| # taz.de -- UN-Verhandlungen in Kenia: Gegen die Plastikflut | |
| > Eine Woche lang wurde im kenianischen Nairobi über ein Abkommen gegen die | |
| > weltweite Plastikverschmutzung verhandelt. Das Ergebnis ist enttäuschend. | |
| Bild: Will die globale Plastikflut eindämmen: Christina Dixon von der Umweltag… | |
| Christina Dixon kniet vor einem dunklen Holztisch auf der Terrasse des | |
| UN-Gebäudes. Die drei Männer, die dort sitzen, hören ihr aufmerksam zu. Sie | |
| tragen Anzug, Dixon ein schwarzes Top. Auf ihrem rechten Oberarm ist eine | |
| große, filigran tätowierte Muschel zu sehen. „In Ordnung, ich werde mit | |
| ihnen reden“, sagt einer der Männer. „Kannst du mir die Nummer des | |
| Delegationsleiters organisieren?“ Sie überlegt kurz, geht im Kopf ihre | |
| Kontakte durch. „Das bekomme ich hin“, sagt sie und läuft zurück in | |
| Richtung Verhandlungssaal. | |
| Dort, im Hauptsitz des Umweltprogramms der Vereinten Nationen Unep, | |
| verhandeln die Delegierten der UN-Staaten gerade das erste globale Abkommen | |
| gegen die Plastikkrise. Es wird höchste Zeit, [1][massenhafter Plastikmüll | |
| überschwemmt] die Welt. 400 Millionen Tonnen Plastik werden jedes Jahr | |
| produziert, 40 Prozent davon ist Einwegplastik. Darunter leiden nicht nur | |
| Ökosysteme, sondern auch die menschliche Gesundheit. Von den 13.000 | |
| Chemikalien, die für die Plastikproduktion verwendet werden, sind rund ein | |
| Viertel potenziell gesundheitsgefährdend. | |
| „Wäre Plastik – von der Produktion bis zur Entsorgung – ein Land, wäre … | |
| auf Platz fünf, was den CO2-Ausstoß angeht“, sagt Dixon und nimmt ein paar | |
| Cashew-Kerne. Sie hat noch nicht zu Abend gegessen, muss gleich aber direkt | |
| zurück in den Verhandlungssaal. | |
| Hier in Nairobi, der Hauptstadt von Kenia, ist Dixon mittendrin, | |
| vermittelt, vernetzt. Überlegt sich die richtigen Argumente zur richtigen | |
| Zeit. Die 37-Jährige arbeitet für die Environmental Investigation Agency, | |
| eine große britische Umwelt-NGO. Viele Jahre ihrer Arbeit bündeln sich in | |
| diesen wenigen Tagen in Nairobi. Dieses Abkommen, sagt Dixon, sei eine | |
| riesige Chance für die Weltgemeinschaft. | |
| ## „Gefühl von kollektiver Wirkkraft“ | |
| Als die UN-Staaten im März 2021 auch hier in Nairobi entschieden, dass das | |
| Abkommen gegen die Plastikkrise tatsächlich ausgehandelt werden soll, war | |
| das „ein Gefühl von kollektiver Wirkkraft, das ich so noch nie erlebt | |
| habe“, sagt Dixon. Der Entwurf, über den gerade verhandelt wird, löst in | |
| ihr jedoch gemischte Gefühle aus. Noch ist alles offen. „Das Ganze liegt | |
| momentan noch irgendwo zwischen meinen kühnsten Träumen und meinen | |
| schlimmsten Albträumen.“ | |
| Das Abkommen bedeutet ihr nicht nur beruflich eine Menge. Schon als Kind | |
| war sie eine Natur- und Tierfreundin. „Manche sagten über mich, ich wäre | |
| ein Bunny-Hugger“, ein Kaninchen-Knuddler. Jetzt hat sie eins auf ihrem Arm | |
| tätowiert, direkt neben der Muschel. Als Jugendliche war sie auf Demos, | |
| engagierte sich, ernährte sich vegetarisch. Seit zehn Jahren setzt sie sich | |
| beruflich gegen die Umweltverschmutzung ein. Dixons Idealvorstellung: eine | |
| Art Montreal-Protokoll für Plastik. Sie meint das rechtlich bindende | |
| Abkommen von 1987, mit dem die Weltgemeinschaft es geschafft hat, die | |
