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# taz.de -- Sexualtherapeut über Täter-Outing: „Täter sind immer die ander…
> Täter-Outing gilt in linken Kreisen als probates Mittel im Kampf gegen
> das Patriarchat. Der Hamburger Sexualtherapeut Bernd Priebe rät davon ab.
Bild: Wer den Täter-Begriff nutzt, blendet strukturelle Ursachen aus, meint Be…
taz: Herr Priebe, wie kam es dazu, dass Sie eine Gruppe für Selbstmelder
von sexueller Gewalt gegründet haben?
Bernd Priebe: Bei uns sind in den letzten Jahren immer mehr junge Männer
aufgetaucht, die vorwiegend in Beziehungen übergriffig geworden sind, und
denen wir damals auf der therapeutischen Ebene nichts anbieten konnten. Wir
hatten nur Angebote für [1][Personen, die eine Therapie machen mussten],
etwa als Auflage nach einem Gerichtsverfahren.
Was war der Anlass dafür, dass die sich an Sie gewandt haben?
Die kamen fast alle aus sozialen Bewegungen, linken Zusammenhängen und
waren dort als „Täter“ geoutet worden.
In der linken Szene gilt das Täter-Outing, teils in sozialen Medien oder im
Internet, als legitimes Mittel im Kampf gegen Sexismus. Was halten Sie
davon?
Ich verstehe den dahinter stehenden Wunsch, Betroffene zu schützen und
weitere Opfer zu verhindern. Das ist auch der Ansatz unserer Arbeit. Und
natürlich muss jemand, der sexuell übergriffig geworden ist, dafür in
Verantwortung genommen werden.
Aber nicht in Form eines öffentlichen Outings?
Ich finde das sehr schwierig, weil den Leuten – meistens ja männlich
gelesenen Personen – damit die Chance genommen wird, sich mit ihrem
Verhalten auseinanderzusetzen.
Inwiefern?
Wenn jemand öffentlich als „Täter“ dargestellt wird, womöglich noch mit
Namen und Foto im Internet, verliert er nicht selten seine Existenz und ist
nur noch damit beschäftigt, irgendwie klarzukommen. Das gilt erst recht,
wenn sich jemand in linken Strukturen bewegt. Außerhalb der eigenen Szene
gibt es da oft nicht viele tragfähige Beziehungen. Wenn man da plötzlich
draußen ist, macht das etwas mit den Leuten, das geht bis zu
Suizid-Gedanken.
Wird man es je wieder los, wenn man einmal als „Täter“ geoutet wurde?
Nein, nicht nach den Erfahrungen, die die Personen in unseren Gruppen
gemacht haben. [2][Das bleibt haften.] Nur sehr wenige konnten wieder in
ihr altes Leben, die politische Arbeit und den Freundeskreis zurück.
Obwohl sie bei Ihnen waren und an sich gearbeitet haben?
Viele haben gesagt, das würde niemand wahrnehmen. Oder es sei nie genug,
was sie tun. Oder: Sie haben sich noch einmal falsch ausgedrückt und sich
damit diskreditiert.
[3][Oft bleibt diffus, worin die Tat überhaupt besteht.] Es heißt, jemand
sei „übergriffig“, „toxisch“ oder einfach nur „ein Täter“. Damit …
gemeint sein, von einer unangenehmen Anmache bis zu einer Vergewaltigung.
Ich kenne das aus der Perspektive von Männern, die von so einem Outing
betroffen sind. Für die ist es auf jeden Fall ein Problem, dass es
überhaupt keine Differenzierung gibt. Bei denjenigen, die freiwillig zu uns
kommen – und nicht als Auflage einer Gerichtsentscheidung –, geht es
meistens um Grenzverletzungen in einer Beziehung. Die können zwar von einem
Gericht teilweise durchaus als sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung
beurteilt werden, aber die Tragweite ihres Verhaltens ist den Personen erst
im Nachhinein bewusst geworden – durch die heftigen Reaktionen ihres
Gegenübers oder des Umfelds.
Und mit dem Outing werden sie mit Männern in eine Ecke gestellt, die einer
Frau im Park auflauern und sie vergewaltigen.
Ja. Ihr Verhalten bleibt zwar problematisch und lässt sich nicht
wegdiskutieren, aber damit sind sie maximal stigmatisiert. Das kann sie so
blockieren, dass sie selbst gar nicht hinschauen können, was bei ihnen los
ist. Obwohl sie das ja eigentlich wollen.
Richtig stellen können sie das auch nicht, oder?
Nein, wehren kann man sich nicht gegen solche Vorwürfe. Das wird schnell
als Leugnen und als Flucht vor Verantwortung ausgelegt.
Und es ist der Fantasie von Dritten überlassen, was die Tat gewesen ist.
Genau – und da wird es schwierig. Solche Informationen bekommen ja nicht
nur Leute, die gut und verantwortungsvoll damit umgehen, das lässt sich
irgendwann nicht mehr kontrollieren. Wir hatten hier Personen in der
Beratung oder in den Selbsthilfegruppen, die wurden von Veranstaltungen
oder aus Demos herausgeworfen, von Leuten, die sie kaum oder gar nicht
kannten.
