# taz.de -- Italienischer Politiker schießt Mann an: Partyschreck mit Revolver | |
> Ein Abgeordneter der Regierungspartei soll an Silvester einen Partygast | |
> mit seinem Revolver angeschossen haben. Seine Chefin Meloni ist sauer. | |
Bild: Politiker Emanuele Pozzolo hat erst seit Dezember letzten Jahres einen Wa… | |
Kaum jemand in Italien kannte bis zum 1. Januar Emanuele Pozzolo und so gut | |
wie niemand hatte bis dahin je von dem Alpendörfchen Rosazza gehört. Kein | |
Wunder: Der 38-jährige Pozzolo, der seit 2022 im Abgeordnetenhaus sitzt, in | |
den Reihen der von Ministerpräsidentin [1][Giorgia Meloni] angeführten | |
postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI), ist ein klassischer | |
Hinterbänkler und Rosazza im norditalienischen Piemont zählt gerade einmal | |
97 Einwohner*innen. | |
Doch nach Neujahr war es mit der Anonymität vorbei. Der Parlamentarier | |
Pozzolo und das Dorf Rosazza waren plötzlich tagelang in den Schlagzeilen | |
[2][aller Zeitungen und den Aufmachern aller TV-Nachrichten im Land]. Der | |
Grund dafür ist eine Silvesterfeier, die mit einem lauten Knall endete. | |
Pozzolo hatte sich spät in der Nacht zu einer eher beschaulichen Party mit | |
wohl 30 Gästen eingefunden, ausgerichtet von der Ortsbürgermeisterin und | |
ihrem Bruder, dem Staatssekretär im Justizministerium, Andrea Delmastro. | |
Mit ihren Familien, mit einigen Lokalpolitikern, alle ebenso wie Delmastro | |
und Pozzolo aus Melonis Partei FdI, dazu mit zwei Begleitschützern des | |
Staatssekretärs ließen sie sich ganz unspektakulär Lasagne und Prosecco | |
munden – bis dann Pozzolo fürs Spektakel sorgte. | |
Erst gegen ein Uhr nachts war er hinzugestoßen auf ein kurzes Prosit. Doch | |
kaum war er da, fiel ein Schuss aus seinem [3][Revolver]. Er traf den | |
31-jährigen Schwiegersohn des Chefs von Delmastros Begleitschutzkommando in | |
den Oberschenkel. Sofort rückten Rettungswagen und Carabinieri an. | |
## Pozzolo bestreitet geschossen zu haben | |
Und ganz Italien war konsterniert. Ein schießwütiger Volksvertreter, der zu | |
Silvester um sich ballert, ganz so, als wäre er ein Camorraboss aus Neapel? | |
So war es wohl nicht, auch wenn sich die Aussagen widersprechen. Zwei | |
Zeugen erklärten, Pozzolo habe die Waffe – ein „Handtaschenrevolver“ im | |
Miniaturformat – herausgeholt, um sie rumzuzeigen. | |
Schließlich hatte er erst im Dezember den Waffenschein erhalten, da er sich | |
wegen seines Engagements für die iranische Opposition und darauffolgende | |
feindselige Posts in den sozialen Medien bedroht gefühlt hatte. Und dann, | |
kaum war der Revolver in seiner Hand, sei gleich darauf der Schuss | |
gefallen. „Fröhlich“ sei der Abgeordnete zuvor gewesen, diverse Zeitungen | |
übersetzten es mit: angetrunken. | |
Pozzolo dagegen behauptet, „ich habe nicht geschossen“. Der Revolver sei | |
aus seiner Jackentasche gerutscht, jemand habe sie aufgehoben – einen Namen | |
nannte er allerdings nicht –, woraufhin sich der Schuss gelöst habe. | |
Doch die Staatsanwaltschaft, die allein gegen ihn ermittelt, glaubt ihm | |
offenkundig nicht, ebenso wie Pozzolos Parteichefin Giorgia Meloni. Sie | |
verfügte die Suspendierung seiner Parteimitgliedschaft und erklärte, | |
Pozzolo habe schlicht „unverantwortlich gehandelt“. | |
Mächtig regte Meloni sich über den ungeschickten Waffennarr aus ihren | |
