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# taz.de -- Juso-Bundeskongress in Braunschweig: „Ändere Deinen Kurs, Olaf“
> Die Jusos müssten wieder mutig werden, fordert deren neuer Chef Philipp
> Türmer. Der 27-Jährige setzte sich gegen Mitbewerberin Sarah Mohamed
> durch.
Bild: Der neue Juso-Vorsitzende Philipp Türmer teilt kräftig gegen die Ampel …
Braunschweig taz | Die neue Nemesis von Olaf Scholz heißt Philipp Türmer.
Auf ihrem Bundeskongress in Braunschweig wählten die
Jungsozialist:innen in der SPD den 27-Jährigen zum neuen Vorsitzenden.
Türmer setzte sich am Freitag in einem spannenden Rennen knapp gegen seine
Mitbewerberin Sarah Mohamed durch, die [1][als erste schwarze Frau für den
Juso-Vorsitz kandidiert] hatte. Von den 299 Delegierten stimmten 162 für
ihn und 132 für sie, eine Stimme war ungültig. Mohamed gratulierte und
umarmte Türmer gleich als erste.
Türmer kommt aus Offenbach und ist nach dem Abi 2013 in die SPD
eingetreten. Er hat zunächst Volkswirtschaft studiert. Nach dem Bachelor
sattelte er auf Jura um und arbeitet aktuell an seiner Promotion. Thema:
Die Einziehung von Vermögenswerten im Strafrecht.
Beim Thema Umverteilung, Türmers Steckenpferd, ist mit ihm nicht zu spaßen.
Und auch sonst werden die Jusos mit ihrem neuen Vorsitzenden wohl weniger
zahm und gemäßigt auftreten, als man es in den letzten zwei Jahren von
ihnen gewohnt war. „Lieber Olaf, ändere deinen Kurs, mach den Kampf gegen
Armut und für Verteilungsgerechtigkeit zur Chefsache. Sonst brauchst du
nächstes Jahr, wenn Du wieder unsere Wahlkampfunterstützung brauchst, gar
nicht erst herkommen“, schmetterte Türmer in seiner Bewerbungsrede gen
Berlin.
Der Saal jubelte. Das sind mal ganz neue Töne im Vergleich zu seiner
gemäßigter auftretenden Vorgängerin Jessica Rosenthal, die in ihrer
Doppelrolle als Juso-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete stets ein wenig
zwischen den Stühlen saß. Olaf Scholz war allerdings verhindert, er hatte
Besuch aus Ankara.
Sowohl Türmer als auch Mohamed hatten in ihren Bewerbungsreden nicht mit
Kritik an der Ampel im Allgemeinen, an der FDP im Besonderen und an Olaf im
Speziellen gespart. Während die scheidende und hochschwangere Vorsitzende
Rosenthal in ihrer Abschiedsrede per Video vor flauschigen Sofakissen noch
am donnerndsten gegen die Schuldenbremse gewettert hatte – „Nichts ist
wohlstandsgefährdender als eine falsche Ideologie der Schuldenbremse“ –
fuhr Mohamed, die in schwarzen Docs ans Redner:innenpult trat, weitaus
schwerere Geschütze auf.
Sie warf der Ampel vor, mit ihrer Flüchtlingspolitik den Rechtsruck in der
Gesellschaft zu befeuern und die Ärmsten gegeneinander auszuspielen.
Migrant:innen und Schutzsuchende würden zu Sündenböcken für eine
verfehlte neoliberale Sparpolitik gemacht und gegängelt. Auch die SPD
beteilige sich mittlerweile daran, nach unten zu treten, das sei der
Sozialdemokratie unwürdig. „Die Menschen, die Olaf in großem Stil
abschieben will, sind Teil dieser Gesellschaft“, rief Mohamed und erntete
kräftigen Applaus.
