# taz.de -- Wärmewende: Wärme aus der Tiefe | |
> Probebohrungen sollen das Potenzial von Geothermie austesten. Der Bedarf | |
> an grüner Energie ist riesig, sowohl für die Forschung als auch fürs | |
> Heizen | |
Bild: Tag der offenen Baustelle in Potsdam. Rund 2000 Meter soll in die Tiefe g… | |
Berlin taz | Auf dem Wissenschafts-Campus in Buch frisst die Forschung viel | |
Energie. Hier im Norden, fast an der Grenze zu Brandenburg, müssen | |
Kühlschränke für Bakterienproben auf –80 Grad Celsius gekühlt oder in | |
Laboren achtmal pro Stunde komplett die Luft getauscht werden. „Das ist | |
natürlich ein wahnsinniger Energieverbrauch“, sagt die Geschäftsführerin | |
des Campus, Christina Quensel. „Aber das lässt sich im Laborbereich nicht | |
vermeiden.“ Sie führt über den Campus und präsentiert stolz den neu | |
gebauten „Berlin-Bio-Cube“: Auf fünf Stockwerken sollen sich hier bald | |
Biotech-Unternehmen ansiedeln und forschen. Mit dem wachsenden Campus | |
dürfte auch der Energiebedarf weiter steigen. | |
Und das ist ein Problem. Denn bislang erhält der Campus seine Wärme aus dem | |
nahegelegenen Heizkraftwerk Buch. Bis vor Kurzem verwendete der | |
Energiekonzern Vattenfall dort zur Strom- und Wärmeerzeugung vor allem | |
Methangas, das beim Abbau von Müll in einer Brandenburger Deponie entstand. | |
Seitdem die Deponie stillgelegt wurde, kommt in dem Kraftwerk aber immer | |
mehr klimaschädliches Erdgas zum Einsatz. | |
Quensel denkt deshalb über Alternativen nach. „Wir würden uns sehr freuen, | |
wenn die Fernwärme, die wir bekommen, grün ist“, sagt sie. Der Campus | |
erforscht deshalb nun das Potenzial zur Energiegewinnung aus Erdwärme. | |
Dabei handelt es sich um im Inneren der Erde gespeicherte Wärme, die etwa | |
durch nukleare Zerfallsprozesse im Erdkern freigesetzt wird – und dabei | |
auch das Grundwasser erwärmt. Wärmepumpen hingegen nutzen die niedrigeren, | |
aber konstanten Temperaturen kurz unter der Erdoberfläche. | |
Auf der Vulkaninsel Island etwa dringt diese Wärme bis an die Oberfläche. | |
Will man aber in Deutschland im großen Stil Geothermie nutzen, muss man | |
zunächst kilometertief in die Erde bohren, in der Hoffnung, auf ein | |
geeignetes Wasserreservoir zu stoßen. Das warme Wasser wird dann von dort | |
an die Oberfläche gepumpt, wo man damit heizen oder eine Turbine antreiben | |
und Strom erzeugen kann, bevor es in das Tiefenreservoir zurückfließt. | |
## Der Senat steuert dafür insgesamt sechs Millionen Euro bei | |
Der Campus erhält über sein Projekt RENEWAC nun Förderung vom Land. Neben | |
der Urban Tech Republic auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel und | |
dem Fernheizwerk Neukölln wählte der Senat Buch als Ort für Bohrungen. | |
Frühestens 2025 sollen die Maschinen hier beginnen, sich in den Untergrund | |
zu graben. | |
Der Senat steuert dafür insgesamt sechs Millionen Euro aus dem | |
Innovationsfonds bei. Die Politik sieht Fernwärme wieder vermehrt als | |
Alternative zum individuellen Heizen mit Wärmepumpen. In Berlin sind 1,4 | |
Millionen Wohnungen an das Fernwärmenetz angeschlossen, das das Land in | |
diesem Jahr von Vattenfall zurückkaufen will. Im nächsten Schritt gilt es, | |
das heute überwiegend fossil betriebene Netz zu dekarbonisieren – hier soll | |
die Geothermie helfen. | |