| Ozonschicht zu retten. | |
| Ihre Sorge ist, dass am Ende ein Pariser Klimaabkommen für Plastik | |
| herauskommt. Eins, das rechtlich auf nationaler Ebene nicht bindend ist. | |
| „Wir sehen ja beim Klima, dass freiwillige Verpflichtungen nicht | |
| funktionieren“, sagt sie. | |
| ## Lobbyist*innen wollen Verhandlungen beeinflussen | |
| Freitagnachmittag, die [2][Verhandlungen gehen in die entscheidende Phase], | |
| die Abende werden länger, die Teilnehmenden nervöser. Saudi-Arabien hat als | |
| einziger UN-Mitgliedstaat eine „Lounge“ direkt neben den Konferenzsälen – | |
| eine Art Partyzelt mit Stehtischen und Sofas. Es wird Kardamom-Kaffee | |
| serviert, im Hintergrund spielt ein saudisches Männerorchester auf einer | |
| Leinwand. Dixon setzt sich auf einen der Plastikstühle und nimmt sich eine | |
| Dattel. Wenn jemand nicht in diese saudische Lounge passt, dann sie: Ihre | |
| Haare sind kurz, in ihrem Gesicht blitzen mehrere Piercings. Sie sei Punk, | |
| sagt sie. | |
| Hinter ihr hängt ein Bild von Prinz Mohammed bin Salman an der Zeltwand. | |
| Sein Staat ist der zweitgrößte Ölförderer der Welt, knapp hinter den USA. | |
| Und Plastik wird zu 99 Prozent aus Kohle, Öl und Gas hergestellt. Die | |
| Internationale Energieagentur prognostiziert dem Markt für petrochemische | |
| Produkte in den nächsten zwanzig Jahren eine Verdopplung. Im Moment sei sie | |
| optimistischer, als sie zuvor dachte, sagt Dixon. Viele Erdöl-Staaten und | |
| die angereisten Lobbyist*innen, 36 Prozent mehr als bei der Konferenz | |
| davor, haben jedoch wirtschaftliche Interessen in der Plastikproduktion. | |
| Sie versuchen, den Fokus des Abkommens auf Konsum und Recycling zu legen, | |
| statt an der Wurzel des Problems anzusetzen: an der Herstellung. Deswegen | |
| sei sie argwöhnisch. Planen ein paar Bremser-Staaten gerade einen | |
| taktischen Schachzug, um am Ende alles zu blockieren? | |
| ## Fünf Minuten Pause für kleinen Snack | |
| Dixon steht auf, nimmt ihre Dattelkerne in die Hand und tritt vom weichen | |
| Teppich der Saudi-Lounge zurück auf die Steinplatten des UN-Gebäudes. Dann | |
| zeigt sie mit einer Kopfbewegung Richtung ersten Stock. In einem Säulengang | |
| stehen sechs, sieben Männer in Anzügen eng beieinander und unterhalten | |
| sich. „Das sind die Saudis zusammen mit den Russen. Das kann nichts Gutes | |
| bedeuten“, sagt sie leise und verschwindet wieder im Verhandlungssaal. | |
| Während der Konferenz hat Dixon keinen Kontakt zu Freund*innen und | |
| Familie zu Hause im englischen Brighton. Voller Fokus. Das lässt sie ihre | |
| Gegenüber spüren. In ihren Gesprächen wirkt sie immer zu hundert Prozent | |
| anwesend, egal wie lang die Verhandlungen am Abend davor andauern. Sie ist | |
| einer dieser High-Energy-Menschen, bei denen man sich fragt, wo das alles | |
| herkommt. Sie spricht aus Gewohnheit schnell, als würde man eine | |
| Tonaufnahme in 1,5-facher Geschwindigkeit abspielen. | |
| Sonntagabend sind einige Delegierte schon abgereist. Christina Dixon ist | |
| noch da, gönnt sich fünf Minuten Pause in der Cafeteria. Ein Kollege bringt | |
| ihr eine Pizza und eine kleine Cola, die sie fast in einem Zug leer trinkt, | |
| bevor sie mit dem Pizzakarton in der Hand wieder in den Verhandlungsraum | |
| eilt. Die Verhandlungen sind jetzt auf der Zielgeraden. Aber in einer der | |
