# taz.de -- Freie Radios in Sachsen: Mit neuem Etikett zu Fördermitteln | |
> Bürgerradios in Sachsen freuen sich über steigende Reichweiten. Nun ist | |
> ein seltsamer Konkurrent aufgetaucht, der bislang Dudel-Kommerzradio war. | |
Bild: Ne ordendliche Dämse übbor dor Landeshauptstad | |
Im Sommer hatte die Radioinitiative Dresden, die unter dem Namen | |
[1][coloRadio] ein [2][Bürgerprogramm] sendet, Grund zu feiern. Entstanden | |
aus dem Aufbruchsgeist nach der sogenannten Wende in der DDR, ist man seit | |
30 Jahren auf UKW-Privatradiofrequenzen Gast. Zum Jubiläum ging es auch | |
technisch voran. Seit diesem Jahr sendet man rund um die Uhr und mit 10 | |
Kilowatt Leistung vom Dresdner Fernsehturm auf DAB+. „Wir haben nun eine | |
viel größere Sendereichweite, sind bis Meißen, mit etwas Glück auch in | |
Riesa zu empfangen“, freut sich Max Franke vom Vorstand des Vereins. | |
Mit der neuen Initiative [3][„Radio Zett“] aus dem Zittauer Dreiländereck | |
an der Neiße ist auch kein Konkurrent, sondern ein Kooperationspartner | |
hinzugekommen. Das gemeinsame Programm ist ebenso vom Löbauer Fernsehturm | |
in der Oberlausitz zu hören wie auf der neuen Digitalradiofrequenz, wobei | |
Max Franke die herkömmliche UKW-Nutzung nicht aufgeben möchte. Das | |
Buntradio will dabei nicht wie ein Leuchtturm aus der Landeshauptstadt | |
erscheinen. „Guckt mal, wie links und alternativ wir in Dresden sind“, | |
meint Franke selbstironisch. Mit Radio Zett produziert man schon gemeinsam, | |
kleine Studios im Elbraum werden eingerichtet. Die Sendekosten von bislang | |
1.200 Euro im Monat steigen mit DAB+ zwar auf mehr als das Doppelte. Aber | |
die übernimmt erfreulicherweise weiterhin die Sächsische | |
Landesmedienanstalt SLM. | |
Den Abschied des Hauptsitzes aus dem meist überschätzten Dresdner | |
Szenestadtteil Äußere Neustadt empfindet niemand als Verlust. Im seit 2016 | |
mitgenutzten [4][Pieschener Zentralwerk] inspiriert der Austausch mit | |
Künstlern, Computerleuten oder dort [5][kreativ tätigen Menschen mit | |
Behinderung.] | |
Weniger Anlass zur Freude im ablaufenden Jahr bieten die Aussichten auf | |
weitere Förderung und Entscheidungen der zuständigen Landesmedienanstalt. | |
Sie gelten für die traditionellen drei sächsischen Bürgerradios in den | |
Großstädten, also coloRadio in Dresden, Radio Blau in Leipzig und Radio T | |
in Chemnitz sowie für das „Rundfunk-Kombinat“ als gemeinsames Projekt der | |
Freien Radios in Sachsen. | |
## Mehr oder weniger unterhaltend | |
Solche freien, ehrenamtlich von Bürgern getragenen Radioinitiativen fallen | |
unter den [6][Sammelbegriff Nichtkommerzieller Lokalfunk NKL.] Wer sich so | |
bezeichnen darf und damit förderwürdig ist, wird derzeit auch über Sachsen | |
hinaus diskutiert. Denn mit Radio WSW im weit östlich gelegenen Weißwasser | |
ist im selben Fördertopf ein seltsam mutierter Konkurrent aufgetaucht, der | |
bis zum Vorjahr noch als übliches Dudel-Kommerzradio Hörer mehr oder | |
weniger unterhielt. Die GmbH ist Teil der Sendergruppe des größten privaten | |
sächsischen Lokalfernsehanbieters [7][Sachsen-Fernsehen] und wegen | |
lukrativer Geschäfte mit der CDU nicht im besten Ruf stehend. | |
Neben der Übernahme der technischen Verbreitungskosten gewährt die | |
Landesmedienanstalt den NKL eine Strukturförderung. Sie „dient der Stärkung | |
von Strukturen und Aktivitäten vor Ort“ und umfasste im Haushaltsjahr 2023 | |
eine Gesamtsumme von 221.000 Euro, 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Der für | |
die operative Arbeit der Stationen entscheidende Anteil von 100.000 Euro | |
aber ist seit 2017 nicht erhöht worden und bleibt auch weiterhin gedeckelt, | |
wie den Radioinitiativen am 18. September mitgeteilt wurde. Die hatten sich | |
bislang abgesprochen und den Topf gerecht geteilt. Mit der relativ | |
bescheidenen Summe konnten sie jeweils einen Ehrenamtskoordinator zumindest | |
in Teilzeit beschäftigten. Das Geld musste auch für Projekte, Workshops, ja | |
sogar Studioausrüstung reichen. | |
Diese 100.000 Euro müssen nach einem Beschluss des Medienrates der | |
Landesmedienanstalt vom 27. Juni nun durch vier geteilt werden. Von einer | |
