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# taz.de -- Kriegsgefangene in Russland: Hoffen auf ein Lebenszeichen
> Ukrainische Familien von inhaftierten Soldaten demonstrieren regelmäßig
> für deren Rückkehr. Aber Gefangenenaustausche werden seltener.
Bild: Aus der Haft entlassene ukrainische Soldaten nach dem Gefangenenaustausch…
KOWEL taz | Die Kundgebung in Kowel ist kaum zu übersehen. Dutzende
Menschen haben sich an diesem kalten Wintertag Ende der vergangenen Woche
auf dem zentralen Platz der westukrainischen Kleinstadt nahe der Grenze zu
Polen und Belarus versammelt. Es sind fast ausschließlich Frauen und
Mädchen. Ihren Gesichtern ist die Anspannung deutlich anzumerken. Auf
Pappschildern, die sie mitgebracht haben, sind scharfe, von Hand
geschriebene Slogans, zu lesen.
Es sind herzergreifende Worte: „600 Tage Gefangenschaft“, „Erweist den
Gefallenen Respekt, helft den Lebenden, erhebt eure Stimmen für die
Gefangenen!“, „Erinnern, sprechen, zurückholen!“ und: „Freiheit für d…
Garnison von Mariupol!“, „Vergessen ist schlimmer als Verrat“, „Kämpfe…
für sie so, wie sie für uns gekämpft haben“, „Mein Sohn ist mein Leben!�…
Drei Verteidiger [1][des metallurgischen Kombinats Asowstahl in Mariupol],
die aus Kowel stammen, befinden sich immer noch in russischer
Gefangenschaft: Wladislaw Bakum, Andrej Bogdan und Wladislaw Oksentaschuk.
Ihre Familien hören nicht auf, für sie zu kämpfen. Sie werden nicht müde
daran zu erinnern, dass die Gefangenschaft gleichbedeutend ist mit
ständiger Folter, Isolation und Unsicherheit.
Die Kundgebung in Kowel ist nur ein Beispiel für Hunderte ähnliche Aktionen
in der Ukraine zur Unterstützung Tausender inhaftierter Verteidiger der
Stadt Mariupol, die seit dem Frühsommer 2022 unter russischer Besatzung
steht. „Schweigt nicht, Gefangenschaft tötet!“, lautet das Motto der
Vereinigung der Familien der Verteidiger von Asowstal – dem letzten
Zufluchtsort der Kämpfer, die Mariupol 2022 bis zum Schluss verteidigt
hatten.
## Größter Gefangenenaustausch seit Kriegsbeginn
Bislang hat die Ukraine 230 Personen, darunter Soldaten und Zivilisten, aus
russischer Gefangenschaft zurückgeholt. Am 3. Januar 2024 war es unter
Vermittlung der Vereinigten Arabischen Emirate nach monatelanger Pause
[2][erneut zu einem Gefangenenaustausch gekommen], es war die größte
derartige Aktion seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die
Ukraine am 24. Februar 2022 und der erste Austausch seit Monaten. Auch die
Verteidiger von Mariupol kehrten nach Hause zurück. Doch die Familien von
Angehörigen der Spezialeinheitsbrigade konnten ihre Verwandten nicht auf
den Austauschlisten entdecken.
Russland hält diese Einheit der Nationalgarde immer noch gefangen. Ihre
Angehörigen bitten die Staats- und Regierungschefs westlicher Staaten, die
ukrainischen Behörden und ihre eigenen Landsleute, das Schicksal dieser
Gefangenen nicht zu vergessen.
Im Winter wird es früh dunkel, aber trotz des beißenden Windes und Frosts
bleiben die Teilnehmer*innen der Kundgebung in Kowel noch lange Zeit
auf der Straße stehen. Sie unterhalten sich miteinander. Einfach die
Gelegenheit zu haben, sich zu Wort zu melden und die Geschichte anderer
Mütter oder Frauen zu hören, die ebenfalls darauf warten, dass ihre Männer
und Kinder nach Hause kommen: das ist es, was ihnen in dieser Situation oft
hilft.