Eine Sozialdemokratie dürfe sich nicht an rassistischer Hetze beteiligen,
forderte sie und bezichtigte Scholz und Innenministerin Nancy Faeser
indirekt, dies zu tun. „Den Städten und Gemeinden hilft keine rassistische
Hetze, das müsst auch ihr verstehen, Olaf, Nancy und die
Ministerpräsidenten.“ Der Beifall im Saals war laut, der Drang nach mehr
Auflehnung gegen die Ampelpolitik auch hier deutlich zu spüren.
Auch Türmer teilte gegen den Kanzler aus, der sich lieber mit einem
Autokraten treffe als zum Juso-Bundeskongress zu kommen. Es entsetze ihn,
„wie wenig dieser Kanzler sich für diejenigen ins Zeug legt, die unseren
Respekt verdient hätten“, beklagte Türmer. Stattdessen lasse sich die SPD
von einer „Kleinstpartei“ treiben. Die Schuldenbremse müsse weg. „Rettet
das Klima vor der Schuldenbremse. Es gibt keine grüne Null mit der
schwarzen Null, und wenn dafür die gelbe Null aus dem Finanzministerium
verschwinden muss.“ Auch Christian Lindner kriegte also sein Fett weg.
Wie Mohamed zeigte sich Türmer tief besorgt über den Rechtsruck im Land. Er
berichtete über eine Szene im hessischen Wahlkampf, als ihn ein
AfD-Mitglied am Wahlkampfstand mit den Worten besuchte: „Wenn wir hier das
Sagen haben, wird es sowas wie dich hier nicht mehr geben.“
Erfahrungen, die Mohamed schon ihr ganzes Leben macht. Mit ihrer Kandidatur
habe sie auch eine Flut von Hassmails bekommen, erzählte sie.
„Buschfraufrisur“ – „Du gehörst hier nicht hin“ – „Im Flieger is…
Platz“ – das waren noch die milderen Beschimpfungen, die sie zitierte.
Für die Wurzel all dieser Probleme halten Türmer und Mohamed: den
Kapitalismus. „Armut und Klimakrise sind das Ergebnis des kapitalistischen
Wirtschaftssystems“, so Türmer. Und forderte: „Lasst uns gemeinsam für den
demokratischen Sozialismus streiten.“
Dass zwei ähnlich aussichtsreiche Kandidat:innen gegeneinander
antreten, war eine Situation, die die Jusos so gar nicht mehr kannten. In
den vergangenen zehn Jahren war der Vorsitz stets im Vorfeld ausgekungelt
worden – sowohl Jessica Rosenthal als auch Kevin Kühnert wurden ohne
ernsthafte Gegenkandidat:innen gewählt.
Viele Landesverbände [2][hatten sich im Vorfeld schon positioniert] und für
eine der beiden Bewerber:innen ausgesprochen. Nach Mohameds Rede
erhielt sie stehenden Applaus von den Delegierten ihres
nordrhein-westfälischen Heimatverbands, von den Berliner:innen, den
Bremer:innen, den Hamburger:innen und von Hessen Nord. Hessen Süd erhob
sich nach Türmers Rede, auch die Ost-Landesverbände, die
Baden-Württemberger:innen, Rheinland-Pfälzer:innen und die Bayer:innen.
Der Bezirk Hannover war einer der wenigen, die die Abstimmung freigegeben
hatte. Marco Albers, Delegiertensprecher aus Hannover (ja, ja auch bei den
Jusos kann man nicht einfach jeden anquatschen) geht jedoch davon aus, dass
sich der Verband nach dem Wahlkrimi schnell wieder zusammenraufen wird.
„Das müssen wir auch, denn zum Bundesparteitag in drei Wochen müssen wir
wieder geeint auftreten.“ Schließlich gelte es dort, wichtige Juso-Anliegen
in die SPD-Programmatik zu bekommen, wie etwa die Abschaffung der
Schuldenbremse.
18 Nov 2023
## LINKS
[1] /Sarah-Mohamed-ueber-die-Jusos-in-der-SPD/!5954746
[2] /Bundeskongress-der-Jusos/!5969878
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
SPD
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