ruhe
Taliban
Quallen
Die Wahrheit
Schrumpfung
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