# taz.de -- Debatte: Was Glücksforschung kann | |
> Ein neuer Zweig der Sozialwissenschaften liefert den Regierungen künftig | |
> Rezepte für zufriedene Bürger. Das klingt überaus verlockend, doch so | |
> einfach ist es leider nicht | |
Bild: Jeder hat die Möglichkeit seinen inneren Arzt zu aktivieren | |
Die "Glücksforschung" - ein neuer Zweig in den Sozial- und | |
Wirtschaftswissenschaften - hat festgestellt, dass in Staaten wie Dänemark, | |
der Schweiz oder Österreich die Menschen besonders zufrieden sind. Dieser | |
Befund leuchtet vielen Menschen in Deutschland ein, die davon überzeugt | |
sind, dass beispielsweise die skandinavischen Länder Vorbild für die | |
deutsche Politik sein könnten. Aber kann man aus derartigen Befunden | |
wirklich Entscheidungshilfen zur Steigerung der Lebenszufriedenheit in | |
Deutschland ableiten? Letztlich sagt das Ergebnis des internationalen | |
Vergleichs nur, dass ganz unterschiedliche Ausgestaltungen der Gesellschaft | |
und des Sozialstaates zum Ziel führen können, wenn man sich etwa die | |
institutionellen Unterschiede zwischen der Schweiz und Dänemark klar macht. | |
Betrachtet man sich die Ergebnisse der Glücksforschung genauer, kann man | |
aus Detailbefunden durchaus politisch sinnvolle Schlussfolgerungen ziehen, | |
wenn man sich gleichzeitig die Grenzen dieser Forschung bewusst macht. Die | |
folgenden Befunde und Schlussfolgerungen beruhen alle auf der für | |
Deutschland repräsentativen Längsschnittstudie "Sozioökonomisches Panel", | |
die die Zufriedenheit von Personen und Schichten erfasst. | |
Wie vorsichtig man mit politischen Schlussfolgerungen aus der | |
"Glücksforschung" sein muss, zeigt der Befund, dass Menschen, die eine | |
ehrenamtliche Tätigkeit ausüben, zufriedener sind als andere. Aber dadurch | |
ist keineswegs bewiesen, dass ehrenamtliche Tätigkeit auch diejenigen, die | |
erst durch politische Maßnahmen ein Ehrenamt annehmen würden oder gar sanft | |
- im Sinne der "Brave New World" von Aldous Huxley -dazu gedrängt würden, | |
zufriedener machen würde. | |
Hintergrund für politische Schlussfolgerungen, die man vernünftigerweise | |
ziehen kann, ist die generelle Erkenntnis der Zufriedenheitsforschung, dass | |
es trotz eines positiven Zusammenhangs zwischen Einkommen und Zufriedenheit | |
in modernen Wohlfahrtsstaaten (die also bereits ein beachtlich hohes | |
Einkommensniveau erreicht haben) weniger auf die absoluten Einkommen als | |
auf die relativen Einkommenspositionen innerhalb der Bevölkerung ankommt. | |
Eine Einkommenserhöhung steigert insbesondere dann die Zufriedenheit, wenn | |
sie zu einer relativen Positionsverbesserung führt. Der Haken an der Sache | |
ist: Wenn jemand innerhalb der Einkommenshierarchie aufsteigt, dann muss | |
zwangsläufig ein anderer an Status verlieren. | |
Es können nicht alle gleichzeitig an der Spitze der Einkommenshierarchie | |
stehen. Das Einkommensglück des einen geht also zu Lasten eines anderen in | |
einer Gesellschaft. Das heißt: eine Politik, die in ohnehin schon reichen | |
Gesellschaften, wie es die Gesellschaft in Deutschland nach wie vor ist, | |
allein auf Einkommenserhöhungen setzt, kann die Bevölkerung nicht | |
nachhaltig zufriedener machen. Man kann daraus aber auch nicht die | |
Schlussfolgerung ziehen, dass es auf das Einkommen gar nicht ankommt. Aber | |
andere Bereiche, wie ein Arbeitsplatz und die damit verbundenen sozialen | |
Kontakte, sind mindestens genauso wichtig. | |
Die Grenzen der "Glücksforschung" werden aber auch deutlich, wenn man die | |
durchaus zutreffende Schlussfolgerung zieht, dass eine hohe Besteuerung von | |
Spitzeneinkommen, die Lebenszufriedenheit der Betroffenen kaum mindern | |
würde, da hohe Einkommen nicht glücklich machen. Freilich ist aber noch | |