Doch wo eignet sich der Berliner Untergrund überhaupt, um nach Tiefenwärme | |
zu bohren? Um diese Frage zu beantworten, arbeitet die Campusleitung in | |
Buch mit Wissenschaftler:innen am Geo-Forschungs-Zentrum in Potsdam | |
zusammen. Magdalena Scheck-Wenderoth erforscht dort das Tiefenreich unter | |
Berlin und erstellt 3-D-Modelle, die zeigen können, wo man am ehesten | |
warmes Wasser findet. | |
Auf der Grundlage vergangener Bohrungen – etwa noch aus DDR-Zeiten – kann | |
sie abschätzen, welche Steine sich in welcher Tiefe finden lassen. „Wir | |
wissen, dass die Steine Eigenschaften haben – wie Wärmeleitfähigkeit – und | |
auch radiogene Wärme produzieren. Das alles ergibt dann ein | |
Temperaturbild“, sagt Scheck-Wenderoth in ihrem Büro in Potsdam. In den | |
oberen Kilometern fließe Wasser im Porenraum, das auch die Wärme und Kälte | |
transportiert. Die Geologin deutet auf ein Untergrundmodell Brandenburgs. | |
Das Besondere hier sei der hohe Salzgehalt. „Salz ist besonders, weil es | |
super leitfähig ist, aber gleichzeitig undurchlässig. Das ist für das | |
Temperaturfeld wichtig.“ | |
## Mut macht eine erfolgreiche Probebohrung in Potsdam | |
Neben Daten aus bisherigen Bohrungen stützt sich Scheck-Wenderoth für ihr | |
Modelle auch auf weitere geophysikalische Messungen. „Man misst da | |
Schallwellengeschwindigkeiten im Untergrund, so ähnlich wie beim | |
Ultraschall am Menschen, nur mit anderen Wellenlängen und Frequenzen.“ Mit | |
magnetischen, elektrischen oder gravimetrischen Methoden lässt sich das | |
Modell weiter verbessern. | |
Absolute Gewissheit aber liefert die Prognose nicht. Die bringt alleine die | |
Bohrung. Mut macht ihnen eine erfolgreiche Probebohrung in Potsdam. Dort | |
wollte der städtische Energieversorger mehr als zwei Kilometer tief in den | |
Buntsandstein bohren, um dort 60 Grad warmes Wasser anzuzapfen. Dabei | |
stießen sie auf eine Schicht aus Aalen-Sandstein in nur einem Kilometer | |
Tiefe. | |
Das Wasser dort ist zwar nur 47 Grad warm. Trotzdem kann mehr warmes Wasser | |
gefördert werden, wie Daniel Acksel vom GFZ erklärt: „Die Energie ist | |
abhängig von der Wassertemperatur, aber auch vom Volumenstrom, also der | |
Menge an Wasser, die durchfließt.“ Weil der Stein in Potsdam durchlässiger | |
ist, kann zweieinhalbmal mehr heißes Wasser gefördert werden als | |
ursprünglich angenommen. Damit können – statt wie erhofft 3.200 – nun sog… | |
6.900 Potsdamer Haushalte mit Wärme versorgt werden. | |
Garantiert ist der Erfolg jedoch nicht, weshalb private Konzerne oft vor | |
den kostspieligen Investitionen zurückschrecken. Daher ist der Staat | |
gefragt. Eine Studie der Investitionsbank Berlin kam jüngst zu dem Schluss, | |
dass das Land über sieben Jahre 4,2 Milliarden Euro investieren müsste, um | |
ein Fünftel seines Wärmebedarfs mit Geothermie zu decken – und damit zudem | |
3.200 dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Das Potenzial der Erdwärme ist | |
also groß – der einzige Weg ist sie aber kaum. „Man wird mit tiefer | |
Geothermie nicht komplett alles ersetzen können“, resümiert Christina | |
Quensel mit Blick auf den Campus in Buch. „Aber es ist ein wichtiger | |
Baustein.“ | |
4 Jan 2024 | |
## AUTOREN | |
Leon Holly | |
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