# taz.de -- Chinesische Kredite für Kenia: In der Schuldenfalle | |
> Kenia hat sich mit teuren Krediten aus China hoch verschuldet – auch weil | |
> Peking keine demokratischen Reformen verlangt. | |
Bild: Auch der Nairobi Expressway wurde mit Geld aus China gebaut | |
20 Millionen Tonnen Fracht sollte die Standard Gauge Railway jährlich | |
transportieren – quer durch Kenia, von Mombasa am Indischen Ozean bis nach | |
Ugandas Hauptstadt Kampala. Doch die von China ab 2014 gebaute und 2017 mit | |
viel Pomp eingeweihte Normalspur-Zuglinie endet heute im Nirgendwo: als | |
totes Gleis auf einem Acker westlich der Stadt Naivasha, rund 350 Kilometer | |
vor der Grenze zu Uganda. So soll es nicht bleiben und so erbat Kenias | |
Präsident William Rutto im November 2023 von Peking einen Kredit von 1 | |
Milliarde Dollar, um das Projekt zu vollenden. Denn solange die Bahn nicht | |
genutzt werden kann, um ugandisches Öl ans Meer zu transportieren, macht | |
sie Verluste. | |
Die Kreditanfrage ist gewagt, angesichts des Umstands, dass Kenia allein im | |
dritten Quartal 2023 rund 473 Millionen Dollar Schuldendienst an Peking | |
zahlte – so viel wie noch nie. Allein die Zinszahlungen verdoppelten sich | |
in diesem Zeitraum. | |
Kenias Gesamtverschuldung liegt bei 70 Prozent seiner Wirtschaftsleistung – | |
für „riskant“ halten das sowohl die Weltbank als auch der IWF. Die meisten | |
Kredite kommen dabei aus China. Seit zehn Jahren ist das Land der führende | |
bilaterale Gläubiger Kenias. Die Gesamtsumme der Darlehen Chinas an Kenia | |
war 2022 sechsmal so hoch wie die Schulden in Frankreich, dem zweitgrößten | |
Gläubiger. | |
Im März 2023 schuldete Kenia China nach Angaben des Finanzministeriums 6,3 | |
Milliarden US-Dollar, rund zwei Drittel der bilateralen Auslandsschulden | |
insgesamt und rund ein Fünftel der gesamten öffentlichen Auslandsschulden. | |
## Umstrittene Steuerreform seit Juli 2023 in Kraft | |
„Seit der Unabhängigkeit gab es jedes Jahr ein Haushaltsdefizit“, sagt | |
Waithaki N. Iraki, Ökonom an der Universität von Nairobi. Es fehlte an Geld | |
für die laufenden Ausgaben und für Entwicklungsinvestitionen. Kredite sind | |
da seit jeher verführerisch. „Sie sind oft ein leichterer Weg, um | |
Investitionen tätigen zu können, als höhere Steuern“, sagt Iraki. „Der | |
Schuldendienst kann über Generationen verteilt werden, höhere Steuern | |
hingegen spüren die Bürger sofort.“ | |
Anfang Juli 2023 trat eine umstrittene Steuerreform in Kraft. Unter anderem | |
verdoppelte Ruto die Mehrwertsteuer auf Treibstoff und erhob eine neue | |
Wohnungsbauabgabe. Oppositionsführer Raile Odinga rief zu Protesten auf, | |
mindestens sechs Menschen wurden von der Polizei getötet, viele verletzt. | |
Die Steuererhöhungen erfolgten freilich auf Druck des IWF – und waren | |
dessen Bedingungen für neue Kredite. | |
## Chinas Präsenz in Kenia | |
Innerhalb Afrikas war Kenia während des Kalten Krieges dem westlichen Block | |
zuzurechnen, unterhielt keine besonders engen Beziehungen nach Peking. Das | |
änderte sich während der Finanzkrise ab 2008. Da hatte China einen hohen | |
Leistungsbilanzüberschuss – Exporteinnahmen, die Peking im Ausland anlegen | |
wollte, während die westlichen Länder sich auf die Wiederbelebung der | |
eigenen Wirtschaft konzentrieren mussten. Zur selben Zeit ermutigte Peking | |
seine Unternehmen, im Rahmen der „Go-out-Strategie“ im Ausland zu | |
investieren. Mehr als 10.000 chinesische Unternehmen folgten dem Aufruf – | |
und begannen Geschäfte in Afrika. | |
In der ersten Amtszeit des von 2002 bis 2013 regierenden kenianischen | |
Ex-Präsidenten Mwai Kibaki kamen Investitionen und Kredite vor allem von | |
westlichen Ländern, die auch die wichtigsten Handelspartner waren. Doch | |
nach einer Weile kürzten diese die Mittel und forderten demokratische | |
Reformen – auch weil Kibaki sich mit einer Verfassungsänderung eine größere | |
