| # taz.de -- Waste Picker in Kenia: Siebzehn Fußballfelder Müll | |
| > Auf Kenias größter Mülldeponie kämpfen Waste Picker jeden Tag ums | |
| > Überleben. Nun haben sie sich zu einer Gewerkschaft zusammengeschlossen. | |
| Bild: Giftige Geschäfte: Auf der Mülldeponie Dandora ruinieren Tausende Mensc… | |
| Der Fahrer scheint nervös, er will nicht stehen bleiben, hier mitten in | |
| Dandora. Das Viertel östlich von Nairobi ist umgeben von Slums. In seinem | |
| Zentrum, direkt am Nairobi River, liegt Kenias größte Mülldeponie: die | |
| Dandora Dumpsite. Der gesammelte Abfall der kenianischen | |
| Vier-Millionen-Metropole Nairobi und der benachbarten Regionen kommt hier | |
| zusammen, rund 2.000 Tonnen pro Tag. Und das rund 15 Kilometer von der | |
| UN-Zentrale entfernt, in der vor zwei Wochen [1][die Verhandlungen zu einem | |
| globalen Plastikabkommen] in einem Patt endeten. | |
| Staubige Trucks, gefüllt mit Müll aller Art, stehen am Eingang der Deponie | |
| Schlange, um ihre Ladung loszuwerden. Eine Gruppe von Männern und Frauen | |
| mit Säcken und Metallhaken in den Händen wartet schon darauf. Sie sind | |
| Waste Picker, Müllsammler*innen, und Dandora ist ihr Arbeitsplatz. Sie | |
| durchwühlen die Abfallberge auf der Suche nach Verwertbarem – nach Kabeln, | |
| Metallteilen, recyclebaren Plastikstücken. Rund 8.000 von ihnen versuchen | |
| auf der Deponie, sich und ihre Familien zu ernähren, jeden Tag aufs Neue. | |
| Die Dandora Dumpsite erstreckt sich über eine Fläche von rund 120.000 | |
| Quadratmetern. Das entspricht 17 Fußballfeldern, wobei Fußballstadien | |
| wahrscheinlich der bessere Vergleich wäre. Die Ausmaße der Deponie sind | |
| immens. Hat man den Aufstieg auf die Müllhügel hinter sich gebracht, hat | |
| man freie Sicht auf das benachbarte Viertel, direkt hinter dem Nairobi | |
| River. | |
| Acht Meter sind es bestimmt von hier oben, an manchen Stellen vielleicht | |
| sogar zehn. „Dandora ist so hoch wie ein vierstöckiges Gebäude“, sagt | |
| Solomon Njoroge. Er ist einer der Müllsammler und Vorsitzender der Waste | |
| Picker Association in Nairobi. Seine Vereinigung setzt sich für den Schutz | |
| und die Rechte der hier arbeitenden Menschen ein. | |
| ## Giftige Rinnsale und Schwelbrände | |
| Njoroge steht in der strahlenden Sonne mit Gummistiefeln und Jeansjacke auf | |
| einer dunkelgrauen Hügellandschaft aus Müll. Am Rand der Deponie sind | |
| bereits Pflanzen auf der obersten Schicht der Asche gewachsen, die der | |
| verbrannte Müll hinterlassen hat. Aber je weiter Njoroge die Hügel | |
| entlangwandert, dahin, wo die Trucks den neuen Müll bringen, desto | |
| dystopischer wird es. | |
| Seine schwarzen Gummistiefel treten auf Verpackungen, auf Plastikfetzen, | |
| Schuhsohlen, Styroporreste, Schnüre, leere Tablettenpackungen, Alufolie, | |
| Essensreste, alte Unterwäsche. Dazwischen fließen giftig-blubbernde | |
| Rinnsale. Der Gestank ist bestialisch. Njoroge zeigt auf eine Art Tümpel, | |
| der sich in einer kleinen Kuhle auf der Deponie gebildet hat, mit einer | |
| schaumigen, dunkelgrünen Flüssigkeit. „Das Wasser löst häufig Gifte aus d… | |
| Müll“, sagt er. Wenn sie sich vermischen, würden dadurch manchmal | |
| Schwelbrände entfacht. | |
| Der direkte Kontakt mit dem Müll mache viele Waste Picker krank, sagt | |
