Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Willy Brandt als Journalist: Zwischen Politik und Publizistik
> Willy Brandt war Kinderreporter in Lübeck, dann Journalist im Exil und
> schließlich in Berlin. Erst da machte er den Sprung zum Berufspolitiker.
Bild: Herbert Frahm liest die Zeitung „Kampfsignal“ 1932
Sein wahrscheinlich wichtigstes Buch ist in Deutschland erst nach seinem
Tod herausgekommen. Das Original, „Forbrytere og andre Tyskere“
(„Verbrecher und andere Deutsche“), erschien Mitte 1946 in Norwegen und
dann auch in Schweden. Willy Brandt fasst darin seine Berichte und
Eindrücke vom Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zusammen, berichtet in
vielen Facetten aus Nachkriegsdeutschland und versucht, die Deutschen gegen
pauschale Verdammung zu verteidigen.
Es half nichts: Sinnentstellende Verdrehungen sollten reaktionären
Hasskampagnen als Beweis gegen den Exilanten, vermeintlichen
Vaterlandsverräter und zudem auch noch unehelich Geborenen Herbert Frahm
alias Willy Brandt dienen.
Brandt, am 18. Dezember 1913 als [1][Herbert Ernst Karl Frahm] geboren und
vom Großvater aufgezogen, verbrachte seine Kindheit in Lübeck. Er
beschreibt sie als chaotisch, aber sie führte ihn früh an Politik und
Publizistik heran. Das familiäre Umfeld war sozialdemokratisch, er wurde
Mitglied der Kinderfreunde, einer Filiale der Falken, und später der
Sozialistischen Arbeiterjugend. Erste Spuren seiner Schreibfreude finden
sich in der Kinderbeilage des sozialdemokratischen Lübecker Volksboten. Es
ist ein knapp 30 Zeilen kurzer, mit dem Geburtsnamen gezeichneter Bericht
des 13-Jährigen von einer Wanderung zur Quelle der Trave.
Julius Leber, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, förderte den
heranwachsenden Herbert, ließ ihn schreiben und half beim Beitritt in die
SPD. Allerdings wechselte der schon bald in eine Linksabspaltung der Partei
und verbaute sich so die Chance, beim Volksboten eine reguläre Ausbildung
zu absolvieren oder gar mithilfe der SPD zu studieren. Und das Verhältnis
zu Leber war dadurch dauerhaft beschädigt.
## Treibende Kraft
Nach dem Abitur fehlten Herbert Frahm die Mittel für ein Studium, und so
begann er für einen Schiffsmakler zu arbeiten. Ein Jahr später ist
allerdings ohnehin alles anders: Nach der Machtergreifung der Nazis
emigriert er, jetzt meist unter dem Namen Willy Brandt, nach Norwegen. Pro
forma nun Student, de facto politischer Aktivist und auch Journalist im
Umfeld der norwegischen Arbeiterpartei, wird Brandt schnell zu einer
wichtigen Figur der deutschen Exilszene: Er ist treibende Kraft der
erfolgreichen Kampagne, dem von den Nazis verfolgten Publizisten Carl von
Ossietzky den Friedensnobelpreis zuzusprechen.
Als Journalist berichtet Brandt vom [2][Spanischen Bürgerkrieg]. Im Jahr
1940, nach der Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen, setzt er sich
nach Schweden ab: Stockholm wird sein Lebensmittelpunkt bis zum Ende des
Kriegs.
Im November 1945 reist Brandt dann im Auftrag mehrerer skandinavischer
Blätter für einige Monate nach Deutschland, um über den ersten der
[3][Nürnberger Prozesse] zu berichten. Er lebt im internationalen
Pressecamp auf Schloss Faber-Castell. Und er trägt norwegische Uniform mit
dem Schriftband „War Correspondent“ am Ärmel – auch das Anlass für spä…
Anfeindungen.
In den folgenden Jahren ist Brandt zwischen Politik und Publizistik hin-
und hergerissen: Im Herbst 1946 setzt er seine Korrespondententätigkeit aus
Deutschland fort, nachdem er das Angebot ausgeschlagen hatte, Bürgermeister
von Lübeck zu werden.
## Presseattaché der Militärmission
Auch das Angebot, in Hamburg ein Nachrichtenbüro, den Deutschen
Pressedienst (Vorläufer der dpa), zu leiten, nimmt er nicht an. Er
entscheidet sich, in die diplomatischen Dienste Norwegens zu treten und als
Presseattaché der Militärmission nach Berlin zu gehen.
Im Winter 1946 kommt er dort an. In dieser Position betreut er nicht nur
Journalisten; er sammelt auch Informationen und bereitet sie in zahlreichen
Dossiers für die norwegische Regierung auf.
