| # taz.de -- Wirtschaftsgeograf über Klimapolitik: „Das WEF ist der falsche O… | |
| > Die Klimakrise lässt sich in Davos nicht bekämpfen, sagt der | |
| > Wirtschaftsgeograf Christian Zeller. Er plädiert für eine | |
| > ökosozialistische Gesellschaft. | |
| Bild: Ein Windenergiepark im brandenburgischen Jacobsdorf | |
| taz: Herr Zeller, Sie veranstalten einen Workshop bei der [1][Konferenz | |
| „Das andere Davos“], einer Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum | |
| (WEF). Grob gesagt geht es um die Lösung der Klimakrise durch den Ausstieg | |
| aus den Fossilen. Trauen Sie dem WEF nicht zu, gute Lösungen dafür | |
| entwickeln? | |
| Christian Zeller: Seit seiner Entstehung ist das WEF ein Forum der | |
| herrschenden Eliten. Sie unterhalten sich dort auch über ihre eigenen | |
| Widersprüche und wie sie diese kleinarbeiten können. Aber immer im Sinne | |
| der Stabilisierung oder auch Erweiterung ihrer eigenen Herrschaft. | |
| Und das ist mit der Klimakrise nicht möglich? | |
| Natürlich wollen sie beim WEF auch die Erderhitzung managen. Aber sie | |
| betrachten dieses Risiko als etwas, das von außen kommt. Sie gehen nicht | |
| davon aus, dass die Erderhitzung das Ergebnis der kapitalistisch fossilen | |
| Industrialisierung ist, also letztlich Resultat des eigenen Zwanges, | |
| Kapital zu akkumulieren. | |
| Weshalb sind Sie sich da so sicher? | |
| Beim WEF treten auch Menschen auf, die wollen schlicht und einfach die | |
| fossile Welt weitertreiben. Andere wollen einen scheinbar grünen | |
| Kapitalismus, aber ebenfalls ohne wirklichen Ausstieg aus den fossilen | |
| Energien. Für eine Alternative, die den Problemen auf den Grund geht, ist | |
| das WEF der falsche Ort. | |
| Das WEF hat mittlerweile auch Kritiker*innen an Bord. | |
| Das gehört ja irgendwie zum guten Ton, dass man miteinander diskutiert. | |
| Aber ich glaube nicht, dass das für die reale Entwicklung irgendeine | |
| Relevanz hat. | |
| Wie sehen Sie denn die „reale Entwicklung“? | |
| Man muss eigentlich von einem fossilen Backlash reden. Seit 2022 haben alle | |
| großen Öl- und Gaskonzerne ihre Investitionen gesteigert, auch in fossile | |
| Anlagen. Das deutet darauf hin, dass die Renditen im fossilen Sektor | |
| weiterhin oder wieder höher sind als im Erneuerbaren Sektor. | |
| Wie erklären Sie sich das? | |
| Der erneuerbare Sektor ist mit großen Risiken aus kapitalistischer Sicht | |
| belastet. Einige Konzerne wie Siemens Energy erwägen sogar aus dem | |
| Onshore-Windgeschäft auszusteigen, weil ihnen das zu unsicher ist. Auch bei | |
| den ganzen COP-Konferenzen zeigt sich der fossile Backlash. Diese | |
| Konferenzen finden jetzt in Diktaturen und wichtigen ölexportierenden | |
| Ländern statt. Es gibt nichts, was darauf hinweist, dass die Herrschenden | |
| wirklich ein ernsthaftes Programm verfolgen, die Erderhitzung substanziell | |
| abzubremsen – das heißt aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. | |
| Und eine ökosozialistische Gesellschaft könnte das? | |
| Wir können natürlich keinen Schalter umstellen, von einer kapitalistischen | |
| Gesellschaft in eine ökosozialistische, die alle Probleme löst. So wird es | |
| nicht stattfinden, sondern das ist ein Prozess. Der wird von vielen harten | |
| Konflikten begleitet sein. Der eine beginnt jetzt. Gehen wir davon aus, | |
| dass wir die Erderhitzung durch technologische Maßnahmen wie [2][Carbon | |
| Capture] (Co2-Abscheidung und Speicherung, Anm. d. Red.) lösen können? Ich | |
| gehe davon aus, dass solche Technologien keine Lösung bieten werden. Sie | |
| sind unausgereift und die wenigen Ansätze, die es gibt, funktionieren nur | |
| auf extrem kleinen Maßstäben. Sie werden nie das Volumen herbringen, was | |