| Solomon Njoroge. Er selbst sei vor einigen Jahren an einer | |
| Bandwurm-Erkrankung fast gestorben. 2020, während der Hochphase von Corona, | |
| sei es für die Waste Picker besonders schlimm gewesen. Denn natürlich | |
| landeten auch die gebrauchten und kontaminierten Masken auf der Deponie. | |
| „Viele von uns sind deswegen gestorben“, sagt er. | |
| Krankenversichert seien hier die wenigsten, es fehle schlicht das Geld und | |
| das nahe gelegene Krankenhaus sei teuer. Manchmal gelinge es ihm, die | |
| Ärzt*innen zu überzeugen, einzelne Waste Picker trotzdem zu behandeln, | |
| sagt Njoroge. Weil sie ihn mittlerweile kennen und wissen, wie er sich für | |
| seine Community einsetzt. | |
| ## Müllsammeln als wertvoller Beitrag | |
| Nach diesem Jahr haben er und einige Müllsammler*innen sich | |
| zusammengetan und 2021 einen Arm der kenianischen Waste Picker Association | |
| in Nairobi gegründet. Hier in Dandora sind mehrere Hundert von ihnen aktiv. | |
| In ganz Kenia sind es mittlerweile sogar rund 36.000. An erster Stelle | |
| ihrer Forderungen: ein fester, monatlicher Lohn, unabhängig von der | |
| Ausbeute des Tages. Mindestens 120 Euro seien angemessen, sagt Njoroge, | |
| schließlich leisten die Waste Picker einen wertvollen Beitrag für das Land, | |
| sowohl für die Wirtschaft als auch fürs Recycling. | |
| Wenn es nach der Waste Picker Association geht, sollten diejenigen, die für | |
| die Herstellung des Mülls zuständig sind, auch hier auf der Deponie für | |
| ihre Produkte verantwortlich sein, vor allem bei Plastik. „Wir müssten | |
| eigentlich Geld von Firmen wie Coca-Cola bekommen“, sagt Njoroge. | |
| Schließlich seien es die Waste Picker, die PET-Flaschen, Becher, Deckel und | |
| Dosen aus dem anderen Müll heraussammeln und an Recycler verkaufen. Ohne | |
| sie würde all das wertvolle Plastik zusammen mit dem wertlosen Rest auf der | |
| Deponie verbrannt werden. | |
| Mit Blick auf das globale Plastikabkommen, das im November in Nairobi | |
| verhandelt wurde, glaubt Njoroge, dass Waste Picker einen wertvollen | |
| Beitrag leisten könnten, wenn man sie nur in die Debatte mit einbeziehen | |
| würde. „Wir wissen doch ganz genau, welche Plastiksorten in der Praxis | |
| wirklich recycelt werden können und welche nicht“, sagt er, während er ein | |
| Stück Styropor und Dämmwolle aufhebt, beides nicht wiederverwertbar, | |
| zumindest nicht mit den Möglichkeiten vor Ort. | |
| Der Großteil des Mülls, der hier liegt, ist verbrannt – wertloses, nicht | |
| recyclebares Plastik, vermischt mit Restmüll. Viele Waste Picker haben die | |
| Müllberge unzählige Male mit Eisenhaken und bloßen Händen durchwühlt, um | |
| Materialien mit Restwert zu finden und sie an Verwerter zu verkaufen. Alles | |
| andere – der Großteil – wird unter freiem Himmel verbrannt. Übrig bleibt | |
| eine undefinierbare Masse, dunkel wie die Kohle und das Erdöl, aus dem das | |
| Plastik irgendwann einmal hergestellt wurde. | |
| ## 12 Euro – ein guter Tageslohn | |
| Das Verbrennen des Mülls spart nicht nur Platz, sondern legt auch kostbare | |
| Metallstücke frei, während wertlose Plastikfetzen und organischer Restmüll | |
| als Rauchwolken davonschweben. „All das Plastik, was hier noch liegt, kann | |
| nicht recycelt werden. Ich verstehe nicht, warum Firmen das überhaupt | |
