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# taz.de -- Protest gegen Mainstream im Radio: Bürgerradio wird Dudelfunk
> In Hannover verabschiedet der Bürgerfunksender LeineHertz 106einhalb
> seine alternative Restidentität und setzt auf Quote. Dagegen formiert
> sich Protest.
Bild: Kritiker der neuen Linie: Festivalveranstalter und Clubbetreiber Heiko He…
HANNOVER taz | Eros Ramazzotti, Simply Red und Lena Meyer Landrut quälen
sich über den Äther, dicht gefolgt von Tina Turner. Seit dem 19. Januar ist
bei Hannovers Bürgerfunksender LeineHertz 106einhalb "alles anders".
So hatte es der Sender versprochen. Ein "völlig neues Klangbild" erwartet
nun die HörerInnen, nämlich die angeblich "besten Songs" seit den 1960ern.
Damit verabschiedet sich der Bürgerfunksender vom alternativen Rest-Flair,
das ihm nach dem Ende des Vorgängersenders Radio Flora geblieben war.
Alternative Musik wird in die Abendstunden verdrängt.
Bei zahlreichen Kulturschaffenden stößt diese Umstellung auf Unverständnis.
"Eigentlich fand der Hörer es besonders gut, dass die Musik nicht so war
wie auf den anderen Sendern", sagte Festivalveranstalter Heiko Heybey bei
einer Podiumsdiskussion im Kulturzentrum Faust.
Gegen den Richtungswechsel haben sich VeranstalterInnen und MusikerInnen
zur Initiative "Was ist Bürgerradio" zusammengeschlossen.
In einer "Petition für ein echtes Bürgerradio" fordert sie einen
ergebnisoffenen Dialog. Es gehe dabei ausdrücklich nicht um eine bestimmte
Musikrichtung, sondern um den Erhalt einer "kulturell anspruchsvollen
Vielfalt".
Für LeineHertz-Gesellschafter Johannes Janke sind das nur die Ansichten
eines kleinen Teils der HörerInnenschaft. "Wir senden aber nicht nur für
ein, zwei Stadtteile", sagt er.
Der Auftrag des Senders sei es, möglichst viele HörerInnen zu erreichen.
"Wir versuchen, die Musik so zu gestalten, dass niemand abschaltet",
erklärt Mitgesellschafter Hans-Christof Vetter.
Mit den aktuellen Debatten setzt sich ein jahrelanger Richtungsstreit in
Hannovers Bürgerfunkszene fort. Das linksalternative "Radio Flora" hatte im
Frühjahr 2009 die Sendelizenz verloren, LeineHertz rückte nach.
Die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) begründete den Lizenzentzug
von Radio Flora mit den niedrigen Einschaltquoten. Seither sendet Radio
Flora nur noch eingeschränkt über das Internet.
Zu den Kritikern der neuen Linie bei LeineHertz gehören auch Redakteure des
Senders.
Ihm gehe es nicht nur um seine eigenen Sendungen, sagte etwa Musikredakteur
Oliver Müller auf dem Podium im Faust. "Es geht mir um das Medium
Bürgerradio: es wird gegen die Wand gefahren!"
Auch der Führungsstil der Senderspitze stößt hausintern auf Kritik. "Wir
fühlen uns im Sender wie Fremdkörper", sagt der ehrenamtliche
Kulturredakteur Stephan Rykena.
Er vermisst bei LeineHertz, das kein Verein, sondern eine gemeinnützige
GmbH ist, "den Geist eines Bürgerradios". Entscheidungen würden
hierarchisch und nicht basisdemokratisch getroffen.
Die Debatte um das neue Auftreten des Bürgerfunksenders hat auch den
Landtag erreicht. "Was bei diesem Sender passiert, lässt sich als eine Art
vorauseilender Gehorsam beim Kulturabbau begreifen", sagt Kreszentia
Flauger von der Linksfraktion.
Von einer "beklagenswerten kulturellen Verarmung" spricht der
Grünen-Abgeordnete Enno Hagenah. Die CDU begrüßte die Änderungen und
geißelte die Senderschelte als "Eingriff in die Pressefreiheit".
Laut niedersächsischem Mediengesetz sollen Bürgerradios für eine
"publizistische Ergänzung" des kommerziellen Angebots sorgen. Deswegen
bekommen sie Zuschüsse vom Land. Die Frage ist nur, ob zur publizistischen
auch die musikalische Vielfalt gehört.
"Musik ist keine Publizistik", meint LeineHertz-Gesellschafter Vetter.
"Musik ist auch eine Möglichkeit, publizistisch zu ergänzen", sagt hingegen
der Vorsitzende des Bundesverbands Bürgermedien, Georg May. Ursprünglich
sei es bei der Einführung von Bürgerfunk allerdings vor allem darum
gegangen, den Meinungsmonopolen der großen Verlagshäuser etwas
entgegenzusetzen.
Dass Bürgerradios sich zunehmend auch an den Einschaltquoten orientieren,
kann May nachvollziehen. "Es wäre blauäugig zu sagen, Quote spiele keine
Rolle.
"Zwar steht es nicht in den Gesetzen, aber die Medienanstalten wünschen
sich "Hörerakzeptanz". Wie in Hannover wurden auch anderswo Sender
geschlossen, weil die Einschaltquoten zu gering waren.
Bereits 2003 fiel dieser Logik der Offene Kanal Hamburg zum Opfer. Auch in
Nordrhein-Westfalen sind viele Bürgerfunk-Gruppen, die dort Sendefenster im
kommerziellen Rundfunk haben, faktisch abgewickelt. Derzeit bangen in
Sachsen mehrere freie Radios um ihre Zukunft.
Den Sendern werden die Fördermittel gestrichen, oder ihnen wird gleich die
Lizenz entzogen. Mit der Konsequenz, dass immer mehr von ihnen glauben,
sich anpassen zu müssen.
Die Diskussionen in Hannover laufen weiter, am Donnerstag ist das nächste
Gespräch zwischen Senderspitze und KritikerInnen anberaumt - auf Wunsch des
Senders hinter verschlossenen Türen.
"Es ist aus unserer Sicht alles gesagt worden", meint Gesellschafter Janke.
Für ihn ist die Umstellung erst einmal ein Experiment. Janke: "Das kann
sich auch wieder ändern."
9 Mar 2011
## AUTOREN
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
## TAGS
Radio
Bürgerrundfunk
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zu unbekannt, um es in die Mainstream-Medien zu schaffen.
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