Machtfülle verschaffen wollte. | |
China hingegen zahlte – und versprach, sich nicht in die inneren | |
Angelegenheiten des Landes einzumischen. Für Kibaki war das vor allem in | |
seiner dritten Amtszeit interessant: Sowohl die Opposition als auch der | |
Westen zweifelten seinen angeblichen Wahlsieg 2007 an. Proteste ließ Kibaki | |
mit Gewalt niederschlagen. | |
So wurde China für Kibaki immer wichtiger. Peking interessierte sich nicht | |
für die Vorwürfe, sondern zahlte für Entwicklungsprojekte, wie den | |
achtspurigen Nairobi-Thika Superhighway, die Kibaki als Erfolge vorweisen | |
konnte. | |
## Ein Mix aus billigen Krediten und Tauschgeschäften | |
Es ist das klassische Muster chinesischer Entwicklungsfinanzierung für | |
Afrika, ein Mix aus billigen Krediten und Tauschgeschäften: Afrikanische | |
Rohstoffe gegen von chinesischen Firmen preiswert erstellte | |
Infrastruktur-Projekte. | |
Bedingungen wie der IWF mit seinen berüchtigten | |
Strukturanpassungsprogrammen stellte Peking dabei nicht. Und auch ethische | |
Forderungen, wie sie von der EU oft erhoben werden, sind China fremd. Die | |
Darlehen der Europäische Investitionsbank (EIB) oder der Europäischen Bank | |
für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) werden Ländern wie Kenia oft zu | |
niedrigeren Zinsen und längeren Rückzahlungsfristen gewährt – doch sie sind | |
häufig an Anforderungen an eine „gute Regierungsführung“, die Achtung der | |
Menschenrechte und die Rechenschaftspflicht bei der Projektdurchführung | |
gebunden. Häufig sind die europäischen Gelder für soziale Dienstleistungen | |
wie Gesundheit, Bildung, Regierungsführung oder Klimaschutz bestimmt. | |
Das gilt etwa für den jüngsten bilateralen Kredit über 45 Millionen Euro | |
aus Deutschland vom Oktober 2023. Er soll Kenia bei der Umstellung auf eine | |
100-prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien unterstützten. | |
China hingegen zahlt für schnelle Infrastrukturprojekte – die Bahnlinie, | |
den Hafen von Mombasa oder die Umgehungsstraße von Nairobi. Und während die | |
EU-Kreditbedingungen relativ transparent sind, unterliegen die Details | |
chinesischer Darlehen stets der Geheimhaltung. Journalist:innen können | |
sie nicht einsehen. | |
## 59 Prozent von Kenias Steuereinnahmen für Schulden | |
Sicher ist aber: Chinas Kredite kommen Afrika politisch scheinbar günstig, | |
aber fiskalisch teuer. Nach einer Untersuchung des Kieler Instituts für | |
Weltwirtschaft vom Mai 2023 setzt China für afrikanische Staaten im Schnitt | |
3,2 Prozent an Zinsen an. Bei den übrigen öffentlichen Gläubigern – von der | |
Weltbank über den Internationalen Währungsfonds bis hin zu einzelnen | |
Staaten – liege der Schnitt bei nur 1,1 Prozent. Kredite aus Deutschland | |
und Frankreich seien mit durchschnittlich 1,7 Prozent verhältnismäßig | |
teuer. Japan hingegen biete mit nur 0,5 Prozent die günstigsten | |
Kreditzinsen. | |
Und so muss Kenia heute 59 Prozent seiner Steuereinnahmen für den | |
Schuldendienst aufwenden. Diese Quote stieg zuletzt um fast die Hälfte an. | |
Für Investitionen in Entwicklung oder die eigene Wirtschaft bleibt kaum | |
Geld, was wiederum das Wachstum hemmt und das Land dauerhaft auf Kredite | |
angewiesen bleiben lässt. | |
„Kenia sollte Kredite aufnehmen, um konkrete Probleme der Bürger zu lösen�… | |
sagt der Ökonom Iraki – für Bildung, Zugang zu sauberem Wasser, | |
Ernährungssicherheit und Gesundheit zum Beispiel. „Das wird auch die | |
Produktionskapazität der Wirtschaft stärken, und zwar nicht nur für diese | |
Generation, sondern auch für künftige Generationen.“ | |
[1][Hier] erfahren Sie mehr über den Afrika-Workshop der taz Panter | |
Stiftung und das 54-seitige Magazin. | |
19 Jan 2024 | |
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[1] /!vn5981173/ | |
## AUTOREN | |
Nelly Madegwa | |
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