| produzieren dürfen.“ | |
| Selbst wenn es draufsteht, seien viele Gegenstände und Verpackungen aus | |
| Plastik gar nicht recyclebar, sagt Njoroge. Aus seiner Sicht eine Lüge der | |
| Hersteller. Neuer Kunststoff wird zwar zu 99 Prozent aus Kohle, Öl und Gas | |
| hergestellt, hinzu kommen jedoch diverse Zusätze wie zum Beispiel | |
| sogenannte Weichmacher. Aktuelle Studien gehen von über 13.000 | |
| verschiedenen Chemikalien aus, die für die Produktion von Plastik verwendet | |
| werden. Die vielfältigen Zusätze und Verbundstoffe machen ein Recycling | |
| häufig unmöglich. | |
| Mitten in der Deponie steht eine kleine Kuhherde, ein Kalb trinkt von | |
| seiner Mutter. Die Kühe wurden von den Besitzern hierher gebracht, um im | |
| Müll nach Essensresten zu suchen, sagt Njoroge. Für Futter sei kein Geld | |
| da. Ein paar Kuhfladen fallen vor uns auf den Boden aus verbranntem Müll. | |
| Irgendetwas Essbares hatte die Kuh hier anscheinend gefunden. | |
| Ein Waste Picker kommt uns entgegen, mit einigen Kilogramm an Kupfer und | |
| Aluminium in seinen Beuteln. Nicht ohne Stolz präsentiert er seine heutige | |
| Ausbeute. Wenn er Glück hat, bekomme er dafür 2.000 kenianische Schilling | |
| bei den Einkäufern, sagt er – umgerechnet 12 Euro. Ein guter Tageslohn hier | |
| in Dandora. | |
| ## Druck der Müllkartelle | |
| Obwohl die Deponie in staatlichem Besitz ist, bekommen die Waste Picker | |
| hier keinen Lohn. Sie leben von dem, was sie Tag für Tag in den Müllbergen | |
| finden. Das macht sie abhängig von den Einkäufern. Rund um Dandora hat sich | |
| eine Schattenwirtschaft gebildet. | |
| Kleinere Einkäufer liefern an mächtige Müllkartelle. Ihnen gehören die | |
| Maschinen, die Recyclinganlagen, sie diktieren die Preise. Die Waste Picker | |
| Association von Njoroge will gegen diese Abhängigkeit angehen und versucht | |
| verschiedene Gruppen von Müllsammler*innen zusammenzubringen, um ihre | |
| Verhandlungsmacht zu stärken. | |
| Die Kartelle gehen gegen diese neue Einigkeit vor, die von der Waste Picker | |
| Association ausgeht, sagt Njoroge. Sie bevorteilten bewusst manche Gruppen, | |
| um Missgunst und Uneinigkeit zu stiften. „Dabei können wir nur stark sein, | |
| wenn wir als Waste Picker vereint sind“, sagt er. | |
| Für die Kartelle ist der Handel und das Recyclen von (Plastik-)MüIl äußerst | |
| lukrativ – rund zehn Milliarden Euro werden laut Financial Action Task | |
| Force jedes Jahr weltweit von Mafia, Kartellen und Müllschleusern damit | |
| umgesetzt, die Dunkelziffer könnte noch deutlich höher liegen. | |
| ## Durch Müll überleben | |
| Das wenigste davon kommt bei den Müllsammler*innen selbst an. Die | |
| Einkäufer diktieren die Preise. Gestern habe er umgerechnet drei Euro | |
| gemacht, sagt Njoroge. Er musste noch Rechnungen bezahlen, hat ein bisschen | |
| Gemüse und Mehl für seine Familie gekauft. Am Ende des Tages bleibt häufig | |
| nichts übrig. Das Frühstück am Morgen darauf muss dann ausfallen. | |
| Manchmal, wenn Lastwagen neuen Müll bringen, steht Njoroge mitten in der | |
| Nacht auf und klettert auf die Deponie. „Du musst scharfsinnig sein“, sagt | |
| er. „Wenn man nicht früh genug da ist, schnappen einem die anderen alles | |
| Verwertbare weg.“ | |
| Njoroge ist in Dandora, dem gleichnamigen Viertel um die Deponie herum, | |
