Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schattenprofile im Netz: Wenn das Adressbuch kopiert wird
> Wir geben in sozialen Netzwerken Daten anderer Menschen frei, die nichts
> davon wissen. Die Reaktionen von Big-Tech darauf sind nicht überzeugend.
Bild: Jeder Menschen hat die Hoheit über seine Daten
Facebook kennt meine E-Mail-Adresse, meine Handynummer und sogar meine
Festnetznummer, die fast niemand hat. Dabei hatte ich noch nie einen
Facebook-Account. Das Removal-Tool, die Entfern-Funktion des Konzerns,
bezeugt, dass ein Nutzer meine Kontaktdaten über sein Adressbuch
hochgeladen hat. Sämtliche Schulklassen und Sportvereine verbiegen sich, um
datenschutzkonforme Kontaktlisten zu erstellen. Seit der
Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt: jedem Menschen die Hoheit über
seine Daten. Aber den Internetgiganten geben wir mit einem Klick ganze
Adressbücher frei, ohne Einwilligungen unserer Freund:innen,
Kolleg:innen und Verwandten einzuholen.
Zugegeben, ich habe das in anderen sozialen Netzwerken und Messengern auch
schon gemacht, unbedacht. Doch auch wer den Online-Austausch grundsätzlich
meidet, sollte sich nicht in Sicherheit wähnen. Die Plattformen fragen ihre
Nutzer:innen, ob sie ihr Adressbuch freigeben wollen. Wenn sie zustimmen,
werden ihnen direkt bekannte Gesichter als Freund:innen vorgeschlagen.
Das ist so bequem, dass es täglich millionenfach passiert. Wenn es diese
Funktion nicht gäbe, lägen die sozialen Netzwerke im Koma. Dabei geben wir
aber Kontakte frei, die das selbst niemals machen würden. Zum Beispiel ist
meine über 90-jährige Oma in meinem Adressbuch gespeichert. Was heißt das
für sie?
„Big-Tech-Unternehmen können damit Schattenprofile über Nichtnutzer:innen
erstellen“, sagen Liane Wörner und David Garcia, die am Centre for Human
Data Society (CHDS) an der Universität Konstanz forschen. Schattenprofile
sind personenbezogene Daten, die auf den Servern liegen, ohne dass wir sie
auf der Plattformoberfläche sehen und aufrufen können. „Sie speisen sich
ausschließlich aus Daten, die andere Personen geteilt haben“, sagt der
Informatiker Garcia. „Je mehr Nutzer:innen das machen, desto exakter
können Merkmale einer nicht registrierten Person vorhergesagt werden.“.
[1][Die Simulationen] des Professors für Social and Behavorial Data Science
zeigen zum Beispiel, dass sich die sexuelle Orientierung und der
Familienstand von Nichtnutzer:innen sehr leicht aus den von
Nutzer:innen geteilten Daten zusammenpuzzeln lassen.
## Wie entstehen Schattenprofile?
Die Forschung spricht von partiellen Schattenprofilen, wenn Nutzer:innen
davon betroffen sind. [2][Die Tech-Riesen] können über die geteilten
Kontaktlisten anderer die Lücken im Profil ergänzen, die ein:e Nutzer:in
gelassen hat, beispielsweise Klarname, Telefonnummer oder Arbeitgeber.
Die Bezeichnung Schattenprofil entstand im Zusammenhang mit einer Anzeige
gegen Facebook im Jahr 2011. Der österreichische Datenschützer Max Schrems
machte damals darauf aufmerksam. „Es ein Facebook-Problem zu nennen, wäre
unfair“, erklärt jedoch David Garcia. „Jedes soziale Netzwerk, das
Kontaktinformationen sammelt, kann potenziell Schattenprofile erzeugen.“
Wir reden neben Instagram und Whatsapp, die zum selben Konzern wie Facebook
gehören, auch über Twitter (jetzt X), Telegram, Signal, LinkedIn und viele
mehr. Bluesky, der neue Twitter-Konkurrent, besitzt die Funktion, das
Adressbuch zu teilen, bisher nicht. „Ich weiß nicht, ob sie bewusst
vermieden wurde oder nur noch nicht an sie gedacht wurde“, sagt Garcia.
Die Adressbücher sind nicht das einzige Instrument, aus dem sich
Schattenprofile speisen. Am Beispiel meiner Oma: Ich möchte ihre
Privatsphäre nicht verletzen. Deshalb schreibe ich nichts über sie, und
teile keine Fotos und Videos im Netz. Kann ich also beruhigt sein, wenn ich
ihre Nummer aus meinem digitalen Adressbuch lösche?
„Es geht nicht nur um das, was du machst“, erläutert David Garcia. Merkmale
wie Wohnort, politische Orientierung und Religion werden vorhersagbar,
indem Informationen aus dem gesamten Kontaktnetzwerk meiner Oma kombiniert
und abgeglichen werden. Das liegt daran, dass wir diese Merkmale mit vielen
unserer Kontakte teilen. Dass die Vorhersage des Wohnorts sehr leicht
gelingt, hat Garcia in einer [3][Studie mit Twitterdaten gezeigt]. Mit
seinem Modell konnte er eingrenzen, wo Nichtnutzer:innen wohnen und die
Exaktheit prüfen, weil sie später Nutzer:innen wurden.