| nötig ist. Und diese Technologien werden den fossilen Pfad verlängern, weil | |
| sie enorm viel Energie verbrauchen. | |
| Das heißt? | |
| Wenn wir das ganze Energiesystem elektrifizieren wollen, was ja eine | |
| Dekarbonisierung bedeutet, dann kann das nur gelingen, wenn wir insgesamt | |
| den Energieverbrauch reduzieren. Das bedingt dann aber auch Diskussionen | |
| darüber, was produziert wird. Eine Infrastruktur erneuerbarer Energien ist | |
| viel rohstoffintensiver als die fossile. Das heißt, sie ist nicht per se | |
| ökologisch. Damit müssen wir einen Umgang finden. Wir müssen nicht nur den | |
| Energieverbrauch, sondern auch den Materialdurchsatz reduzieren. Und das | |
| ist letztlich eine Machtfrage. | |
| Wer soll die stellen? Die Gewerkschaften? | |
| Die Gewerkschaften sind ökologisch weiterhin, das muss man so sagen, | |
| unzurechnungsfähig. Sie sind komplett in das kapitalistische | |
| Wachstumsmodell integriert. Sie denken, wenn es „unserer“ Industrie gut | |
| geht, das heißt, wenn die Unternehmen kräftig exportieren, wenn sie | |
| erfolgreich sind auf den Weltmärkten, dann springt auch für uns und alle | |
| Lohnabhängigen wieder etwas mehr Lohn raus, oder vielleicht etwas bessere | |
| Arbeitsbedingungen. Das ist die Rechnung. Dabei gehen sie davon aus, dass | |
| sich eine Art grüne Modernisierung realisieren lässt. Dass sich die Autos | |
| grün anstreichen lassen. Dass man das Gas und das Öl grün anstreichen kann | |
| und sich die Probleme irgendwie lösen. Das ist ein Trugschluss. | |
| Wer stellt die Machtfrage dann? | |
| Ich habe kein fertiges Rezept. Aber der Schlüssel für mich ist zu | |
| versuchen, an der Lebensrealität der Menschen anzusetzen und jegliche Form | |
| von Selbstorganisierung zu befördern. Sei das am Arbeitsplatz, im | |
| Stadtteil, in der Bildungseinrichtung. Kollektives Handeln kann eine reale | |
| Wirkung erzielen. Ich glaube das ist der entscheidendste Lerneffekt – dass | |
| man nicht an höhere Mächte appelliert oder an starke Politiker oder an | |
| irgendwelche Populisten. Es geht darum, dass die Menschen Selbstvertrauen | |
| in die eigene Kraft und die Kraft der gemeinsamen Organisierung erlangen. | |
| Das muss natürlich auch eine politische Äußerung in die politische Arena | |
| hinein finden. Es braucht große Mobilisierungen und Streiks, nicht nur für | |
| mehr Lohn, sondern für bessere Arbeit und andere Produkte. | |
| Angenommen, es entstünde eine neue, ökosozialistische Linke. Was müsste sie | |
| konkret tun? | |
| Ein wichtiger Schritt ist die Vergesellschaftung und Entmachtung der großen | |
| fossilen Energiekonzerne wie Shell, Exxon Mobile, RWE, E.ON, Wintershall | |
| oder in Österreich OMV, und ihres kontrollierten, geplanten Rückbaus. Auch | |
| alle mit ihnen verbundene Industrien müssen unter gesellschaftliche | |
| Kontrolle gebracht werden. Die Automobilindustrie müsste vielleicht nur | |
| noch 10 Prozent der Automobile produzieren, die sie jetzt produziert. Und | |
| ansonsten könnte sie andere Dinge produzieren: für den öffentlichen | |
| Verkehr, die Eisen- und Straßenbahnen, Minibusse, Ruftaxis. Unter | |
| demokratischer gesellschaftlicher Kontrolle könnten wir den Rückbau der | |
| Automobilindustrie verbinden mit dem Ausbau der Industrie für öffentlichen | |
| Verkehr, also eine ökologisch verträgliche integrierte Mobilitätsindustrie | |
| aufbauen. Das alles lässt sich natürlich nicht im nationalen Maßstab | |
| verwirklichen, dafür braucht es eine transnationale ökosozialistische | |
| Perspektive für den gesamten Kontinent. | |
| 19 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Bachmann | |
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