| geboren und aufgewachsen. Seine Kindheit sei noch recht unbeschwert | |
| gewesen. Doch das änderte sich, als er älter wurde und immer mehr Menschen | |
| in Dandora Arbeit suchten. Seine Eltern konnten die Schulgebühren nicht | |
| mehr zahlen, er musste die Schule abbrechen. Der 34-Jährige erzählt, dass | |
| er kriminell wurde, ohne Details zu nennen. „Viele meiner Freunde sind | |
| damals umgekommen“, sagt er. Einige wurden von der Polizei erschossen, | |
| andere vom Mob gelyncht, als sie beim Stehlen erwischt wurden. | |
| Doch Njoroge hat überlebt. Der Verlust seiner Freunde habe ihn zum Umdenken | |
| gebracht: Er sei ruhiger geworden und demütiger. Mit seiner Frau Esther | |
| bekam er zwei Kinder, Daniel und Abigail, heute 9 und 7 Jahre alt. Als er | |
| von seiner Familie erzählt, lächelt Solomon Njoroge zum ersten Mal an | |
| diesem Tag. Für seine Kinder wünscht er sich ein anderes Leben als seines, | |
| ein besseres. Meistens können sie zur Schule gehen. Nur manchmal würden sie | |
| wieder nach Hause geschickt, wenn das Geld nicht gereicht hat für die | |
| Schulgebühren. | |
| ## Fluchtort und Rapmusik | |
| So wie Njoroge wachsen viele Kinder in den Slums und Wohngebieten rund um | |
| die Deponie auf. Wenn man durch die Straßen läuft, sind es jedoch nicht die | |
| Szenen, die man von Brot-für-die-Welt-Plakaten kennt – mit traurigen | |
| Kinderaugen, in denen Fliegen sitzen. Viele der Kinder lachen, spielen mit | |
| uralten Fahrradreifen und grauen Klumpen, die irgendwann einmal Fußbälle | |
| waren. | |
| Einige von ihnen haben das Glück, in der Nähe von „Ndoto Zetu“ zu wohnen, | |
| einem Kinder- und Jugendprojekt, bei dem Njoroge als Freiwilliger ab und zu | |
| hilft. Ndoto Zetu bedeutet auf Swahili „unsere Träume“. Betritt man den | |
| Raum der Organisation, in den sich die Kinder tagsüber zurückziehen können, | |
| während einige ihrer Eltern auf der Deponie arbeiten, muss man die Schuhe | |
| vorher ausziehen. | |
| Das fensterlose Zimmer ist flach und nicht viel größer als zehn | |
| Quadratmeter. An einer Seite hängt eine alte Leinwand, manchmal werden dort | |
| Filme gezeigt, zuletzt „Der König der Löwen“. Einige Kinder sitzen auf dem | |
| Boden, als Njoroge auf Socken hineingeht. Auf ein paar gespendeten Tablets | |
| und Smartphones spielen sie „Mensch ärgere dich nicht“. | |
| 60 Kinder auf einmal saßen schon in diesem Raum, sagt Dash Johnte, der | |
| Leiter des Projekts. „Hip-Hop City Dandora“ steht auf seinem T-Shirt. Der | |
| Swahili-Rap sei hier in den Neunzigern entstanden, behauptet Johnte, der | |
| selbst Rapper ist. Duckt man sich durch eine niedrige Metalltür in den | |
| winzigen Nachbarraum, kommt man zum Herzstück des Projekts: Ein eigenes | |
| Tonstudio – mit Mikrofon, Bildschirm, Sound-Interface und Boxen. Die Kinder | |
| und Jugendlichen haben hier schon mehrere eigene Lieder aufgenommen. | |
| ## Kinderoase in der Abfallwüste | |
| Selbst die erste Folge einer eigenen Serie wurde hier schon geschnitten. | |
| Sie handelt von einer jungen Müllsammlerin und ihren alltäglichen | |
| Herausforderungen. Die Kinder und Jugendlichen sollen so auf künstlerische | |
| und spielerische Art an ernste Themen herangeführt werden. Der | |
| Lieblingsrapper der Kinder ist ganz klar Juliani, der in Kenia ein | |
