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# taz.de -- Neurowissenschaft und Glück: „Den inneren Arzt stärken“
> Tobias Esch hat ein Modell ins Leben gerufen, das dem Ärztemangel
> entgegenwirken könnte. Nebenwirkungen: Gesundheitskompetente
> Patient*innen.
Bild: Jeder hat die Möglichkeit seinen inneren Arzt zu aktivieren
taz: Herr Professor Esch, Sie haben an der Universität Witten/Herdecke eine
Universitätsambulanz gegründet, in deren Rahmen Sie den Beruf der
„Therapeut*innen für Gesundheit“ geschaffen haben. Was machen die?
Tobias Esch: Unter Anleitung unserer Therapeut*innen für
Gesundheitsförderung lernen die Patient*innen Techniken aus den
Bereichen [1][Stressbewältigung] und [2][Achtsamkeit] bzw.
Mind-Body-Medizin, die sie in ihren Alltag integrieren können, um so ein
ganzes Stück weit selbst Einfluss auf die Gesundheit zu nehmen. Das
Ergebnis ist eine nachweisbare Stärkung der Stressresistenz und allgemeine
Verbesserung der Gesundheit. Insbesondere bei chronischen Erkrankungen, die
oft den Lebensalltag der Betroffenen massiv beeinflussen, kann die
Anwendung der erlernten Strategien zu einer nachhaltigen Besserung des
Wohlbefindens führen.
Wie unterscheidet sich so ein Gespräch von einem ärztlichen
Anamnesegespräch?
Diese Art der Selbstreflexion stärkt das, was wir „den inneren Arzt“
nennen. Am Ende geht es darum, die Menschen zur Selbsthilfe zu ermächtigen.
Wir sprechen in unserem Forschungsprojekt an der Uni Witten/Herdecke auch
von Integrativer Gesundheitsversorgung oder Integrativer
Gesundheitsförderung. Das hat nichts mit Alternativmedizin oder Esoterik zu
tun. Das Schöne daran ist, dass die Patient*innen die Erfahrung machen,
dass sie selbst die Expert*innen für ihre eigene Gesundheit sind. Aus
unserer Erfahrung und Forschung wissen wir, wie wichtig und auch befreiend
es sein kann, selbst aktiv die eigene Gesundheit mitzubeeinflussen. Die
Erfahrung zeigt, dass man in der Gruppe oft besonders gut seine
persönlichen Ziele erreichen kann. Wir haben jetzt in Witten sogar einen
Kurs, in dem die Leute, die den initialen Acht-Wochen-Kurs durchlaufen
haben, danach selbst als Co-TherapeutInnen auftreten.
Ihr Modellprojekt ist bereits von den Kassen anerkannt und finanziert. Hat
es Zukunft?
Ich glaube schon. Die Ärzt*innen werden entlastet, weil die Betreuung auf
mehrere Schultern verteilt wird. Die Tätigkeit als Therapeut*in für
Gesundheit ist sehr attraktiv zum Beispiel für Menschen, die frustriert aus
der Pflege rausgehen. Sie glauben gar nicht, was für eine Freude und
Zufriedenheit dabei entsteht, in diesem Bereich und auf diese Weise
integrativ und teambasiert – patientenzentriert – zu arbeiten.
Sie sind Mediziner und als sogenannter Glücksforscher in den Medien
bekannt. Sie erforschen Themen wie Achtsamkeit, Meditation,
Selbstwirksamkeit und Selbstheilung, die oft der alternativen Medizin
zugeschrieben werden.
Ich sehe mich nicht als Alternativmediziner. Ich bin jemand, der aus dem
Maschinenraum der Schulmedizin kommt. Und der Wissenschaft. Ich finde den
Begriff Glücksforscher auch oberflächlich. Klingt nach rosaroter Brille.
Sie haben den Begriff Neurobiologie des Glücks geprägt. Was ist darunter zu
verstehen?
Im Labor, wo wir Zellen untersuchen, haben wir bestimmte
Belohnungsbotenstoffe im menschlichen Gehirn gefunden. Botenstoffe, die
auch in der lebenszeitlichen Entwicklung auseinander hervorgehen. Da sind
etwa Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin oder auch endogene Opiate zu
nennen. Demnach kennen wir drei Formen des Glücks, die sich über die
menschliche Lebenszeit unterschiedlich verteilen. Das erste nennen wir das
Wollen-Glück, das jugendliche Glück. Dieser Zustand ist stark mit Vorfreude
und Euphorie verbunden. Das zweite ist das Vermeidungs-Glück. Es ist das
Glück der Erleichterung nach Stresssituationen. Dabei sind andere
Hirnstrukturen aktiv als beim euphorischen Glück. Es ist vor allem das
Glück der mittleren Lebensphase. Die dritte Form des Glücks ist die
Zufriedenheit. Es ist ein Glück des Daseins. Dieser Zustand kann sowohl von
den Botenstoffen her, als auch in den Hirnstrukturen, die beteiligt sind,
von den anderen Formen des Glücks unterschieden werden. Im Zustand der
Zufriedenheit spielt beispielsweise endogenes Morphium mutmaßlich eine
Rolle. Dieses stellt quasi ein Endprodukt der Glückssequenz dar, auch
biochemisch, es charakterisiert fast symbolisch das Glück reiferer
Lebensphasen. Es ist auch das Glück der Älteren. Die Glückseligkeit des
Ankommens.