Wenn Sie von Übergriffen im Beziehungskontext sprechen: Wo fängt das an?
Wenn jemand nicht im Sinne des Konsens-Prinzips vor jeder sexuellen
Handlung um Erlaubnis bittet?
Nein, da geht es wirklich um Grenzüberschreitungen, von denen die Leute
selbst einsehen, dass das ein Fehlverhalten war. Also jemanden zum Oralsex
zu bringen, der oder die das nicht möchte. Wobei es hin und wieder
vorkommt, dass auch wir uns nicht sicher sind, ob es um Übergriffigkeit in
dem Sinne geht, dass jemand bewusst Grenzen überschreitet.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Wenn nach einer Demo viele Leute in einer Wohnung übernachten, mehrere eng
an eng in einem 1,40-Meter-Bett liegen und hinterher jemand sagt, da hat
mich wer berührt. Oder jemand hat eine sexuell traumatisierte Person nach
Konsens gefragt und die war aber schon im Trauma-Tunnel und er hat das
nicht gemerkt. Aber selbst in solchen Fällen sagen die Personen –
überwiegend Männer und ein paar Transpersonen – es sei sinnvoll, sich mit
ihrer Sexualität auseinandersetzen.
Das gilt ja aber für alle Menschen, oder?
Ja.
Lassen Sie uns bitte einmal über den Täter-Begriff sprechen. [4][Der wird
oft mit einer solchen Lust und gerechten Empörung benutzt], dass es mir
scheint, als habe er eine Entlastungsfunktion für diejenigen, die ihn im
Munde führen.
Ja, Täter sind immer die anderen. Das führt dazu, dass Strukturen, die
vielleicht problematisch sind bei mir selbst, in meiner Gruppe oder der
ganzen Gesellschaft, nicht in den Fokus kommen. Es gibt einen Sündenbock,
der kann abgestraft werden. Diese Individualisierung birgt die Gefahr, dass
die strukturellen Ursachen sexueller Gewalt nicht aufgearbeitet werden. Wir
verwenden den Begriff auch aus anderen Gründen nicht.
Welchen?
Weil er genau so wie „Opfer“ stigmatisiert und lähmt. Es ist wichtig,
zwischen der Tat und der Person zu unterscheiden, wenn ich eine
Verhaltensänderung bewirken möchte. Wenn ich Menschen in Gänze zum Täter
mache, gibt es keine Spielräume, sich damit auseinanderzusetzen.
Dabei wird genau das von ihnen erwartet. Es gibt einen [5][Leitfaden der
postautonomen, bundesweit aktiven Gruppe „Interventionistische Linke]“ zum
Umgang mit sexueller Gewalt in den eigenen Reihen. Danach sind Dritte sogar
verpflichtet, aus politischen Gründen im Kampf gegen das Patriarchat, den
„Täter“ zur Auseinandersetzung mit seinem Fehlverhalten aufzufordern. Der
Leitfaden hat einen erzieherischen Duktus.
Das stimmt. Trotzdem ist es eins der besseren Konzepte, weil es beide
Seiten im Blick hat. Die Idee dahinter ist Restorative oder Transformative
Justice. Danach soll ein Verbrechen anders aufgearbeitet werden als in der
bürgerlichen Gesellschaft, in der es immer diesen Bestrafungsgedanken gibt.
Hier soll ein Weg gefunden werden, dass am Ende von einem Prozess alle
sagen können: „Es geht mir besser.“ In der Regel sind die übergriffigen
Menschen ja nicht übergriffig, weil sie so schlechte Menschen sind, sondern
weil etwas schief gelaufen ist in ihrem Leben.
Aber?
Das Problem ist, dass die beschuldigte Person in der Regel mit dem Auftrag
der Auseinandersetzung alleine gelassen wird. Es gibt keine verbindlichen
Strukturen oder geschützten Räume, in denen auch über eigene Defizite
gesprochen werden kann. Das geht nicht mal eben, irgendwie ehrenamtlich
nebenbei, sondern braucht Zeit.
Dann können sie ja zu Ihnen gehen.
Aber auch nur, wenn sie in Hamburg leben und unter 26 sind.
Wenn die linke Szene überfordert ist mit der Aufarbeitung sexueller Gewalt,
ist es dann besser, sie staatlichen Institutionen zu überlassen? Da geht ja
auch immer noch einiges schief und es kommt nur in einem Bruchteil der
angezeigten Fälle zur Verurteilung.
Ich würde es so sagen: Es gibt auf allen Ebenen großen Handlungsbedarf und
die linke Szene ist davon nicht ausgenommen.
24 Nov 2023
## LINKS
[1] /Psychologe-ueber-digitale-Gewalt/!5880296
[2] /Neues-Album-von-Feine-Sahne-Fischfilet/!5931562
[3] https://nmts.noblogs.org/
[4] https://ilrostock.wordpress.com/2023/08/20/statement-der-il-zum-outing-eine…
[5] https://interventionistische-linke.org/sites/default/files/attachements/il-…
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Sexualisierte Gewalt
Sexuelle Gewalt
Täter
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Grüne
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