Reihen auf – doch wir dürfen davon ausgehen, dass ihr Ärger eher dessen | |
Ungeschicklichkeit als seinem Waffenfetischismus galt. Der nämlich gehört | |
in der italienischen Rechten seit je zum guten Ton. | |
## Rechte Waffenfreunde | |
Nichts einzuwenden hatte die Ministerpräsidentin zum Beispiel gegen den | |
Abgeordneten ihrer Partei im Europaparlament, Pietro Fiocchi. Der hatte | |
wenige Tage vor Weihnachten in seiner Heimatstadt Lecco Großplakate mit | |
einem recht besinnlichen Motiv kleben lassen: Fiocchi sitzt im roten | |
Pullover vor dem Christbaum – doch an dem hängen keine Kristallkugeln, | |
sondern Patronenhülsen, passend zum Fest des Friedens. Er verdamme den | |
Krieg, wies Fiocchi jede Kritik zurück, seine Botschaft richte sich an „die | |
Jäger, für deren Rechte ich seit je streite“. | |
Für jene Jäger engagiert sich Italiens Rechte unermüdlich. Im letzten | |
Oktober erst wurde mit den Stimmen von FdI und der rechtspopulistischen | |
Lega im Parlament ein Gesetz durchgeboxt, das – auch wenn die EU es | |
untersagt – den Einsatz von Bleimunition auch in Feuchtgebieten zulässt und | |
das zudem die Möglichkeiten der Justiz beschneidet, gegen zu großzügige | |
Jagdzeiten (die von den Regionen festgelegt werden) einzuschreiten. | |
Denn Italiens Waffenrecht mag zwar recht restriktiv sein. Drei Typen von | |
Waffenscheinen sieht es vor: für die Jagd (das entspricht dem deutschen | |
Jagdschein), für den Schießsport, und schließlich gibt es den „großen“ | |
Waffenschein für den Selbstschutz. Doch allein die Jäger*innen sind rund | |
600.000, auf die Bevölkerungszahl gerechnet ein gegenüber Deutschland | |
doppelt so starkes Heer. Schließlich hat Italien ein „demokratisches“ | |
Jagdrecht: Um zum Ballern durch Wälder zu streifen, braucht man kein | |
Jagdrevier, sondern bloß eine Flinte. Jede*r über 18 Jahren darf überall | |
während der Jagdzeit auf Pirsch gehen. Vor wenigen Wochen aber fiel ein | |
Senator der Fratelli d’Italia mit dem Vorschlag auf, doch auch schon | |
16-Jährigen den Griff zur Jagdwaffe zu gestatten. Daraus wird jedoch | |
nichts, die eigene Partei pfiff den Senator zurück. | |
Jede*r Volljährige darf, sofern keine Vorstrafen vorliegen, den | |
Sportwaffenschein erwerben, der es gestattet, in Schießanlagen auf | |
Zielscheiben oder Tontauben zu schießen, und da kommt mit gut 570.000 | |
Personen eine weitere Armee dazu. Beide Gruppen, das Jagdvolk und die | |
Sportschützinnen, sind die wichtigsten Besuchergruppen auf der jährlich in | |
Verona stattfindenden Waffenmesse. Dort zeigt sich auch Matteo Salvini, | |
Chef der radikal rechten Lega und gegenwärtig Minister für Verkehr und | |
Infrastruktur, immer wieder gern. Und im Februar 2019 – damals war er | |
Innenminister – ließ er sich auf der Messe mit einem Gewehr im Anschlag | |
ablichten, während er ausführte, sein Anliegen sei es, „denen nicht das | |
Leben zu erschweren, die eine Waffe besitzen“. Fotos dieser Sorte gibt es | |
auf der Rechten immer wieder, zum Beispiel von der | |
FdI-Verteidigungs-Staatssekretärin Isabella Rauti, die sich vor knapp einem | |
Jahr mit einer Maschinenpistole bewaffnet ablichten ließ. | |
Weiterhin aber gilt in Italien, dass nur jene Personen immer eine Waffe mit | |
sich führen dürfen, die den großen Waffenschein haben, und das sind, außer | |
