| # taz.de -- Film „Die Höhle“ auf DVD: Überleben mit Merci-Tafeln | |
| > Die Höhle als Gefängnis sowie als Safe Space: Regisseur Roman Nemec | |
| > inszeniert sein Lehrer-Schüler-Drama als eine Art Escape-Game. | |
| Bild: „Die Höhle“ | |
| Daniel lebt in einer alten und recht schönen und sehr sauberen | |
| tschechischen Kleinstadt. Er ist achtzehn, er lackiert sich die Fingernägel | |
| schwarz, und etwas Eyeliner nutzt er auch. Daniel ist schwul, macht kein | |
| Geheimnis daraus, von den Mitschülern wird er beleidigt und diskriminiert, | |
| die Lehrer*innen schreiten höchstens halbherzig dagegen ein. Im | |
| Unterricht liest er einen zu seinem T-Shirt passenden Comic, legt die | |
| Gesetze der Thermodynamik so zynisch wie existenziell aus, über [1][Oscar | |
| Wilde] immerhin weiß er Bescheid. | |
| Das Abitur ist gefährdet, weil Daniel die Arbeit verweigert. Die Eltern | |
| sieht man nur einmal, sie geraten, zum Direktor gerufen, sofort in Streit. | |
| Der Vater gibt der Mutter die Schuld, dass der Sohn schwul ist (nicht dass | |
| er das Wort aussprechen könnte), was für ihn, und für sie wohl auch, | |
| offenbar ein großes Problem ist. | |
| Kein Wunder, dass Daniel ein Einzelgänger bleibt und immer die Kopfhörer | |
| aufsetzt, weil er die feindliche Mitwelt nur so aushalten kann. Adam ist | |
| Daniels Lehrer. Er lebt in einer Beziehung mit einem Mann, alle wissen, so | |
| scheint es, Bescheid, öffentlich aber zeigen sich Adam und sein Partner | |
| David niemals gemeinsam. | |
| Als es auf eine Klassenfahrt geht, schmiert David liebevoll Brote, packt | |
| heimlich eine Merci-Tafel in Adams Rucksack, fährt ihn zum Schulbus, hält | |
| sich aber so weit entfernt, dass niemand die beiden bemerkt. In ihrer | |
| Wohnung liegen die beiden nackt auf dem Bett, beim Sex fährt die Kamera | |
| aber schnell abwärts, sodass man in Großaufnahme nur noch die Matratze | |
| erkennt. | |
| Man kann nicht nur hier sehr gut sehen, dass es auch im, verglichen mit | |
| anderen postkommunistischen Ländern, liberalen tschechischen | |
| Herstellungskontext bildpolitische Grenzen dessen gibt, was gezeigt werden | |
| kann. Regisseur Roman Nemec, um dessen Langfilmdebüt es sich handelt, lotet | |
| sie aus und überschreitet sie nicht. | |
| ## Lehrer-Schüler-Drama inszeniert als Escape-Game | |
| Die Klasse ist auf einer Wanderung, in sehr schöner, aber auch sehr | |
| menschenleerer Natur, das Lager, in dem sie übernachten wollten, erweist | |
| sich als geschlossen. So ziehen sie weiter, rüsten sich für die Dunkelheit, | |
| die bald hereinbrechen wird. Plötzlich fehlt Daniel, Adam sucht ihn, | |
| rutscht in die Tiefe, findet sich in einer weitläufigen Höhle wieder – auch | |
| Daniel ist hier, er hatte das Gefühl, jemand habe ihn in die Tiefe | |
| geschubst. | |
| Nun wandelt der Film „Die Höhle“ seinen Charakter, wird zum | |
| Abenteuer-Kammerspiel in der dunklen, kühlen und zusehends bedrohlichen | |
| Höhle. Ein Ausgang nämlich findet sich erst einmal nicht. Man ist allein | |
| mit Fledermäusen und Schaben, Letztere werden später, als die Nahrung | |
| ausgeht, sogar gegrillt. | |
| Schnell wird erkennbar, dass Nemec (auch Drehbuchautor) die Wendung zum | |
| intensiven Lehrer-Schüler-Drama gut vorbereitet hat. Die liebevoll | |
| geschmierten Brote und die Merci-Tafel werden zum Überlebensproviant. Es | |
| bleibt den beiden nichts anderes übrig, als einander näherzukommen, schnell | |
| geht es vom Lehrer-Schüler-Respekt zum Du der gemeinsamen beschissenen | |
| Lage. | |
| Ja, die geschlossene Höhle wird zum Safe Space, in dem es für die beiden | |
| ins emotional Offene geht. Mal tastend, mal ruppig, mal zärtlich, mal | |
| komisch sprechen sie über Dinge, die ihnen im Alltag der Kleinstadt nicht | |
| aussprechbar schienen. | |
| Nimm es als Escape-Game, sagt Adam, aber dann wird die Lage zunehmend | |
| ernst. Nemec sucht und hält die Balance zwischen Themendrama, Allegorie und | |
| Spannungsgenre, misst die Topografie der Höhle genauso sorgfältig und | |
| eindrucksvoll aus wie die Gedanken und Gefühle der Männer, die einen | |
| Ausgang suchen und lange nur Sackgassen finden. Es geht hier wie da um die | |
| Möglichkeit der Befreiung. Klingt einfach, aber das ist es, wie immer, | |
| nicht. | |
| 6 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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