An diesem Tag stehen sie im Rampenlicht. Vertreter und Vertreterinnen
lokaler Behörden sind genauso auf den Platz gekommen wie Personen in
Militäruniformen. Eine der Frauen, die bei der Kundgebung eine Rede hält,
ist von Fernsehteams umgeben. „Wir versuchen, die Gesellschaft an den Kampf
um die Gefangenen zu erinnern. Sie befinden sich dort in einer
katastrophalen Lage – sie sind hungrig, frieren, werden gefoltert und sie
sind von jeglicher Information völlig isoliert. Deshalb ermutigen wir alle
dazu, sich diesem Kampf anzuschließen. Wir wissen, dass das funktioniert“,
versucht die Frau die Journalisten zu überzeugen.
Neben ihr steht Swetlana Bogdan. Ihr 24-jähriger Sohn Andrej ist schon 20
Monate lang in Gefangenschaft, ihr anderer Sohn kämpft an der Front. Der
Vater der beiden Söhne ist im Krieg zu Tode gekommen. Swetlana ist mit
Tatjana Bakum auf der Kundgebung. Deren Sohn Wladislaw ist ebenfalls in
Gefangenschaft. Ihre Kinder haben zusammen studiert und Sport gemacht. 2019
traten sie ihren Dienst bei „Asow“ an. Sie waren zusammen in Mariupol und
wurden gefangen genommen, [3][nachdem sie Asowstal verlassen hatten].
## Russische Spielchen
Am 16. Mai 2022 wurden die beiden jungen Männer in eine Kolonie im Dorf
Oleniwka im Gebiet Donezk evakuiert – wo später mehr als 50 ukrainische
Gefangene durch eine Explosion starben. Die Russen verurteilten Andrei
Bogdan zu 25 Jahren Haft in einer Hochsicherheitskolonie. Seitdem gibt es
keine Neuigkeiten von ihm.
Am Ende der Aktion singen alle Anwesenden die ukrainische Hymne. Eine junge
Frau hält ein Schild mit der Aufschrift „Mein Herz ist gefangen“ hoch, sie
kann ihre Tränen nicht zurückhalten. Ihr Freund befindet sich ebenfalls in
Gefangenschaft, das letzte Telefonat fand am 6. Mai 2022 statt. „Er hat mir
alles Gute zum Geburtstag gewünscht. Wir haben gesagt, dass wir uns
lieben.“
Die junge Frau schluchzt, eine ältere Dame beruhigt sie und sagt. „Ich bin
hierhergekommen, damit die Mütter dieser Kinder die Unterstützung der
Gesellschaft spüren. Ihre Söhne haben sich für die ganze Ukraine
eingesetzt, damit unsere Kinder friedlich schlafen konnten. Aus irgendeinem
Grund beginnen die Menschen dies zu vergessen und ein ruhiges Leben zu
führen.“
Angaben der ukrainischen Regierung zufolge befinden sich mehr als 3.500
Militärangehörige in russischer Gefangenschaft. Da es sich nur um
diejenigen handelt, die identifiziert wurden, könnte die tatsächliche Zahl
höher sein. Als Ergebnis mehrerer Austauschaktionen wurden 2.430 Menschen
nach Hause zurückgebracht, darunter 139 Zivilisten.
Ende November 2023 beschwerten sich ukrainische Behörden darüber, dass
Russland den Gefangenenaustausch ausgesetzt habe. Möglicherweise möchte der
Kreml auf diese Weise die Ukrainer beeinflussen und den Eindruck erwecken,
dass die ukrainischen Behörden sich nicht mit dieser Frage beschäftigen.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
11 Jan 2024
## LINKS
[1] /Kampf-um-ukrainische-Hafenstadt/!5849415
[2] /Ukraine-und-Russland-einigen-sich/!5983646
[3] /Ukraine-gibt-Stahlwerk-auf/!5855473
## AUTOREN
Juri Konkewitsch
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