# taz.de -- Unabhängige Gefangenenzeitung: Elegant und bissig | |
> Der „Lichtblick“ ist zurück. Spätestens Weihnachten dürften die | |
> Gefangenen das erste Heft der neuen Redaktion erhalten. Digital ist es | |
> schon jetzt abrufbar. | |
Bild: Redaktion der Gefangenenzeitung „Der Lichtblick“ der JVA Tegel | |
BERLIN taz | Es ist kalt, Schnee liegt auf den Höfen der [1][JVA Tegel]. | |
Türen werden vor einem auf- und hinter einem zugeschlossen, es geht | |
treppauf und treppab, dann hat man sie erreicht – die Redaktionsräume der | |
unabhängigen Gefangenenzeitung Lichtblick. Die erste Ausgabe, die die neue | |
Redaktion weitgehend in Eigenregie erstellt hat ist, fertig. | |
Bis die Zeitung gedruckt und in den Haftanstalten ausgeliefert ist, werden | |
vermutlich noch ein paar Tage vergehen. Spätestens Weihnachten dürften die | |
Gefangenen das neue Heft aber in den Händen halten. Nicht inhaftierte | |
Abonnenten und Abonnentinnen können die Texte schon jetzt auf der Homepage | |
des Lichtblicks lesen, möglichst gegen eine Spende. | |
Es mutet immer noch wie ein kleines Wunder an, dass es den Lichtblick, | |
Deutschlands einzige unabhängige Gefangenenzeitung, wieder gibt. Die | |
Kurzversion der Ereignisse geht so: Wegen mutmaßlich krimineller | |
Machenschaften eines Redakteurs war die frühere Redaktion nach einer | |
polizeilichen Durchsuchung Ende August 2022 geschlossen worden. [2][Ein | |
Hilferuf des unabhängigen Berliner Vollzugsbeirats hatte die | |
taz-Panterstiftung erreicht]. Ob diese beim Aufbau einer neuen Redaktion | |
helfen könne? taz-Redakteurinnen und Redakteure hatten in Tegel daraufhin | |
einen Zeitungsworkshop für interessierte Gefangene veranstaltet. Aus einer | |
Gruppe von 14 Teilnehmern wurden dann vier Gefangene für die neue Redaktion | |
bestimmt. | |
Wärme empfängt einen, wenn man die Redaktionsräume in der vergangenen Woche | |
betritt. Die Heizung im Knast ist voll aufgedreht, aber es ist auch ein | |
herzlicher Empfang. Man kennt sich aus dem Workshop, ohne den es den | |
Lichtblick heute wohl nicht mehr gebe. Adrian U., Steffen K. und Peter M., | |
42, 34 und 62 Jahre alt, bilden die neue Redaktion. Der Vierte im Bunde ist | |
ausgeschieden, über die Gründe sei Stillschweigen vereinbart worden, heißt | |
es. | |
## Wenig Platz in der Redaktion | |
Viel Platz ist nicht in der Doppelzelle, die mit Schreibtischen, | |
Computertechnik, Drucker und Telefonfestnetz ausgestattet ist. | |
Selbstgebastelte Weihnachtssterne schaukeln an der Lampe, im Regal sind | |
Gesetzestexte aufgereiht. Die Seitenfolge der ersten Ausgabe hängt am | |
Flippchart. | |
Den Lichtblick zu machen ist eine große Verantwortung. [3][Seit 56 Jahren | |
gibt es das traditionsreiche Blatt, das bundesweit in einer Auflage von | |
7.500 Exemplaren erscheint]. Nicht nur Gefangene haben es abonniert. In | |
Deutschland ist es die einzige unabhängige Gefangenenzeitung, die innerhalb | |
eines Gefängnisses produziert wird. | |
Eine goldglänzende „1“ ziert das Cover der ersten Ausgabe. Wie die | |
Nullnummer, die im taz-Panterworkshop entstanden ist, ist das Deckblatt | |
weiß und schlicht. 63 Seiten umfasst die Ausgabe. War der Lichtblick früher | |
ein buntes, unübersichtliches Sammelsurium, ist er nun übersichtlich und | |
entschlackt. Die Überschriften sind Grün. Fotos und grafischer Gestaltung | |
sind viel Platz eingeräumt worden. Die neue Eleganz bedeute aber nicht, | |
dass der Lichtblick weniger bissig sei, betonen die Redakteure. | |
Erhalten geblieben sind die Kontaktanzeigen, die Chiffreabteilung, wie sie | |
genannt wird. Für die Abonnenten, die im Knast sitzen, sei das extrem | |
wichtig. 130 Inserate verteilt auf sieben Seiten gibt es. Auch die | |
Doppelseite mit dem Pinup-Girl – diesmal sind es sogar zwei – ist erhalten | |
geblieben. Und für diejenigen, die Männer mögen, gibt es einen Pinup-Boy, | |
