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# taz.de -- Der Gender-Gaga-Gigi-Gugu-Kampf: Star Wars, nächstes Level
> In Hessen plant die neue Koalition das Verbot bestimmter genderneutraler
> Schreibweisen. Die Antwort darauf ist einfach: Aufforderung zum Dialog.
Bild: Der Sternenkrieg: Wer will warum was entsorgen? Und wie kommen wir da wie…
Die nächste Runde im Gender-Gaga-Gigi-Gugu-Kampf ist eingegongt. Der
Schlegel war diesmal in der Hand von CDU und SPD, die [1][in Hessen]
bestimmte genderneutrale Schreibweisen an Sternchen-Hotspots – Schulen,
Unis und Rundfunkanstalten – verbieten wollen. In Berlin machen die
Medien freiwillig mit, die Chefetage des Tagesspiegel ließ diese Woche
gegenüber ihren Mitarbeitern [2][verlauten], das Gendern bitte
einzustellen. Grund sei die Zunahme an Abo-Kündigungen.
Nach Deutschland brachten das orthographische Streitobjekt übrigens
taz-Redakteur_innen, die sich in den 80ern von der Schweizer Zeitung WOZ
inspirieren ließen. In den letzten vierzig Jahren entpuppte es sich als
wandlungsfähig, das Binnen-I wurde zum Doppelpunkt, Unterstrich und
Sternchen. In den öffentlichen Debatten werden diese Formen meist unter
letzterem subsumiert. Wahrscheinlich, weil es sich am besten dafür eignete,
das auszudrücken, was seine Gegner in ihm veranschaulicht sehen:
Weltfremdheit. Die wird Gendernden immer wieder attestiert, nach dem Motto,
wer die Muße hat, sich die Sprache mit einem Sternchen zu schmücken, müsse
sich erst mal nach den richtigen Problemen umschauen.
Die Ressentiments, die in der Debatte rund ums Gendern oft mitschwingen,
lassen sich gut ins [3][Kulturkampf-Getöse] und das gern bediente Bild
einer „abgehobenen urbanen Linken“ einspeisen. AfD-Politiker haben sich die
Verteidigung der deutschen Sprache gegen den „Gender-Wahn“ deswegen auf die
Fahnen geschrieben. Dass nun auch SPD und CDU auf diesen Zug aufspringen,
zeigt, [4][welch große Relevanz] sie diesem Thema zuschreiben. In Hessen
sammelte eine Kampagne [5][gegen das Gendern zuletzt über 16.000
Unterschriften]. Gendern doof, nervig, oder hypermoralisch zu finden, ist
die eine Sache. Mit der Forderung nach Verboten ist aber ein neues Level in
der Debatte erreicht. Woraus speist sich die große Ablehnung jener, die das
Gendern verbieten wollen?
Um das zu erklären, hilft vielleicht ein Blick darauf, wie die Debatte
bisher ausgetragen wurde. Seit die Philosophie im letzten Jahrhundert
[6][einen linguistic turn gemacht hat], hat sich in den
Geisteswissenschaften ein Verständnis von Sprache durchgesetzt, das diese
nicht nur als Abbildung der Realität, sondern als realitätsstiftend
begreift. Auch deswegen wurde dem Gendern ein so großer Stellenwert von
vielen Verfechter*innen zugewiesen. Solange das männliche Geschlecht im
Zentrum der Sprache steht, so die Prämisse, steht es im Zentrum der
Gesellschaft. Ein Wandel der Geschlechterverhältnisse setze also eine
geschlechtergerechte Sprache voraus.
## Machtinstrument vs Alltagswerkzeug
Auf der Contra-Seite purzelten die Gegenargumente nur so aus dem Ping
Pong-Automaten. Gendern hemme den Lesefluss, sei umständlich, nach den
Regeln der Grammatik streng genommen nicht durchführbar und unnötig, da das
generische Maskulinum alle mitmeine. Dass es bei diesem Hin und Her blieb,
lag daran, dass beide Seiten zwar von derselben Sache sprachen (der
Sprache!), aber etwas anderes meinten: Die eine Seite ein Machtinstrument,
die andere Seite ein nützliches Alltagswerkzeug. Dementsprechend befand
erstere Seite das Schulterzucken letzterer für maximal ignorant, letztere
die Forderungen ersterer für maximal nervig. Und weil beide davon
ausgingen, dass beide dasselbe meinten, gab es noch weniger Verständnis für
die jeweils andere Seite. Vorwürfe der „Gewaltausübung“ und
„Diskriminierung“ wurden gegen Vorwürfe des „Zwangs“ in Stellung gebra…
Als Konsequenz daraus folgt, dass dem vermeintlichen „Zwang“ nun Verbote
entgegengesetzt werden.
Kampagnen gegen das Gendern, wie sie aktuell in Hessen geführt werden,
sammeln keine Stimmen mit Sachargumenten; sondern damit, dass sie denen,
die in dieser Frage moralische Überlegenheit behaupten, eins reindrücken.
Nun auf feministischer Seite im Modus der Empörung zu verbleiben, wird da
nicht weiterhelfen. Besser wäre es, erst recht einen Dialog einzufordern
und altbekannte Argumente zu hinterfragen. Beim geplanten Verbot in Hessen
geht es etwa darum, die Sprache in ihrer „offiziellen“ Form nicht zu
verkomplizieren, zugleich wird proklamiert, Sprache müsse sich natürlich
verändern und dürfe nicht durchs Gendern verkünstlicht werden.
Was jetzt?! Ist Sprache nun natürliches Gestrüpp oder amtliches Regelwerk?
Sind Wortneuschöpfungen per se schlecht (wieso erlauben wir den Jungen dann
das TikTok und den „Cringe“?) Und wenn die Unkompliziertheit des Schreibens
und Sprechens das oberste Gebot sein soll, wieso verlagern wir unsere
Kommunikation dann bereitwillig in digitale Räume, deren technische
Gegebenheiten diese tendenziell erschweren (immerhin ist die
Durchschnittstastatur immer noch ein Parcours für den Durchschnittsdaumen)?
Ein bisschen unaufgeregter ließe sich vielleicht eher ins Sprechen kommen.
1 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/gender-verbot-in-hessen-es-geht-…
[2] https://www.queer.de/detail.php?article_id=47709
[3] /Ini-gegen-Gendersprache-in-Hamburg/!5969840
[4] /Wenn-Rechte-das-Gendern-kritisieren/!5947191
[5] https://www.queer.de/detail.php?article_id=46368
[6] /Archiv-Suche/!5808567&s/
## AUTOREN
Lara Ritter
## TAGS
Gendern
Macht
Linguistik
GNS
Landtagswahl in Hessen
Union
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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