| Superstar ist und in Dandora aufwuchs. | |
| Am Fuße der Deponie hat er ein Jugendzentrum bauen lassen. Vor der Tür, in | |
| Richtung Nairobi River, gibt es einen kleinen Garten für die Kinder. | |
| Pflanzen wachsen in alten Autoreifen. Eine grüne Oase, am Rand der | |
| grauschwarzen Müllberge. | |
| Auf diese klettert Jane Wambui, um Njoroge zu treffen – vorbei an zwei | |
| Zelten, die ein paar der Waste Picker hier aufgeschlagen haben, ganz oben | |
| auf der Deponie. Auch Wambui ist in Dandora aufgewachsen. Mit 13 Jahren | |
| habe sie damit angefangen, ihrer Mutter beim Müllsortieren zu helfen, sagt | |
| sie. Vor einem Jahr habe sie dennoch ihren Schulabschluss geschafft, trotz | |
| der Arbeit. Ihre Mutter leitet gemeinsam mit Solomon Njoroge die Waste | |
| Picker Association in Dandora. | |
| Die 19-jährige trägt einen langen, blumigen Rock, ein Teil ihrer Haare sind | |
| als Braids geflochten, mit Perlen an den Enden der Strähnen. Sie möchte | |
| Friseurin werden und aus Dandora wegziehen. Dafür belegt sie einen Kurs und | |
| probiert das Gelernte dann an ihren eigenen Haaren aus. Was es noch | |
| braucht, bevor sie wegziehen kann? „Arbeit und einen Ehemann“, sagt sie und | |
| lacht verlegen. Mit dem möchte sie dann auch zwei Kinder haben, sagt sie – | |
| aber erst später. | |
| ## Am Gestank den Inhalt erkennen | |
| Ein Mann mit weißem Kittel und großer Thermoskanne kommt vorbei und | |
| verkauft lauwarmen, süßen Tee. Serviert in Plastikbechern mit | |
| Coca-Cola-Logo. „Die Becher wurden hier auf der Deponie eingesammelt“, sagt | |
| Njoroge, nippt am Tee und fügt hinzu: „Willkommen in Dandora!“ Die leeren | |
| Becher landen kurz darauf einfach auf dem Boden. Klar – wo auch sonst? | |
| Haufenweise zerschredderte, bunte Plastikschnipsel liegen neben dem | |
| Mülltrampelpfad. Wie buntes Konfetti fliegen einige von ihnen durch den | |
| Wind. | |
| Je näher wir den Trucks kommen, die den neuen Müll abladen, desto beißender | |
| wird der Gestank. Er benebelt, raubt einem die Sinne. Es riecht nach | |
| Verwesung, Fäkalien, nach Fäulnis, giftig und stechend. Es sind Gerüche, | |
| die, so denkt man, es eigentlich gar nicht geben dürfte. Man möchte nur | |
| noch ausatmen, bloß nicht ein. Da, wo der Gestank am schlimmsten ist, ist | |
| auch die Fliegenkonzentration am höchsten. Sie schwirren um den noch | |
| feuchten Müll, der erst seit mehreren Tagen oder Wochen in der Sonne vor | |
| sich hin brutzelt und noch nicht ganz vertrocknet ist und auch noch nicht | |
| verbrannt wurde. | |
| Teilweise wird der Abfall, der auf der Deponie landet, in Anlagen bereits | |
| vorsortiert, sodass nur noch der wertlose Haushaltsmüll übrig ist – | |
| Windeln, Essensreste, Hygieneprodukte. Weder Njoroge noch Wambui störe der | |
| Gestank noch, sagen sie. Je nachdem wie ein Müllhaufen riecht, weiß Njoroge | |
| jedoch, was darin steckt. Manchmal würden zum Beispiel auch Tierkadaver | |
| abgeladen, die könne er am Geruch erkennen. Trotz der Arbeitsumstände hegt | |
| Njoroge keinen Groll auf Dandora. „Es ist der Ort, durch den ich meine | |
| Familie ernähren kann. Und dafür bin ich dankbar,“ sagt er. „Ich sehe | |
| Dandora als meinen Arbeitsplatz.“ | |
| Ein Arbeitsplatz, an dem er und die anderen Waste Picker ohne jegliche | |