allerdings nur auf einer Seite. Das Pinup abzuschaffen, wäre ein Tabubruch. | |
Viele Gefangene würden die Seiten raustrennen und in ihr Zimmer hängen. | |
Zimmer? Ja. Das klinge viel angenehmer als Zelle oder Haftraum, erklären | |
die Redakteure. Denn auch das sei Anliegen des Lichtblick: „Wir wollen | |
Verwaltungssprech vermeiden und auch damit die Barrikade zwischen drinnen | |
und außen auflösen.“ | |
## Gut recherchiert | |
Wie viel Arbeit und Mühe in der ersten Ausgabe steckt, können vermutlich | |
nur Leute ermessen, die sich mit Zeitungsmachen auskennen. Der | |
Aufmachertext ist eine gründlich recherchierte Geschichte über die Folgen | |
des Fundes einer Knallkartusche in der Schlosserei in der JVA Tegel. Der | |
Verfasser hat mit vielen Menschen geredet, Anfragen an die Justizverwaltung | |
geschickt. Auf drei Seiten dröselt er minutiös auf, dass die Anschuldigung | |
gegen einen Gefangenen, der im Text als B. bezeichnet wird, vermutlich | |
haltlos war. Es habe auch nie eine Anklage, geschweige denn ein | |
Strafverfahren gegen ihn gegeben. Dennoch sei B. 78 Tage in Tegel auf der | |
Sicherungstation B1 isoliert worden. | |
Was die Sicherungsstation B1 ist, erklärt der [4][Vorsitzende des Berliner | |
Vollzugsbereirats Olaf Heischel] im Text daneben. Die Überschrift: „Die | |
Zellen für die Bösen“. Ein gelungener Themenschwerpunkt, Profis hätten es | |
kaum besser machen können. | |
Die „gigantische Verantwortung“ sei ihr bewusst, schreibt die Redaktion im | |
Editorial. Jeder ankommende Brief, jedes Telefonat offenbare eine | |
„unüberschaubare Dimension“ der Missstände in Deutschlands Haftanstalten, | |
im Maßregelvollzug und in den Häusern für Sicherungsverwahrte. Unzählige | |
wichtige Themen hätten sie auf dem Tisch, die Auswahl sei da nicht einfach. | |
## Die Technik ist kompliziert | |
Eine im Vergleich zu alten Lichtblick-Ausgaben ungewöhnliche Mischung | |
findet sich im Blatt. „Beerdigung neu gedacht“ lautet eine Überschrift. | |
„Was, wenn Angehörige versterben und Du bist im Knast?“ Es gibt einen | |
Bericht über PrisonWatch, eine Vereinigung, die aus den USA kommt. Die | |
Informationen wurden nicht irgendwo abgeschrieben, der Autor hat persönlich | |
mit Mitgliedern des deutschen Ablegers von PrisonWatch gesprochen. | |
Überrascht hat auch, dass der unabhängige Polizeibeauftragte Alexander | |
Oerke den Lichtblick besucht hat. Auch dazu gibt es einen Text. | |
Zufrieden und auch glücklich, dass es geschafft ist, sind die drei | |
Redakteure. Alleine, ohne Unterstützung von außen wären sie mit der Technik | |
aber nicht klargekommen, sagen sie. | |
Jörg Kohn, Layouter der taz und Metin Yilmaz, Redaktionscoach, bestätigen | |
das. Beide haben die Redaktionsgemeinschaft bei der Produktion der ersten | |
Ausgabe betreut. Gründe gibt es viele: Die Ausstattung der Geräte mit der | |
erforderlichen Software durch die Anstalt habe sehr lange auf sich warten | |
ließ. Die Programme vom Layout bis hin zur Erstellung einer fehlerfreien | |
Datei mit der Druckvorlage zu bedienen sei, müsse man zudem erst lernen. | |
„Eigentlich ist das eine Berufsausbildung“, sagt Kohn. | |
„Ich bin sehr stolz darauf, was sie da geschafft haben und auch | |
fasziniert“, sagt Yilmaz. „Aber sie brauchen auf jeden Fall weiter Hilfe, | |
auf allen Ebenen.“ Die Programme bräuchten immer wieder ein Update, die | |
Versionen müssten kompatibel gemacht werden Auch Kohn sieht das so: „Es | |
wird noch ein paar Ausgaben brauchen, bis sie das ganz alleine können“. | |
10 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Leiter-der-JVA-Tegel-ueber-den-Knast/!5956263 | |
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[3] /Strafvollzug-Berlin/!5546389 | |
[4] /Justizvollzugsanstalt-Tegel/!5631879 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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