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# taz.de -- Sozialarbeiter demonstrieren in Berlin: An der Grenze der Belastbar…
> Mit einer großen Demo wollen Sozialarbeiter:innen am Samstag auf
> ihre Lage aufmerksam machen und sich für die Tarifverhandlungen warm
> laufen.
Bild: Fußball für den Kontakt: Jugendarbeit des Trägers Outreach
Berlin taz | Keine langfristige und gerechte Finanzierung, abgelehnte
Anträge, es fehlt an Personal: Sozialarbeiter:innen machen seit
Jahren auf ihre eigene Unterfinanzierung und Überlastung aufmerksam. Nun
stehen Tarifverhandlungen für die öffentlichen Dienste der Länder (TV-L)
an. Deshalb ruft ein Solidaritätsbündnis am Samstag zur Demonstration unter
dem Motto „Soziale Arbeit am Limit“ auf. Der TV-L gilt auch als Richtschnur
für die Arbeitsbedingungen von Mitarbeiter:innen freier Träger in der
sozialen Arbeit.
Marc Seilheimer von der Initiative „Hände weg vom Wedding“ ist
Sozialarbeiter in der [1][Suchthilfe]. Er organisiert sich seit Beginn im
Bündnis. „Wir sind ein sehr breites Bündnis, dass von linken,
kommunistischen Gruppen bis hin zu Gewerkschaften, Berufsverbänden und
darüber hinaus reicht. Gemeinsam setzen wir uns für faire
Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung in der sozialen Arbeit ein“,
sagt er.
Zum ersten Mal haben sich so viele Akteur:innen und Organisationen zu
einem großen Bündnis zusammengeschlossen. Um die Vernetzung zwischen
Sozialarbeitenden zu stärken, gab es schon einzelne Aktionen und
Veranstaltungen in diesem Jahr. Das erste große Treffen fand im August 2023
statt.
„Wir richten uns einerseits nach außen, indem wir uns für die Anhebung der
Löhne, die Zurücknahme der angekündigten Kürzungen und gute
Arbeitsbedingungen einsetzen“, sagt Seilheimer. „Wir richten uns aber auch
nach innen an die Kolleg:innen. Denn der Organisierungsgrad in der sozialen
Arbeit ist eine Katastrophe. Wenn wir was ändern wollen, müssen wir uns
vernetzen und zusammentun.“
Der fehlende Organisierungsgrad in der sozialen Arbeit: Wie eng ist er mit
den Arbeitsbedingungen verknüpft? In den Jugendämtern in Berlin übernimmt
ein:e Mitarbeiter:in im Schnitt 45 Fälle. Oft sind es sogar mehr:
Häufig bearbeiten Mitarbeiter:innen um die 70 bis 100 Fälle. Die
Beurteilung der Situation in den Familien und eine angemessene
Unterstützung sind bei dieser Menge unmöglich. Denn im Schnitt bleiben
hier rechnerisch 5 Minuten pro Familie in der Woche.
## Die Situation an den Hochschulen
Barbara Schäuble von der Initiative Hochschullehrenden Care ist auch Teil
des Solidaritätsbündnisses. Die Personalnot in den Jugendämtern macht vor
der Hochschule nicht halt, erzählt sie. Teilweise fänden Studierende, die
mit einem Werkvertrag 20 Stunden im Jugendamt arbeiteten, nicht mehr die
Zeit, in die Vorlesungen zu gehen. „Die Belastung ist einfach zu hoch.“
Die Situation der Jugendämter wirkt sich in Folge auf die
Ausbildungsqualität der Studierenden aus. „In Praktika haben sie kaum die
Möglichkeit, belastende Situationen unter Anleitung zu reflektieren. Auf
diese Art werden Menschen langfristig schlechter ausgebildet in diese
schwierigen Situationen entlassen.“
Auch die [2][freie Jugendhilfe] ist von der Überlastung der Jugendämter
betroffen. Die Erfahrung zeigt: Oft warten Träger der freien Jugendhilfe
lange auf die notwendigen Zusagen für Unterstützungsmaßnahmen, und Hilfen
werden nicht rechtzeitig genehmigt. Junge Menschen etwa, die aus
Krisengebieten fliehen mussten, bleiben unterversorgt, wenn die Klärung des
Hilfebedarfs zu lange dauert. Und wenn die Hilfen zur Erziehung nicht
genehmigt werden, kann die Mutter im Niedriglohnsektor ihren Kindern die
Schulbücher nicht kaufen.
Zugleich sind die Mitarbeiter:innen der freien Träger selbst von
Fördergeldern abhängig. Sozialarbeiter:innen sind ständig damit
beschäftigt, Projekte zu beantragen und Fördermittel zu akquirieren, um die
eigene Stelle und damit auch die eigene berufliche Zukunft zu sichern. Wenn
sie sich selbst von Projekt zu Projekt hangeln müssen, nimmt die Planung
und Administration viel Raum ein, für die eigentliche soziale Arbeit bleibt
ihnen kaum Zeit.
## „Begrenzung von Unterstützungsleistungen“
Um Ursachen für schlechte Arbeitsverhältnisse zu benennen und gerechte
Lohnverhältnisse zu schaffen, haben sich Sozialarbeiter:innen im
schon vor einiger Zeit im „Solidaritätstreff Soziale Arbeit“
zusammengeschlossen. Marc Seilheimer ist auch hier organisiert. „Als
Solidaritätstreff Soziale Arbeit kritisieren wir immer wieder, dass freie
Träger für die gleiche Arbeit nicht das gleiche Geld bekommen wie im
öffentlichen Dienst. Die Löhne bei freien Trägern sind häufig zwischen
20-30 Prozent niedriger“, sagt Marc Seilheimer.
Während das Limit der Sozialarbeitenden immer weiter verschoben wird,
nehmen hitzige Debatten über die „Begrenzung von Unterstützungsleistungen“
zu. Das Bündnis macht auf der Website deutlich: Die Tendenz, Menschen in
ernsthaft geführten Diskussionen als „überfordernd für das System“ oder
„unrentabel/riskant“ einordnen, ist entwürdigend. Auch dagegen richtet sich
der Protest.
20 Oct 2023
## LINKS
[1] /Debatte-um-den-Leopoldplatz/!5953465
[2] /Kinder--und-Jugendhilfe-in-Berlin/!5962411
## AUTOREN
Anna Kücking
## TAGS
Demonstration
Sozialarbeit
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Drogensucht
Familie
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