| Sicherheitsvorkehrungen auskommen müssen. Ihre Wege durch die Deponie sind | |
| kaum erkennbare Trampelpfade, wo der Müll schon hart getreten ist und | |
| einigermaßen festen Halt gibt. Daneben geht es oft mehrere Meter in die | |
| Tiefe. | |
| ## Ein zu lukrativer Markt | |
| Besonders auf dem Weg zurück, beladen mit vollen, schweren Säcken, | |
| passierten häufig Stürze, sagt Njoroge. Eine weitere Gefahr für die Waste | |
| Picker ist die fehlende Schutzkleidung. Die meisten auf der Deponie | |
| durchwühlen den Müll mit bloßen Händen. Scherben, Splittern und Chemikalien | |
| sind sie schutzlos ausgeliefert. | |
| Selbst Gummistiefel tragen hier nicht alle, obwohl man teilweise bis zu den | |
| Knöcheln im giftigen Müllmatsch versinkt. Sie kosten umgerechnet drei Euro | |
| – ein Tageslohn, und für viele zu teuer. Eine ältere Frau, die mit einem | |
| Schürhaken die oberen Schichten der Deponie aufwühlt und freundlich grüßt, | |
| trägt Sandalen und lange Socken. | |
| Dandora ist ein Ausblick darauf, was passiert, wenn unregulierte | |
| Plastikproduktion weiterhin ungebremst auf soziale Ungleichheit trifft. Die | |
| Internationale Energieagentur IEA prognostiziert dem [2][Plastikmarkt] bis | |
| 2050 mindestens eine Verdopplung. Um die Produktionen und die Vermüllung | |
| einzudämmen, verhandeln die Vereinten Nationen seit mehreren Jahren ein | |
| globales Plastikabkommen, zuletzt Mitte November, hier in Nairobi. | |
| Während der Konferenz hat Njoroge auch einige Delegierte über die Deponie | |
| geführt, um ihnen zu zeigen, wo ein großer Teil des Plastiks am Ende | |
| landet. „Das war gut“, sagt er. „Man muss Dandora gesehen haben, um es | |
| wirklich zu verstehen.“ | |
| 7 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /UN-Verhandlungen-in-Kenia/!5972494 | |
| [2] https://www.boell.de/sites/default/files/2022-01/Boell_Plastikatlas%202019%… | |
| ## AUTOREN | |
| Julien Gupta | |
| ## TAGS | |
| Plastikmüll | |
| Recycling | |
| Nairobi | |
| Podcast „Vorgelesen“ | |
| Kenia | |
| Recycling | |
| Mikroplastik | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Uganda | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Massenproteste in Kenia: Generation Z kämpft um ihre Zukunft | |
| In Kenia kämpft eine neue Jugendbewegung gegen Korruption. Sie verzichtet | |
| auf sichtbare Führer. Bei Straßenschlachten gibt es Tote. | |
| Recycling von Elektrogeräten: Gummiring für die Langlebigkeit | |
| Viele ärgern sich, dass Drucker, Waschmaschinen und Co so schnell kaputt | |
| gehen. Was passieren muss, damit Produkte künftig repariert werden können. | |
| Plastik-Pionier zur UN-Konferenz: „Der Planet ist kontaminiert“ | |
| Er verfasste die erste Studie zu Mikroplastik überhaupt. Biologe Richard | |
| Thompson warnt vor dem größten Problem der UN-Plastikkonferenz in Nairobi. | |
| Verhandlungen zum Plastikabkommen: Ölländer setzen auf Vetorecht | |
| Jährlich werden 430 Millionen Tonnen Plastik produziert, vieles endet in | |
| der Umwelt. Ein globales Abkommen soll das eigentlich ändern. | |
| Obligatorische Automülleimer in Uganda: Doch keine Mülleimer im Auto | |
| Seit dem 1. April ist es in Uganda Pflicht, einen Mülleimer im Auto | |
| mitzuführen, um Abfälle nicht aus dem Fenster zu werfen. Sonst droht eine | |
| Strafe. |