Nur ein Jahr später gibt er diese Position und zugleich die ihm verliehene
norwegische Staatsbürgerschaft wieder auf und wechselt hauptberuflich in
die Politik: Er übernimmt im Januar 1948 die Berliner Verbindungsstelle zum
Parteivorstand der SPD, der damals in Person des Vorsitzenden Kurt
Schumacher seinen Sitz in Hannover hatte.
1948 ist auch das Jahr, in dem die politische und administrative Spaltung
Berlins vollendet wurde. Es ist zugleich das Jahr, in dem sich der immer
stärker von den Kommunisten dominierte und gegängelte Verband Deutscher
Presse, eine Sektion in der FDGB-Gewerkschaft Kunst und Schrifttum,
spaltet: Im Westen Berlins wird im Juli 1948 zur Gründung eines
unabhängigen Berufsverbands aufgerufen. Der frühere Chefredakteur der
Breslauer Volkswacht und weithin anerkannte ehemalige Reichstagspräsident
Paul Löbe wird am 24. Oktober erster Vorsitzender des Presseverbands Berlin
– Willy Brandts Mitgliedsausweis für diesen Journalistenverband wurde drei
Tage vorher, am 21. Oktober, ausgestellt.
## Neue Leser jenseits der Partei
Brandts Wechsel in die Politik war zunächst noch kein Abschied vom
Journalismus. Er blieb Korrespondent skandinavischer Blätter. Und in Berlin
gab es längst wieder zahlreiche, von Parteien herausgegebene Zeitungen und
Zeitschriften. So auch Das Volk, ein sozialdemokratisches Blatt mit
sowjetischer Lizenz, das allerdings im April 1946 nach der
Zwangsvereinigung von SPD und KPD mit der kommunistischen Deutschen
Volkszeitung zum Neuen Deutschland fusioniert wurde.
Im Westteil Berlins erhielten Gegner der Zwangsvereinigung eine britische
Lizenz für eine SPD-nahe Tageszeitung, den Telegraf. Paul Löbe wurde einer
der Herausgeber. Hinzu kam als SPD-eigene Zeitung Der Sozialdemokrat.
Willy Brandt wurde im Januar 1950 Chefredakteur dieser Zeitung, die von da
an Berliner Stadtblatt hieß und mit dem neuen Namen, aber auch mit
flotterer Gestaltung neue Leser jenseits der Partei ansprechen sollte. Es
blieb allerdings bei der Absicht. Brandt selbst schrieb zwar eine Kolumne,
„Pfeffer und Salz“, und einen „Bonner Brief“ zur Arbeit im Bundestag. D…
es half alles nichts: Die Auflage blieb mickrig; die Zahl der Abonnements
lag zuletzt bei 3.500. Die Partei beschloss, das Blatt im Mai 1951
einzustellen.
Inzwischen war Brandt endgültig in der Berufspolitik angelangt: Mandate in
Abgeordnetenhaus und Bundestag, das Amt des Abgeordnetenhauspräsidenten und
das des Regierenden Bürgermeisters folgten, bevor er 1966 als Außenminister
einer Großen Koalition in die Bundesregierung wechselte. Mit diesem Wechsel
in die Bundespolitik verließ Brandt auch sein Berliner Domizil, die
Dienstvilla des Regierenden Bürgermeisters. Seinen Mitgliedsausweis im
Berliner Journalisten-Verband aber nahm er mit nach Bonn.
18 Dec 2023
## LINKS
[1] /Schmutzkampagnen-im-Wahlkampf/!5779612
[2] /Spanischer-Publizist-Chaves-Nogales/!5933005
[3] /Buch-ueber-die-Nuernberger-Prozesse/!5923233
## AUTOREN
Christian Walther
## TAGS
Willy Brandt
Exil
Journalist
Podcast „Vorgelesen“
Konrad Adenauer
Willy Brandt
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schmutzkampagnen im Wahlkampf: „Herr Brandt alias Frahm“
„Negative Campaigning“ gab es in Bundestagswahlkämpfen schon, als der
Begriff noch völlig unbekannt war. Bereits Adenauer war ein Meister darin.
Willy Brandts Kniefall vor 50 Jahren: „Volksverräter“ und Idol
Vom „Ausverkauf“ sprachen Rechte angesichts der neuen Ostpolitik. Brandts
Geste in Warschau polarisierte die Bundesrepublik wie nie zuvor.
Geplantes Exilmuseum in Berlin: Späte Wiedereinbürgerung
Hunderttausende Menschen mussten ab 1933 Deutschland verlassen. An der
Ruine des Anhalter Bahnhofs in Berlin soll ein Museum an sie erinnern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.