# taz.de -- Adventskalender (2): Die Ein-Euro-Entenkeule | |
> In der Kiezkantine gibt es gutes und günstiges Essen – zubereitet von | |
> psychisch Erkrankten. taz-Adventskalender „Kannste nicht meckern“ (2). | |
Bild: Knusprig billig, jedenfalls für Mitarbeitende: Entenkeule (Symbolbild) | |
Es gibt sie noch, die nicht ganz so schlechten Dinge – auch wenn sie | |
derzeit rar gesät sind. In diesem Advent zaubern wir jeden Tag etwas | |
Meckerfreies aus unserem Kalender. Sei's kulinarisch oder klimatisch, mobil | |
oder musikalisch. Lassen Sie sich überraschen. | |
Berlin taz | Als ich zur Schule ging, kostete der Döner 2,50 Euro. Heute | |
laufe ich an [1][„Döner 7 Euro!“]-Schildern vorbei und frage mich, ob das | |
ein Sonderangebot oder das Abschreckungsmanöver eines veganen Bio-Ladens | |
ist. Wenn mittlerweile schon ein Imbiss so teuer ist, was kostet dann eine | |
richtige Mahlzeit? Nicht viel mehr. Jedenfalls nicht in der [2][Kiezkantine | |
in der Oderberger Straße]. | |
Mitten im gentrifizierten Prenzlauer Berg kriegt man hier einen | |
Möhreneintopf mit frischen Kräutern und Brot für 5,40 Euro, die Entenkeule | |
mit Pflaumensauce, Rotkohl, Kartoffelkloß gibt’s für 9,50. „Für Mitarbei… | |
gab’s die letzte Woche für einen Euro“, berichtet Frank überglücklich. Er | |
reinigt seit zwei Jahren den Innenhof und putzt die Klos. Es ist seine | |
erste Beschäftigung nach der Entlassung aus der Psychiatrie. | |
Die Kiezkantine ist ein besonderer Arbeitsplatz. Seit 2003 fungiert sie als | |
Beschäftigungsprojekt für psychisch erkrankte Menschen. Am Freitag feierte | |
sie ihr 20-jähriges Jubiläum. Die Stimmung ist familiär, die | |
Mitarbeiter*innen liegen sich in den Armen und strahlen, wenn sie vom | |
Teamgeist sprechen. | |
Es sei ein sehr achtsamer Umgang miteinander, berichtet Barbara. „Es ist | |
ein Mikrokosmos, in dem wir uns tragen und ertragen. Es ist einfach toll“, | |
schwärmt sie. Barbara ist seit einem Jahr betreute Beschäftigte hier. „Und | |
ich bin viel stabiler.“ | |
Das Projekt wird getragen von dem gemeinnützigen Pinel-Verbund, der | |
Menschen mit psychischen Erkrankungen in den Bereichen Wohnen, | |
Beschäftigung und Arbeit sowie Pflege, medizinische Behandlung und | |
integrierte Versorgung unterstützt. Es begann vor fast 40 Jahren mit der | |
Wohnbetreuung. | |
## Beschäftigung statt nur Betreuung | |
„Aber wir haben gemerkt, dass es nicht ausreicht, die Klienten in den | |
Wohnungen zu betreuen“, erzählt Monika. Sie ist Mitgründerin der | |
Kiezkantine. Arbeitsbeschaffung sei wichtig für die psychische Gesundheit. | |
So wurde aus der reinen Betreuung Beschäftigung, erzählt sie. Neben | |
Gastronomie bietet der Pinel-Verbund psychisch erkrankten Menschen | |
Beschäftigung in Shops und Kiosken, Wäschereien, Hausmeister- und | |
Garten-Service. [3][Das Ziel ist es, sie wieder einzugliedern.] | |
„Das mit dem Eingliedern, das ist so 'ne Sache“, sagt Conni. Sie ist seit | |
12 Jahren in der Kiezkantine angestellt. Die Klient*innen hätten | |
Erkrankungen wie Psychosen oder Schizophrenie. Alltagsdinge, die für andere | |
normal seien, seien für einige von ihnen eine unglaubliche Herausforderung. | |
„Aber die Festangestellten kümmern sich aufopferungsvoll.“ Die betreuten | |
Beschäftigten machten Fortschritte und würden in ihren Medikamenten | |
heruntergestuft. „Das ist schön zu sehen.“ | |
Das Kantinenteam besteht aus 22 Klient*innen und 9 Facharbeiter*innen. | |
Beschäftigt sind im Rahmen des Projekts „Arbeit statt Strafe“ auch | |
Menschen, die hier Sozialstunden leisten. Viele arbeiten erst seit ein, | |
zwei Jahren hier, andere gehören quasi schon zum Mobiliar. Irene ist seit | |
17 Jahren da, Martha seit 20. | |
## Vor allem Stammgäste | |
„Heute morgen bin ich aufgewacht und war ganz emotional“, erzählt Martha am | |
Freitag. Auch das Publikum verändere sich kaum. Zu 90 Prozent bestehe es | |
aus Stammgästen aus den umliegenden Büros, sagt Rivka. Sie ist | |
Festangestellte und arbeitet seit 2 Jahren hier. | |
Dass sie hier, mitten in Prenzlauer Berg, einen so günstigen Mittagstisch | |
anbieten können, ist auch denen zu verdanken, die das Haus vor 30 Jahren | |
genossenschaftlich erwarben. Nur deshalb zahlen sie hier Mietpreise, die | |
weit unter dem liegen, was andere in der Umgebung zahlen, erzählt Monika. | |
„Sonst könnten wir uns das nicht leisten.“ | |
Seit 2020 ist die Kiezkantine ganz offiziell eine Beschäftigungstagesstätte | |
(BTS), die Menschen mit psychischen Erkrankungen eine strukturierte | |
Umgebung für sinnvolle Aktivitäten und Beschäftigungen gibt. Das geht mit | |
Fördermitteln einher, die direkt durch das Teilhabeamt, einen Zweig des | |
Sozialamts, bezahlt werden. Die „stabile Finanzierung ist großartig“, sagt | |
Monika. Sie erlaube es, mit den Klient*innen Ausflüge zu unternehmen. | |
Dieses Jahr waren sie schon zweimal an der Ostsee. Frank schwärmt davon | |
noch immer. | |
Was sie verbindet? Dass alle Lebenskünstler*innen seien, sagt Barbara | |
strahlend. „What a lovely day!“ | |
1 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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