| drei Verhandlungsgruppen hakt es. Die Saudis blockieren den Prozess, | |
| zusammen mit der russischen Delegation und einer Handvoll verbündeter | |
| Ölförderstaaten. Der Schachzug, den Dixon befürchtet hatte, kommt in | |
| letzter Minute. Die Gruppe kann sich nicht einigen, der Prozess wird | |
| eingefroren. | |
| „Ich bin extrem enttäuscht“, sagt sie morgens nach der Konferenz. Ihre | |
| Stimme klingt zum ersten Mal müde. „Wir stehen mit leeren Händen da und | |
| können fünf Monate lang nicht formal weiterarbeiten am Abkommen.“ Doch auch | |
| jetzt sieht sie das Positive. „Natürlich lagen Kompromissvorschläge auf dem | |
| Tisch. Aber die hätten das Abkommen zu einem viel [3][zu frühen Zeitpunkt | |
| verwässert]“, sagt Dixon. „Es hat mir Mut gemacht zu sehen, wie sich viele | |
| Entwicklungsländer, besonders aus Afrika und den Pazifikstaaten, nicht | |
| haben erpressen lassen.“ | |
| Und auch der Gedanke an ihre vielen Verbündeten macht sie zuversichtlich – | |
| die NGO-Community, die vielen ambitionierten Staaten und die engagierten | |
| Wissenschaftler*innen, mit denen sie die nächste Konferenz vorbereiten | |
| wird. Es braucht mehr, um einen Punk kleinzukriegen. | |
| 25 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Umweltverschmutzung-im-Globalen-Sueden/!5970969 | |
| [2] /Ressourcenexperte-ueber-Plastikabkommen/!5974574 | |
| [3] /Stillstand-beim-Plastikmuell-Abkommen/!5971212 | |
| ## AUTOREN | |
| Julien Gupta | |
| ## TAGS | |
| Vereinte Nationen | |
| Plastikmüll | |
| Klimaschutzziele | |
| Umweltschutz | |
| Umweltverschmutzung | |
| wochentaz | |
| Argentinien | |
| Ozonloch | |
| Weltklimakonferenz | |
| Plastikmüll | |
| Plastikmüll | |
| Mikroplastik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Recycling von Verpackungsmüll: Wurst mit Wasserzeichen | |
| Menschen stopfen alles Mögliche in den Gelben Sack, das erschwert die | |
| Wiederverwertung. Eine neue Technik könnte beim Sortieren Abhilfe schaffen. | |
| Umweltkatastrophe in Argentinien: Ölpest mit deutscher Beteiligung | |
| Vor der argentinischen Küste breitet sich ein großer Ölteppich aus. Auch | |
| weil die Tochterfirma eines deutschen Unternehmens ein Leck zu spät | |
| meldete. | |
| Recycling von Kühlschränken: Klimakiller in der Küche | |
| Beim Recycling von Geräten wie Kühlschränken, die FCKW und F-Gase | |
| enthalten, wird gepfuscht. Das ist schlecht für das Klima und die | |
| Ozonschicht. | |
| COP28 in Dubai: Kontroverse Kunstdünger | |
| Bei der Weltklimakonferenz will die Bundesregierung ihre Förderung von | |
| Dünger aus Wasserstoff bewerben. Entwicklungsorganisationen kritisieren | |
| das. | |
| Ressourcenexperte über Plastikabkommen: „Die Fronten sind klar geworden“ | |
| Henning Wilts vom Wuppertal Institut sieht noch Chancen für ein | |
| UN-Abkommen. Für Europa sei sowieso wichtiger, was Brüssel zu Verpackungen | |
| entscheide. | |
| Stillstand beim Plastikmüll-Abkommen: Alles für die Tonne | |
| Plastikmüll bleibt unbeschränkt. Länder mit starker fossiler Industrie | |
| waren bei den Verhandlungen sehr präsent. | |
| Plastik-Pionier zur UN-Konferenz: „Der Planet ist kontaminiert“ | |
| Er verfasste die erste Studie zu Mikroplastik überhaupt. Biologe Richard | |
| Thompson warnt vor dem größten Problem der UN-Plastikkonferenz in Nairobi. |