# taz.de -- Diskussion Antisemitismus und Justiz: Ist das strafbar? | |
> Dass Polizei und Justiz beim Thema Antisemitismus weiterhin Nachholbedarf | |
> haben, wurde bei einer Veranstaltung in Berlin deutlich. | |
Bild: Die umstrittene Parole, die die Auslöschung Israels impliziert, Anfang N… | |
„Seit Jahren branden die Wogen des Judenhasses auch bis in die Gerichtssäle | |
hinein und zwingen unsere Vereinigung, ihre Abwehrdämme auch auf diesem | |
Gebiete auszubauen.“ Geschrieben hat diesen Appell der wenig bekannte | |
jüdische Rechtsanwalt Ludwig Foerder in einem Fachaufsatz – im Jahr 1924. | |
Ein Satz, der in seiner Aktualität beklemmend wirkt. Polizei und Justiz | |
kämpfen auch heute mit Antisemitismus – mit seiner juristischen Bewältigung | |
und mit seinem Auftreten in den eigenen Reihen. | |
Es gibt dafür zahlreiche Beispiele: In Hessen streiten Staatsanwaltschaft | |
und Gerichte darüber, ob die in einer internen Chatgruppe von | |
Polizist*innen der Frankfurter Innenstadtwache geteilten, teils | |
antisemitischen Inhalte strafbar sind. Das Landgericht Frankfurt verneinte | |
im Februar 2023, denn für eine strafbare Volksverhetzung kommt es unter | |
anderem auf die Öffentlichkeit der Äußerungen an; und die sei bei internen | |
Chats nicht gegeben. | |
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Nun muss die | |
nächsthöhere Instanz entscheiden. Oder Niedersachsen: Dort ist man sich | |
uneins, ob der von der Partei Die Rechte im Europawahlkampf 2019 | |
plakatierte Slogan „Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“ strafbar ist | |
oder nicht. Die Staatsanwaltschaft Hannover erkannte keine Volksverhetzung | |
und sprach von einer legitimen Kritik am Staat Israel. Die übergeordnete | |
Generalstaatsanwaltschaft sah das anders, scheiterte aber vor den | |
Gerichten. | |
Doch die Taten müssen überhaupt vor Gericht landen, das Dunkelfeld ist | |
riesig. [1][Der Journalist Ronen Steinke] weist im Rahmen einer | |
Diskussionsveranstaltung in der Topographie des Terrors am Montag in Berlin | |
auf Studien hin, nach denen nur 24 Prozent der antisemitischen Taten in | |
Deutschland überhaupt gemeldet werden. So kommen nur wenige Fälle zu den | |
Richter*innen. Das wiederum habe zur Folge, dass die Jurist*innen | |
seltener Fortbildungen zu dem Thema belegten, fügt Ulrike Lembke, | |
Landesverfassungsrichterin in Berlin und Freie Rechtswissenschaftlerin, | |
hinzu. | |
## Eine späte Wissenschaft | |
Auch sonst liege einiges im Argen: „Die deutsche Rechtswissenschaft ist | |
insgesamt eine späte Wissenschaft, was die Aufarbeitung der NS-Zeit | |
angeht“, so Lembke. Sie forscht im Verbundprojekt „Antisemitismus als | |
justizielle Herausforderung (ASJust)“ und identifiziert mehrere | |
Herausforderungen, vor denen die Justiz im Bereich Antisemitismus stehe. So | |
gebe es fast keine rechtswissenschaftliche Literatur zu dem Thema, man | |
könne darüber „nur in Spurenelementen“ lesen. | |
Es mangele weiterhin an Transfer von Forschungsergebnissen in die | |
Rechtswissenschaft und -praxis. Jurist*innen hätten „keine Fachkultur, | |
in der Selbstreflexion ganz oben steht“. So waren wichtige | |
Gesetzeskommentare noch bis vor wenigen Jahren nach nationalsozialistischen | |
Juristen benannt. | |
Zu beobachten sei in der Strafverfolgung auch eine Amerikanisierung der | |
Meinungsfreiheit: „Die deutsche Meinungsfreiheit hat Grenzen“, bei | |
antisemitischen Inhalten rutsche diese Erkenntnis aber oft weg. Ihr Appell | |
am Ende der Veranstaltung: Es brauche „mehr Professionalisierung im | |
Staatsdienst“. | |
[2][In jüngster Zeit stand die oft auf propalästinensischen Demos | |
skandierte Parole „from the river to the sea“ im Fokus] der öffentlichen | |
Debatte. Wie damit strafrechtlich umzugehen ist, ist noch ungeklärt. Was | |
ist strafbare Volksverhetzung, was ist noch legitime Meinungskundgabe? Das | |
trieb schon Anwalt Foerder in der Weimarer Republik um, denn: „Die | |
antisemitischen Gewohnheitshetzer sind allmählich so schlau geworden, sich | |
gewunden auszudrücken.“ | |
## Den Gesetzen Geltung geben | |
Genau darüber wurde im Rahmen der Veranstaltung leider wenig gesprochen. | |
Dabei liegt darin auch heute eines der Kernprobleme. Antisemit*innen | |
können den liberalen Ansatz des Grundgesetzes oft austricksen, indem sie in | |
Codes und Chiffren sprechen. Die Justiz verwehrt sich dann Verurteilungen | |
mitunter, denn der Wortlaut der einschlägigen Strafgesetze erfasse das | |
Gesagte nicht. | |
Daran etwas ändern kann der Gesetzgeber, aber der kann auch nicht jede | |
einzelne Äußerung explizit unter Strafe stellen. Am Ende sind es die | |
Menschen in Polizei und Justiz, die den Gesetzen Geltung verschaffen | |
müssen. | |
21 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Julian Sadeghi | |
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