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# taz.de -- Polizei und Schule kriminalisieren Kind: Rassismus an der Grundschu…
> Eine Schulleiterin in Wilhelmshaven rief ohne Benachrichtigung der Eltern
> die Polizei, weil ein schwarzes Mädchen eine Freundin fotografiert hatte.
Bild: Veranlasste die Polizei zu einer Durchsuchung: Kidizoom-Kamera, hier in H…
Bremen taz | Die Geschichte, die Jessica Obame erzählt, klingt unglaublich.
Aber sie ist wahr, das niedersächsische Kultusministerium hat sie
bestätigt, ebenso die Polizei Wilhelmshaven, die neben der Grundschule der
neunjährigen Tochter von Jessica Obame eine sowohl tragende als auch
unrühmliche Rolle darin spielt. Der Name des Kindes sowie der der Schule
werden auf Wunsch der Mutter nicht genannt, damit das Mädchen noch eine
ungestörte Schulzeit hat. Im Sommer wechselt sie in die fünfte Klasse.
Obame möchte, dass ihr eigener Name und ihr Gesicht zu sehen sind. Damit
Menschen, die keine [1][rassistische Diskriminierung] erleben, begreifen,
was das bedeutet. Denn Jessica Obame, ihre fünf Kinder zwischen neun
Monaten und elf Jahren sowie deren Vater sind schwarz. Es fällt schwer,
sich vorzustellen, dass einer Julia Meier und ihrer Tochter Greta Ähnliches
geschehen wäre wie Obame und ihrer Tochter. Sie soll hier Ada heißen.
Am Freitag, den 10. November, so erzählt es die 33-jährige
Maschinenbauingenieurin im Zoom-Gespräch, habe sie zu Hause auf Ada
gewartet. Die hatte um 12.45 Uhr Schulschluss, die Schule ist nur fünf
Minuten entfernt. Doch erst um halb zwei stand das Mädchen weinend vor der
Tür. „Sie hatte geschwollene, rote Augen und war fix und fertig“, erzählt
die Mutter. Dann berichtete ihr das Kind, wie sie nach Schulschluss von
ihrer Klassenlehrerin in einen Raum geführt wurde, in dem zwei
Polizist:innen – eine Frau und ein Mann -, die Schulleiterin sowie eine
Mutter und ein Vater von zwei Mitschülerinnen auf sie warteten.
Es ging um ihren Fotoapparat, eine rosafarbene „Kidizoom“; eine Kamera für
Kinder, ohne Internet-Verbindung oder die Möglichkeit, Fotos
herunterzuladen, wie es mit jedem Smartphone möglich ist. Ohne das Wissen
der Mutter hatte Ada die Kamera regelmäßig freitags mit in die Schule
genommen, um dort in der Sport-Umkleide sich und ihre Freundin zu
fotografieren. Die zwei Mitschülerinnen, deren Eltern mit im Raum waren,
hätten geglaubt, Ada hätte auch sie fotografiert, erzählt Jessica Obame.
Zum Beweis, dass dies nicht stimmte, zeigte Ada ihnen die Bilder. „Sie
weiß, dass sie andere nicht ohne deren Einverständnis fotografieren darf.“
## Eingriff in Rechte des Kindes
Dennoch informierten die beiden Mädchen ihre Eltern, die sich zuvor bei der
Schulleiterin darüber beschwert hatten, dass Ada manchmal die Kamera dabei
hatte. Weder die Sportlehrerin noch die Klassenlehrerin hätten davon
gewusst, sagt Jessica Obame. Und was tat die Schulleiterin? Anstatt mit dem
Kind oder noch besser der Mutter zu sprechen, rief sie die Polizei –
vermutlich auf Druck der anderen Eltern, so ist es gegenüber Jessica Obame
dargestellt worden.
Die Polizei hielt das Anliegen für so dringlich, dass sie mittags in die
Schule kam und sich die Kamera zeigen ließ. „Zu diesem Zeitpunkt stand im
Raume, dass sich möglicherweise kompromittierende Bilder auf der
Schülerkamera befinden könnten, welche das 9-jährige Kind gefertigt haben
soll“, schreibt eine Sprecherin der Polizei Wilhelmshaven der taz. Es gab
also den Verdacht, dass die Kinder sich oder andere nackt fotografiert
hatten.
Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Polizei korrekt [2][im Sinne der
Gefahrenabwehr] gehandelt, sagt der Berliner Polizeirechts-Professor Guido
Kirchhoff. „Sie ist gekommen, um einen Sachverhalt aufzuklären.“ Doch
spätestens in dem Moment, in dem die Polizist:innen sich von dem Kind
die Kamera samt Aufnahmen zeigen ließen, werde es problematisch. Denn das
sei eine Durchsuchung. Da die Kamera ersichtlich nicht mit dem Internet
verbunden war und damit kein sofortiger Handlungsbedarf bestand, sei es
zumindest „sehr ungewöhnlich“, hier nicht die Eltern des Kindes
einzubeziehen und ein starker Eingriff in dessen Rechte.