rund 40.000 Beschäftigten von Wachdiensten und Sicherheitstransporten, im | |
ganzen Land nur knapp 12.000 Personen. Vorneweg Menschen, die – etwa als | |
Juweliere – ein konkretes Risiko laufen, Opfer von Überfällen zu werden. | |
Eigentlich spricht nichts gegen dieses restriktive Modell: Italien gehört | |
mit 325 Mord- und Totschlagsfällen im Jahr 2022 welt- und auch europaweit | |
zu den sichersten Ländern, mit seit Jahren konstant fallender Tendenz. | |
## Schießen aus Notwehr | |
Italiens Rechte halten solche Fakten nicht davon ab, regelmäßig die | |
angeblich wachsende Unsicherheit im Land zu beklagen und Stimmung für jene | |
zu machen, die mit der Waffe in der Hand Notwehr, bisweilen auch | |
Selbstjustiz üben. | |
Als Innenminister hatte Salvini im Jahr 2019 zur „legitimen Verteidigung“, | |
so heißt die Notwehr im italienischen Strafrecht, verfügt, „die | |
Verteidigung“ sei „immer legitim“. Und das meint er so. Als im Jahr 2019 … | |
letzter Instanz ein Unternehmer zu 4 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt | |
wurde, weil er einen schon wehrlosen und vor ihm knienden Dieb erschossen | |
hatte, solidarisierte sich der damalige Innenminister mit dem Todesschützen | |
und besuchte ihn umgehend im Gefängnis. | |
Und er setzte ein neues Gesetz durch, wonach Notwehr „immer“ gegeben ist, | |
wenn eine überfallene Person zu Hause oder in der Firma zur Schusswaffe | |
greift. Doch selbst diese Gesetzesänderung rettete den Juwelier Mario | |
Roggero nicht vor der Verurteilung. Er war nach einem in seinem Laden | |
verübten Raubüberfall den fliehenden Tätern auf die Straße gefolgt und | |
hatte zwei von ihnen erschossen, mehr noch: Er trat dann mehrfach auf den | |
Kopf eines der Sterbenden ein. Siebzehn Jahre Haft verhängte das Gericht in | |
Asti im Dezember letzten Jahres gegen ihn, denn es sah nicht Notwehr, | |
sondern Totschlag als gegeben an. | |
Zu einem völlig anderen Urteil war schon im Jahr 2021 direkt nach der Tat | |
Giorgia Meloni gekommen, damals noch Oppositionsführerin im Parlament. „Ich | |
werde es immer wiederholen, Verteidigung ist immer legitim“, erklärte sie. | |
„Meine Solidarität und die der Fratelli d’Italia“ gelte dem Juwelier. | |
Jetzt, nach dem Urteil, macht die Rechte erneut mobil. Der führende | |
Lega-Politiker Andrea Crippa wetterte, das Urteil sei „eine Schande für den | |
Staat“. Und auch der Fraktionsvorsitzende der FdI im Senat beklagte das | |
angebliche Fehlurteil, dessen Signal es sei, „dass es keine Gerechtigkeit | |
für die gibt, die Unrecht erlitten haben“. | |
In ihrer „Feuer frei!“-Rhetorik ließen sich die Politiker*innen der | |
italienischen Rechten selbst durch Amokläufe in den USA nicht bremsen. | |
Ausgerechnet jener Manuele Pozzolo, der jetzt mit dem Schuss auf der | |
Neujahrsparty aufgefallen war, wies nach einem Collegeblutbad in Oregon im | |
Jahr 2015 mit neun Opfern den damaligen US-Präsidenten in einem | |
Twitter-Post zurecht: „Für Obama ist es immer Schuld der Waffen. Doch ich | |
habe noch nie eine Pistole gesehen, die von allein geschossen hätte.“ | |
Diesmal jedoch behauptet Pozzolo, er habe nicht abgedrückt, ohne aber einen | |
anderen Verdächtigen zu nennen. Ein Revolver, der „von allein geschossen“ | |
hat, käme ihm mehr als recht. | |
11 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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