Was ist damit gemeint?
Eine Art von Glück, die darauf beruht, dass ich weder etwas haben muss noch
mich gegen etwas verteidigen oder durchsetzen muss. Es ist in dieser
Lebensphase messbar größer. Damit ist auch das Glück der Verbundenheit,
eben jenes Gefühl des Angekommenseins, gemeint.
Ich kenne allerdings viele Menschen, die mit der drohenden
Bedeutungslosigkeit im Alter hadern. Sie fühlen sich nicht mehr gesehen.
Ja, das kommt sicher auch vor. Aber vor allem gibt es das
Zufriedenheitsparadoxon: Trotz körperlicher Gebrechen scheinen die Menschen
im Alter zufriedener zu sein. Das macht Sinn, weil der Körper nun mal
vergänglich ist. Deswegen haben diese ineinander übergehenden drei Formen
des Glücks auch eine biologische Logik.
Wie sind Sie als Mediziner überhaupt auf die Frage des Glücks gestoßen?
Das war anfangs überhaupt nicht mein Thema. Aber als Pflegehelfer bei
unseren PatientInnen ist mir damals schon aufgefallen, dass einige Menschen
selbst mit den schwersten Krankheiten ihren Frieden machen konnten. Sie
konnten die Krankheit loslassen und in Frieden gehen. Dann war es für alle
Beteiligten nicht mehr so furchtbar. Ich habe mich gefragt: Was versetzt
Menschen im Angesicht von Tragödie und schwerem Leid in die Lage, trotzdem
sich selbst und ihre Angehörigen zu trösten? Und wieso schaffen manche das
und andere nicht?
Ist das für die Medizin überhaupt relevant?
Ja, ich denke schon. Für die Gesundheit gibt es in der Medizin objektive
Kriterien. Man misst den Blutdruck und die Temperatur, untersucht den
Stuhlgang und schaut nach körperlichen und psychischen Symptomen. Wir fügen
nun eine vierte Dimension hinzu: Die Selbstheilung, die subjektive
Bedeutungsdimension. Das ist ein zentraler Punkt unserer Forschung. Neben
dem äußeren Arzt gibt es auch den inneren Arzt.
Und den befragen Sie?
Genau. Der muss sich fragen: Wofür stehe ich morgens auf? Wovor habe ich
Angst? Wo zieht es mich hin? Was sind die Dinge, Orte, Aktivitäten, mit und
an denen ich glücklich bin?
Die Frage „Wofür stehen Sie morgens auf?“ stellen Sie in ihrem neuesten
Buch mit eben diesem Titel. Geht es um die Sinnfrage?
Genau, es geht um Sinnlichkeit und Bedeutung. Um das, was das Leben heute
bereithält, nicht morgen und nicht gestern. Um die Tatsache, dass ich da
bin und dass ich diesem Tag durch meine pure Existenz einen Sinn geben
kann. Nicht so sehr, weil ich so furchtbar sinnvoll bin. Aber ich bin da,
und das ist wunderbar.
Als Gründe für Burnout gelten beispielsweise ständiger Leistungsdruck, zu
viel oder zu wenig Verantwortung oder Zukunftsängste. Sie aber sehen in
Burnout eine Art Sinnerkrankung. Warum?
Ich behaupte: Beim [3][Burnout] finde ich meine Essenz nicht wieder. Ich
verliere mich, ich erkenne mich nicht wieder und habe keine Resonanz mit
der Welt, weil ich deren Sinnhaftigkeit nicht mehr sehe. Es gibt einen
inneren Stau, weil sich die Betroffenen nicht ausleben und spüren können.
Wenn wir Menschen mit Burnout diesen Resonanzraum wiedergeben, dann füllen
sie – im Gegensatz zu jemandem mit einer Depression – ihn aus. Der
Depressive hat tatsächlich eine stark eingeschränkte Motivation. Das
Belohnungssystem selbst ist erkrankt. Unglücks-Erkrankungen sind solche,
die entweder mit fehlender Sinnhaftigkeit einhergehen oder dem Gefühl,
nicht verwurzelt zu sein.
Sie sagen, auch für den Selbstheilungsprozess sei der Placebo-Effekt
durchaus nachweisbar?
Da das Gehirn ein Organ ist, also Teil des Körpers, ist der Placeboeffekt
nicht rein psychologisch oder subjektiv. Er ist ebenso körperlich. Er ist
messbar, planbar, in großen Teilen vorhersagbar. Die praktische Quintessenz
von Placeboeffekt und Selbstheilung: Ohne mich, ohne uns selbst, ohne das
Individuum, um das es geht, wird Gesundheit nur schlecht funktionieren.
Nutzen wir dieses Potential nicht aktiv, so verschwenden wir ein großes
Heilungspotenzial.
11 Jan 2024
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## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
Gesundheit
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