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# taz.de -- Neuer Juso-Vorsitzender Türmer: Mehr als eine Machtmaschine?
> „Nikolaus ist Ampel aus“ – der Spruch war beim Juso-Kongress in
> Braunschweig zu hören. Zur Rebellion war der SPD-Nachwuchs allerdings
> selten bereit.
Bild: Philipp Türmer, der neue Bundesvorsitzende der Jusos
Motor oder Stachel? Die Jungsozialist:innen in der SPD streiten sich
ja gern darüber, ob sie ihre Rolle eher als Antreiberin oder als Quälgeist
ihrer Mutterpartei definieren. Seitdem die SPD das Kanzleramt vor zwei
Jahren eroberte, sind sie, das muss man leider sagen, keines von beidem.
[1][Von den 49 Abgeordneten, die mit Juso-Etikett in den Bundestag
einzogen, hört man kaum etwas.] Genauso brav wie die Mutterpartei nicken
sie Asylrechtsverschärfungen und lauwarme Kompromisse bei der
Kindergrundsicherung ab und ballen die Fäuste lediglich in den Taschen
ihrer Anzughosen.
Das könnte sich nun ändern. Beim [2][Juso-Bundeskongress in Braunschweig]
lag Rebellion in der Luft, recht klare Anti-Ampel-Stimmung. Die Koalition
betreibe eine in Teilen rassistische Asylpolitik, eine fehlgeleitete
Finanzpolitik, die SPD setze wenig eigene Akzente, lasse sich von einer
Kleinstpartei treiben, mache sich klein und ducke sich weg, so die Liste
der Vorwürfe. „Nikolaus ist Ampel aus“, so eine Delegierte zwischen den
Reden.
Den Frust über die eigene Lethargie und die passive Rolle ihrer
Mutterpartei bekamen die angereisten Politiker:innen ab:
SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die 2019 mit massiver Unterstützung der Jusos
erstmals als linke Parteivorsitzende gewählt wurde, Ex-Juso-Chef und
Generalsekretär Kevin Kühnert, der die Jusos mit einer No-Groko-Kampagne
als ernst zu nehmende politische Player etabliert hatte, am wenigsten noch
Hubertus Heil, der als Arbeits- und Sozialminister die Prokura und die
größte Schatulle hat, die Kernthemen der SPD zu bearbeiten.
Esken erntete für ihre Rede peinlich wenig Applaus, und als sie die Aussage
des Kanzlers verteidigte, man müsse jetzt in großem Stile abschieben,
eisiges Schweigen. „Regeln müssen schon sein, sonst verlieren die Menschen
das Vertrauen in die Demokratie“, bemühte sich Esken und war sich wohl
selbst bewusst, wie lahm das klang. Denn als Regierungspartei bestimmt die
SPD die Regeln ja selbst mit bzw. war angetreten, sie zu ändern. Die Jusos
von heute sind zu gut erzogen und diszipliniert, um die eigene Parteichefin
auszubuhen, aber einige Delegierte in den vorderen Reihen hielten Esken die
Spiegel-Titelseite mit modifiziertem Scholz-Zitat entgegen und skandierten:
„Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“. Und Kevin Kühnert
musste sich anhören, die SPD mache heute die Politik von Seehofer und ihm
selbst fehle die Energie von früher.
## „Richtig Druck machen“
Kühnert war als Juso-Chef der linke Hoffnungsträger, als Generalsekretär
ist er vor allem Verwalter der Partei. Das kann man schade und eine
Verschwendung von Talent finden, aber das ist nun mal die Jobbeschreibung
eines Generalsekretärs. Und dass die Parteilinke Esken die ihr zugedachte
Rolle als Jeanne d’Arc der SPD nicht lange durchhalten würde, war schon
klar, als sie gleich nach ihrer Wahl Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten
vorschlug. Seitdem hat sie Scholz stets platt verteidigt, statt ihn von
links zu piksen. Ob die Jusos Esken, die sich im Dezember wieder wählen
lassen will, noch einmal so tatkräftig unterstützen wie 2019, ist fraglich.
Der frisch gewählte [3][Juso-Chef Philipp Türmer] will es anders angehen.
Er will seiner Partei „richtig Druck machen“ und ist mit dem Versprechen
gewählt worden, die Jusos wieder „lauter, linker und kritischer“
aufzustellen. Sie gewissermaßen zum brummenden Ampel-Motor zu machen. Ist
das glaubwürdig? Die Jusos waren ja nie ausschließlich Bienen oder Motoren,
sondern immer auch Machtmaschine und Karriereinkubator. Wer es bis zur
Juso-Chef:in bringt, ist auch für eine weitere Karriere im Parteiapparat
prädestiniert. Nicht alle Ex-Juso-Chefinnen sind
Spitzenpolitiker:innen geworden, aber fast alle, die etwas geworden
sind, waren mal bei den Jusos – ob Olaf Scholz oder Hubertus Heil, Andrea
Nahles oder Gerhard Schröder.
Dass sich das Rebellische dann irgendwann abschleift, dass der Protest dem
Pragmatismus weicht, liegt in der Natur der Sache. Erst recht in einer
Partei wie der SPD, die sich so sehr dem Kompromiss und einer
Konsenspolitik der kleinen Schritte verschrieben hat.
Der neue Juso-Vorsitzende Türmer war nun immerhin klug genug anzukündigen,
nicht für den Bundestag zu kandidieren. So tappte er nicht in die gleiche
Falle wie seine [4][Vorgängerin Jessica Rosenthal], als sie Abgeordnete
wurde. Türmer kann den Forderungen der Jusos nach Umverteilung, nach einer
Abschaffung der Schuldenbremse und für eine menschliche Asylpolitik ohne
Fraktionszwang besser Nachdruck verleihen.
Eine Antreiber:in könnte die SPD gut gebrauchen, ihr brechen die
Wähler:innen weg, Schwung und Selbstvertrauen fehlen. Selbst Kühnert gab
zu, die SPD brauche wieder mehr Hummeln im Hintern. Bei den Hummeln
verfügen allerdings nur die Weibchen über einen Wehrstachel.
19 Nov 2023
## LINKS
[1] /Jusos-im-Bundestag/!5866888
[2] /Juso-Bundeskongress-in-Braunschweig/!5974432
[3] /Bundeskongress-der-Jusos/!5969878
[4] /Juso-Chefin-zur-deutschen-Aussenpolitik/!5887395
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Jusos
SPD
Saskia Esken
Martin Schirdewan
SPD
Jusos
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