# taz.de -- Memoiren von Britney Spears: Die Frechheit, weiterzuleben | |
> Die Memoiren der US-Sängerin Britney Spears erscheinen demnächst. Vom | |
> Versuch einer Frau, endlich frei zu sein. | |
Bild: Britney Spears im Musikvideo zu ihrem Hit „Work Bitch“ von 2013 | |
Olympia Bukkakis, die weiseste aller Berliner Dragqueens, eröffnete diesen | |
Sommer eine Show mit einem Andenken [1][an die da gerade verstorbene Sinéad | |
O’Connor]. Britney Spears nahm in der Rede dann einen prominenten Platz | |
ein, denn unsere Kultur sei davon besessen, Frauen fallen zu sehen. Doch | |
dass sie wieder aufstehen, das gehört nicht ins Programm. Unsere Romane, | |
Filme und Gossipmagazine sind voll von zerstörter Unschuld, von strahlenden | |
Sternchen, die zusammenbrechen und tragisch mit einer Überdosis verglühen. | |
Das Bild der toten Frau ist zentraler Antriebspunkt unserer Kultur, auf | |
Gemälden ebenso zu finden wie als Handlungsauslöser in Krimis. | |
Doch Britney Spears [2][weigert sich beharrlich, diesem narrativen Bogen zu | |
gehorchen]. Und nun erzählt sie sogar ihre eigene Geschichte: Am Dienstag | |
veröffentlichte das amerikanische Boulevardblatt People Magazine Exzperte | |
von Spears’ Autobiografie „The Woman in me“, die Ende Oktober erscheinen | |
soll. Darin berichtet sie (oder ihre Ghostwriter) unter anderem davon, dass | |
sie eine Abtreibung habe vornehmen lassen, während sie 1998 bis 2002 in | |
einer Beziehung mit dem Sänger Justin Timberlake war. | |
„Es war eine Überraschung“, schreibt die heute 41-Jährige über die | |
Schwangerschaft, „aber für mich war es keine Tragödie. Ich liebte Justin. | |
Ich hatte immer erwartet, dass wir eine Familie gründen.“ Aber Timberlake | |
habe sie zu einer Abtreibung gedrängt: „Justin war definitiv nicht | |
glücklich über die Schwangerschaft. Er sagte, wir seien nicht bereit für | |
ein Baby in unserem Leben.“ Später hatte Spears zwei Söhne aus einer | |
anderen Beziehung. | |
Verschiedene Medien haben Timberlake um ein Statement gebeten, doch noch | |
schweigt er sich aus. Sowohl er als auch Spears sind Produkte der | |
amerikanischen Kulturindustrie. Schon als kleine Kinder traten sie im | |
Fernsehen auf, beim Disney Club. Dass die Heranzucht von Menschen zu | |
Entertainmentmaschinen eine gewisse Grausamkeit darstellt, wurde spätestens | |
dann offenbar, als Spears in den 2000ern einen spektakulären Zusammenbruch | |
erlitt. | |
## Vormundschaft als Gefängnis | |
Danach wurde ihr die Mündigkeit abgesprochen und [3][ihre Eltern übernahmen | |
13 Jahre lang die Kontrolle über jeden Aspekt ihres Lebens]. Erst im | |
November 2021 wurde die Vormundschaft aufgehoben, nachdem Spears jahrelang | |
gerichtlich dagegen gekämpft hatte. Fans hatten sie mit einer Kampagne | |
unterstützt: [4][#FreeBritney]. Aufmerksamkeit erregte vor allem die | |
Offenlegung, dass Spears verboten wurde, ihre Spirale zu entfernen, obwohl | |
sie weitere Kinder wollte. Sie sollte nicht schwanger werden, damit sie | |
weiterhin als Sängerin und Tänzerin auf die Bühne geschickt werden konnte. | |
In den Ausschnitten aus Spears’ Memoiren finden sich auch Stellen, die | |
zeigen, wie sehr die Vormundschaft einem Gefängnis glich. „Mein ganzes | |
Leben haben Menschen mich von oben nach unten angekuckt und mir gesagt, was | |
sie von meinem Körper halten.“ Der öffentliche Zusammenbruch sei ein | |
Versuch gewesen, daraus auszubrechen. Aber in der Vormundschaft sollte es | |
keine solchen Ausbrüche geben: „Ich musste meine Haare wachsen lassen und | |
zurück in Form kommen. Ich musste früh ins Bett und alle Medikamente | |
nehmen, die sie mit befohlen haben zu nehmen“, schreibt Spears. | |
Einer von Spears’ größten Hits heißt „Work Bitch“ (Arbeite, Schlampe) … | |
2013, der Zeit, in der sie unter Vormundschaft stand. Der Text lautet: | |
You want a Lamborghini? | |
Sip martinis? | |
You wanna live fancy? | |
Live in a big mansion? | |
Party in France? | |
You better work, bitch. | |
Damals gab es viel Feuilletongeraschel über den neoliberalen Geist, den | |
diese Zeilen atmen. Doch in Wahrheit ist die Tragödie dieses Liedes viel | |
banaler und grausamer: Das sind genau die Sätze, die Spears’ Eltern, die | |
ihr Leben kontrollierten und ihr Geld verwalteten, ihr gesagt haben | |
dürften: „Now get to work, bitch! (ah-ah)“ Es ist darum endlich an der | |
Zeit, dass Spears ihre eigene Geschichte erzählen und sich so etwas aus den | |
Zuschreibungen befreien kann, in denen wir alle sie gefangen halten. | |
## Sie lebt einfach weiter | |
Was an Britney Spears so verstört und fasziniert, ist, dass sie weiterlebt. | |
Nachdem sie sich symbolisch die Weiblichkeit genommen hat, indem sie sich | |
die langen blonden Haare abrasierte, nachdem sie vor den gierigen | |
Kameraaugen der Papparazzi einen Nervenzusammenbruch hatte, [5][lebt sie | |
nun einfach weiter]. Sie wird langsam älter und ein bisschen faltiger, sie | |
stellt alberne Videos von sich auf Social Media, sie verliebt sich und | |
trennt sich wieder, wie das Menschen eben so tun. | |
Das alles ist so nicht vorgesehen. Wir wollen nicht, dass eine Celebrity so | |
banal mit ihrem Leben zu kämpfen hat, sich wieder aufrappelt und dann | |
irgendwie weiter durchs Leben torkelt wie wir alle. Sterne müssen | |
verglühen, denken wir. Aber Britney Spears ist kein Stern, sie ist ein | |
Mensch. Und wie alle Menschen hat sie es verdient, weiterzutorkeln und | |
vielleicht irgendwann ein bisschen glücklich zu sein. | |
19 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Caspar Shaller | |
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