nicht erforscht, ob eine deutlich höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen | |
dazu führen würde, dass weniger in Bildung investiert wird, weil sich das | |
ja weniger lohnen würde. Dadurch könnte wiederum das | |
Arbeitslosigkeitsrisiko steigen. Und Arbeitslosigkeit wirkt - so zeigen die | |
Befunde eindeutig - auf die Lebenszufriedenheit fast so schlimm wie die | |
Hilflosigkeit, die mit schwerer Pflegebedürftigkeit verbunden ist. | |
Dass Arbeitslosigkeit nachhaltig schmerzt und dauerhafte seelische Narben | |
hinterlässt, ist für viele Menschen keine Überraschung. Für viele Ökonomen | |
jedoch durchaus. Die Chicago-Ökonomen behaupten per Modellannahme ja sogar, | |
dass Arbeitslosigkeit immer freiwillig gewählt sei. Das stimmt aber - und | |
das ist empirisch äußerst solide bewiesen - nicht. | |
Nach den Ergebnissen der Zufriedenheitsforschung führt deswegen eine | |
Ausweitung öffentlicher Beschäftigungsmaßnahmen, neben der | |
gesellschaftlichen Reintegration Langzeitarbeitsloser, zu einem Ansteigen | |
von Zufriedenheit. Auf der anderen Seite kosten öffentlich geförderte Jobs | |
den Steuerzahler aber Geld und es können normale Arbeitsplätze verdrängt | |
werden. Offenkundig ist die Gesamtbilanz nicht eindeutig, und die Politik | |
muss entscheiden, was sie will. | |
Ein glasklarer Befund der Zufriedenheitsforschung ist auch, dass Pendeln | |
zum Arbeitsplatz - je weiter weg und je länger man das macht - die | |
Lebenszufriedenheit reduziert. Offenbar schätzen Leute, die sich zum | |
Pendeln entschließen, die langfristigen Folgen nicht richtig ein. Es wäre | |
aber offenkundig sinnlos, Pendeln zu verbieten. Die Politik kann allenfalls | |
mit klugen Informationskampagnen auf die schädlichen Folgen aufmerksam | |
machen und Anreize setzen, weniger zu pendeln. Etwa durch Abschaffung der | |
Pendlerpauschale. Eine solche Abschaffung trägt aber kurzfristig - wie wir | |
wissen - nicht zur Beliebtheit einer Regierung bei, da viele Pendler ja | |
nicht sofort einen neuen Arbeitsplatz finden. Neben den negativen | |
psychischen Folgen des Pendelns haben sie dann obendrein noch weniger Geld | |
in der Tasche. | |
Würde man die Wohnungsmärkte flexibler machen, um etwa Umzüge zu | |
erleichtern, kann man das Pendeln zum Arbeitsplatz mitunter auch | |
reduzieren. Aber flexible Wohnungsmärkte reduzieren zugleich den | |
Mieterschutz und das ist politisch zweischneidig. | |
Die jüngste Zufriedenheitsforschung hat insbesondere auch gezeigt, dass der | |
Mensch sich nicht an alle widrigen Lebensumstände anpasst - was von vielen | |
Psychologen und im Volksmund behauptet wird. Vielmehr heilt die Zeit nicht | |
alle Wunden. So schmerzt Arbeitslosigkeit sehr lange. | |
Und noch mehr leiden Menschen darunter, wenn sie als Erwachsene eine | |
Behinderung erleiden. Eine Politik, die Unfälle und damit Behinderungen so | |
gut es geht vermeidet, erspart vielen Menschen lebenslange Unzufriedenheit. | |
Die Bedeutung von Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz und in der | |
Freizeit, insbesondere auch im Straßenverkehr, kann gar nicht überschätzt | |
werden. Die geplante Reform der gesetzlichen Unfallversicherung, die die | |
Prävention stärken soll, geht in die richtige Richtung. | |
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Zufriedenheitsforschung, dass in den | |
meisten Politikbereichen politischer Gestaltungswille gefragt ist und nicht | |
eine technokratische Umsetzung eines für sich genommen eindeutigen | |
wissenschaftlichen Ergebnisses. | |
13 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Schupp | |
Gert Wagner | |
## TAGS | |
Gesundheit | |
Glück | |
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