Anders hätte der Fall gelegen, wenn die Kamera technisch so ausgestattet
wäre, dass die Aufnahmen hätten weiter verbreitet werden können, sagt
Kirchhoff. „Unter solchen Umständen hätte man mit Dringlichkeit
argumentieren können.“ Als die Polizist:innen dann auch noch sahen,
dass die Fotos harmlos waren, hätte deren Einsatz enden müssen, sagt der
Jurist von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. „Wenn es keine
Gefahrenlage gibt, darf die Polizei niemanden weiter festhalten.“
## Fragen nach häuslicher Situation
Doch die Polizist:innen blieben und belehrten die Neunjährige. „Das
Kind wurde als Besitzerin der Kamera nunmehr von den Beamt:innen in
einem folgenden Gespräch rein präventiv dahingehend sensibilisiert, dass
eine Mediennutzung jeglicher Art Gefahren birgt, die mitunter nicht sofort
offensichtlich sind“, schreibt die Sprecherin der Polizei Wilhelmshaven.
„Das ist ein Eingriff ins Erziehungsrecht der Eltern“, sagt Guido Kirchhoff
dazu. Es habe überhaupt keinen Anlass für eine Standpauke gegeben, da das
Mädchen sich in keiner Weise „falsch“ im Sinne des Gesetzes verhalten
hatte.
Strittig ist, ob die Polizist:innen rechtswidrig weitere Daten erhoben
haben. Ihre Tochter habe ihr erzählt, die Beamt:innen hätten auch nach
der häuslichen Situation gefragt, sagt Jessica Obame. „Sind Mama und Papa
noch zusammen?“ Außerdem seien die Eltern der anderen beiden Mädchen bei
dem Gespräch dabei gewesen – was gegen Datenschutzverordnungen verstößt.
Die Polizei, gegen die Obame Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt hat,
widerspricht dieser Darstellung. Jessica Obame möchte Ada nicht erneut
danach fragen, ob sie diese falsch verstanden hat. „Sie schläft immer noch
schlecht, ich möchte sie nicht weiter damit belasten.“ Die Schulleiterin,
die die ganze Zeit bei dem Gespräch dabei war und zur Aufklärung dieses
Punktes beitragen könnte, spricht nicht mit der taz. Damit bleibt auch
unklar, warum sie überhaupt die Polizei gerufen hat.
Für sie antwortet ein Pressesprecher des niedersächsischen
Kultusministeriums. Nach seinen Informationen hätten die anderen beiden
Eltern dem Gespräch beigewohnt. Das Vorgehen der Schulleiterin erscheine
„nicht nachvollziehbar“, heißt es in seiner Mail. „Hier scheint ein
sensibleres und bedachtsameres Vorgehen angezeigt – besonders durch eine
frühzeitige intensive Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus.“
[3][Mit Rassismus habe der Vorfall allerdings nichts zu tun], schreibt der
Sprecher, darin sei man sich mit der Schule und dem zuständigen
Schuldezernat vor Ort einig.
Es ist dieser Punkt, der Jessica Obame besonders wütend macht. „Mein Kind
wurde kriminalisiert“, sagt sie, „weil es schwarz ist“. [4][Das sei ein
wiederkehrendes Muster von Rassismus], sie selbst habe es oft genug erlebt,
seitdem sie mit 17 Jahren aus Gabun nach Deutschland kam.
## „Das hast du falsch verstanden“
Und jedes Mal würden ihr Menschen, die nicht aufgrund ihrer Hautfarbe
[5][beschimpft, bedroht, angegriffen], ausgegrenzt oder kriminalisiert
werden, sagen, das sei kein Rassismus. „Alle wissen, was das ist, aber ich
bin diejenige, die es täglich erlebt.“ Doch ihre tiefen Verletzungen würden
ihr abgesprochen. „Das hast du falsch verstanden“, höre sie stets.
Wieder und wieder fragt sie im Zoom-Gespräch, wie es sein kann, dass
niemand aus der Schule sie angerufen hat. Sie habe zu Hause gesessen und
sich Sorgen gemacht, als Ada nicht nach Hause kam. Erst am Montag erreichte
sie jemanden in der Schule. Völlig unverständlich sei auch, dass ihre
verstörte Tochter alleine nach Hause geschickt wurde. „Sie ist doch erst
neun!“
Warum sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit geht und sich nicht
mit der Entschuldigung der Schulleiterin zufrieden gibt, erklärt sie mit
der Hoffnung, es werde sich so etwas ändern: „Meine fünf Kinder sind fünf
Erwachsene von morgen. Wir müssen in dieser Welt miteinander klar kommen.“
29 Nov 2023
## LINKS
[1] https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2023-being-black_…
[2] https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/6397c30a-a372-35db-8e…
[3] /Beunruhigende-EU-Studie/!5965442
[4] /Racial-Profiling-in-Hamburg/!5971367
[5] /Angriff-auf-Fastfood-Lieferanten/!5883867
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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