„abwegigen Entscheidung“ spricht das Rundfunkkombinat, der Bundesverband | |
Freie Radios nannte sie „nicht akzeptabel“. Sie dürfte aber Schule machen. | |
Mit der Idee, plötzlich auf Werbung zu verzichten und damit dem einzigen | |
NKL-Förderkriterium der SLM zu genügen, erreichte Radio WSW eine | |
Lizenzumwandlung. | |
„Hundert Prozent Lausitz und null Werbung“ ist in der Tat die einzige | |
penetrante Eigenwerbung nach jedem Musiktitel, verbunden mit dem lauten | |
Dank an die sächsische Landesmedienanstalt. Auf der Website bezeichnet sich | |
Radio WSW zwar als „Gemeinschaftsprojekt“ und fordert dazu auf, sich mit | |
Geschichten, Kulturbeiträgen oder Podcasts zu beteiligen. Zu hören aber ist | |
nichts von einem selbst gestalteten Bürgerradio mit einem nennenswerten, | |
über stündliche Kurznachrichten und gelegentliche Lokalmeldungen | |
hinausgehenden, gar moderierten Programm. | |
## Differierende Standpunkte | |
Der Konflikt verweist auf Definitionslücken in dem als dringend | |
novellierungsbedürftig empfundenen Sächsischen Privatrundfunkgesetz. Das | |
erreicht nach Meinung von Radiomachern und Experten nicht einmal den Stand | |
einer EU-Entschließung von 2008 zu gemeinnützigen Bürger- und | |
Alternativmedien. Im Kern geht es um die Frage, ob ein bloßer Werbeverzicht | |
bei Beibehaltung aller sonstigen Merkmale eines Kommerzsenders schon für | |
eine Deklaration als Nichtkommerzieller Lokalfunk ausreicht. | |
Eine solche Novelle hatte die sächsische Kenia-Koalition bei ihrem Antritt | |
2019 auch vertraglich vereinbart. Die soll kurz vor Ablauf der Legislatur | |
im kommenden Januar nach einer Sachverständigenanhörung im Medienausschuss | |
des Landtages doch noch kommen. Aber gerade hinsichtlich der NKL | |
differieren die Standpunkte der Koalitionäre erheblich. Die grüne Kultur- | |
und Medienpolitikerin Claudia Maicher kritisiert die SLM-Finanzierung von | |
Radio WSW „aus Steuermitteln, die eigentlich dem Bürgerjournalismus | |
zukommen sollten“. Das gefährde die Vielfalt der sächsischen | |
Medienlandschaft. | |
Die CDU-Landtagsfraktion hingegen antwortet, dass es „aus unserer Sicht | |
keiner weiteren grundsätzlichen Regelungen im Privatrundfunkgesetz bedarf“. | |
Diese seien Sache der Legislative, also des gesetzgebenden Landtages, lehnt | |
die SLM wieder um eine eigene Positionierung ab. Für Verwirrung sorgt ein | |
Hinweis der CDU-Fraktion, dass noch ein Gesetzentwurf aus der | |
Staatsregierung, also aus der zuständigen Staatskanzlei erwartet werde. | |
Beide Fraktionen verweisen aber auf einen zweifelsfrei begrüßenswerten | |
Landtagsbeschluss zum laufenden Doppelhaushalt 2023/24. Pro Jahr stehen nun | |
2 Millionen Euro für die Förderung des Lokaljournalismus allgemein zur | |
Verfügung. Davon in beiden Jahren zusammen für die NKL maximal immerhin | |
600.000 Euro. Damit sei die Finanzierung der sächsischen NKLs „so gut wie | |
noch nie“, sagt SLM-Sprecherin Ines Herzog. | |
Wie viel davon bei den „echten“ Bürgerradios ankommt und wofür sie diese | |
Haushaltsmittel einsetzen können, ist unklar. Denn die zusätzlichen Mittel | |
sind an Projekte gebunden. Immerhin kann man bei coloRadio und dem | |
Leipziger Radio Blau den Ehrenamtskoordinatoren, deren Einsatz wegen der | |
Radio-WSW-bedingten Kürzungen weit heruntergefahren wurde, wieder ein paar | |
Wochenstunden mehr einräumen. Im Dresdner Zentralwerk weist man darauf hin, | |
dass aber die Sockelförderung aus dem 100.000-Euro-Topf entscheidend sei, | |
nicht das „Sahnehäubchen“ der neuen Haushaltsmittel. Die SLM lasse außerd… | |
erkennen, dass diese nur für die Erweiterung des Regionalprogramms | |
verwendet werden dürften, nicht für Dresden. | |
30 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://coloradio.org/ | |
[2] /Forscher-ueber-100-Jahre-Freies-Radio/!5968496 | |
[3] https://radio-zett.org/ | |
[4] https://zentralwerk.de/ | |
[5] https://www.farbwerk-kultur.de/ | |
[6] /Medienpolitik-der-Union/!5187840 | |
[7] https://www.sachsen-fernsehen.de/ | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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