Nachweisen kann David Garcia den Big-Tech-Unternehmen das Shadow Profiling
damit jedoch nicht. Er hat keinen Zugang zu ihren Daten. Dass sie die
Möglichkeit haben, ist jedoch gewiss. Er selbst kann mit deutlich
kleineren, zugänglichen Archiv-Datensätzen sehr exakte Schattenprofile
erstellen. Das Risiko ist also real.
## Ruf nach Verbot
Welche rechtlichen Lösungen gibt es für diese Bedrohung? „Ich bin gegen
Kriminalisierung“, sagt die Strafrechtlerin Liane Wörner. „Wir leben in
einer Welt mit geteilten Daten.“ Der Ruf nach einem Verbot und nach
Sanktionen sei nur ein Zeichen dafür, dass das Recht zu spät dran ist,
argumentiert die Wissenschaftlerin, die ebenfalls zu Schattenprofilen
forscht und das CHDS leitet. Jahrelang sei die Entwicklung an
kommunikativen Bedürfnissen orientiert gewesen, ohne nach den Risiken zu
fragen. Sie fühle sich zwar schuldig, Tonnen von Daten an die Konzerne zu
liefern, aber schätze die Errungenschaften, zum Beispiel zu wissen, welche
Freunde sie mit David Garcia teilt.
Die bestehenden deutschen Gesetze lassen sich Wörner zufolge nicht auf
Schattenprofile anwenden. Es handele sich weder um eine Datenveränderung,
die strafbar wäre, noch um ein Ausspähen von Daten. „Nach DSGVO sind
Bußgelder gegen die Netzwerkverantwortlichen möglich“, erläutert sie,
„dafür muss man es ihnen aber erst nachweisen.“ Nach dem
Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) steht die Verbreitung von Daten unter
Strafe. Die sei aber nur gegeben, wenn sie das Schattenprofil öffentlich
machen.
David Garcia sieht die Politik in der Verantwortung, eine unabhängige
Stelle mit Macht und Autorität auszustatten, um den Big-Tech-Unternehmen
auf die Finger zu schauen. Zu wissen, ob sie Schattenprofile erstellen,
könne die Gesetzgebung präzisieren. Eine neue EU-Verordnung, der Digital
Service Act (DSA), macht dies grundsätzlich möglich. Sie gilt allerdings
erst ab dem 17. Februar 2024. Entscheidend wird dann sein, ob und wie sie
umgesetzt wird. Die Bundesnetzagentur wird für ein entsprechendes deutsches
Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) wahrscheinlich die zuständige Stelle sein.
Haben Nichtnutzer:innen aktuell eine Chance, ihre Privatsphäre zu
verteidigen? Das Removal-Tool von Facebook, das als Reaktion auf die
Vorwürfe eingeführt wurde, gibt Anlass zur Skepsis. Der Konzern verspricht
mir, der Anwenderin des Tools, meine Kontaktdaten zu sperren, sodass sie
niemand mehr hochladen kann. Dafür musste ich die Daten eintragen, sie
bestätigen und in ihre dauerhafte Speicherung zum Zweck der Sperrung
einwilligen. Damit ist sicher: Wenn der Konzern meine Daten doch noch nicht
hatte, hat er sie spätestens jetzt.
20 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.1701172
[2] /Kuenstliche-Intelligenz-und-Datenschutz/!5956511
[3] https://epjdatascience.springeropen.com/articles/10.1140/epjds/s13688-018-0…
## AUTOREN
Ilka Sommer
## TAGS
Internet
Datenleck
Datenschützer
Social Media
Privatsphäre
Datenschutz
Amazon
Datenschutz
Datenschutz
Datenschutz
Online-Plattform
## ARTIKEL ZUM THEMA
Macht der Konzerne: Macht kaputt, was euch kaputt macht
Immer mehr Länder bringen eine Zerschlagung von Tech-Konzernen ins Spiel.
Damit entsteht eine Chance, die genutzt werden sollte.
Instagram und Facebook werbefrei nutzen: Win-win-Situation für Meta
Beim Facebook-Konzern zahlt man nun zweistellig, um keine Werbung zu sehen,
Daten werden trotzdem gesammelt. Damit will Meta EU-Regeln umgehen.
Irland plant Gesetzesänderung: Maulkorb bei Datenschutz-Verstößen
Die irische Datenschutz-Aufsichtsbehörde soll Verfahren als „vertraulich“
einstufen dürfen. Das würde auch Fälle gegen Big-Tech-Konzerne betreffen.
Datenschutzbedenken bei Schüler-Tablets: Eine Lektion in Sachen Datenschutz
Berlins Datenschutzbeauftragte hat Bedenken bei der geplanten Anschaffung
Tausender Schüler-Tablets. 15 Millionen Euro für 2023 eingeplant.
Privatsphäre im Internet: EU will mehr Datenschutz
Das EU-Parlament stimmt über das wichtige Digitale-Dienste-Gesetz ab. Dem
Piraten-Abgeordneten Patrick Breyer geht der Entwurf nicht weit genug.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.