# taz.de -- Umstrittenes Gesetz für Nordirland: Amnestie für Mörder in Unifo… | |
> Ein Gesetz des britische Unterhauses garantiert Straffreiheit für während | |
> des Nordirland-Konfliktes begangene Verbrechen. Dies wird kritisiert. | |
Bild: Raymond McCord kämpft um Gerechtigkeit für seinen 1997 ermordeten Sohn | |
Dublin taz | Die irische Regierung soll gegen das neue britische | |
Nordirland-Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte | |
klagen. Das fordern sowohl die Verbände der Angehörigen von Opfern des | |
Nordirland-Konflikts, als auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty | |
International. Die Regierung in Dublin erklärte am Wochenende, sie habe | |
beim Generalstaatsanwalt Rossa Fanning ein Gutachten in Auftrag gegeben, um | |
herauszufinden, ob das Gesetz gegen internationale Menschenrechte verstoße. | |
Dieses Nordirland-Gesetz wurde am Mittwochabend im Londoner Unterhaus | |
verabschiedet, nachdem die vom Oberhaus geforderten Änderungen mit 288 zu | |
205 Stimmen abgelehnt worden waren. Es garantiert Straffreiheit [1][für | |
Morde und andere Verbrechen, die während des 30 Jahre andauernden | |
Nordirland-Konflikts zwischen 1969 und 1998 begangen wurden]. Voraussetzung | |
ist, dass die Täter mit einer „unabhängigen Kommission für Versöhnung“ | |
kooperieren. Die verworfene Änderung der Lords des Oberhauses sah als | |
zusätzliche Bedingung vor, dass die Angehörigen der Opfer zustimmen müssen. | |
## Kritik vom Europarat und den Vereinten Nationen | |
Der Europarat, die Vereinten Nationen und zahlreiche US-Politiker | |
kritisierten das Gesetz. Die Labour-Opposition kündigte an, es | |
zurückzunehmen, sollte sie die Wahlen im nächsten Jahr gewinnen. In | |
seltener Einigkeit sind sämtliche nordirischen Parteien – Unionisten und | |
Nationalisten – gegen das Gesetz. | |
Der Unterhaus-Abgeordnete Jim Shannon von der Democratic Unionist Party | |
(DUP) sagte, das Recht der Angehörigen auf Gerechtigkeit werde dadurch | |
ausgelöscht. Stephen Farry von der Alliance Party fügte hinzu, das Gesetz | |
reflektiere „die Politik der Tories, nicht die Bedürfnisse Nordirlands“. | |
Es gehe der Londoner Regierung vor allem darum, ehemalige Soldaten zu | |
schützen und die Beteiligung der Geheimdienste an Morden in Nordirland zu | |
vertuschen, sagen die Angehörigen von Zivilopfern. Die Veteranenverbände | |
der britischen Armee sind denn auch die einzigen, die das Amnestiegesetz | |
begrüßen. | |
## Konflikt mit rund 3.500 Todesopfern | |
Der Konflikt, der Ende der sechziger Jahre ausbrach, weil Katholiken mit | |
Massendemonstrationen für Bürgerrechte wie faire Job- und Wohnungsvergabe | |
sowie das allgemeine Wahlrecht eintraten und damit auf erbitterten | |
Widerstand der Polizei und protestantischer Organisationen stießen, wurde | |
[2][mit dem Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998 mehr oder weniger | |
beigelegt]. Rund 3.500 Menschen sind in dem bewaffneten Konflikt ums Leben | |
gekommen. | |
Einer davon war Raymond McCord Junior. Der 22-Jährige wurde vom lokalen | |
Chef der protestantischen Terrormiliz Ulster Volunteer Force (UVF) als | |
Drogenkurier benutzt. Damit er dessen Geschäfte nicht an die Führungsspitze | |
der UVF verraten konnte, musste er sterben. 1997 wurde er von einem | |
UVF-Kommando entführt, zu einem Steinbruch verschleppt und ermordet. | |
## Raymond McCord kämpft für seinen toten Sohn | |
Seitdem kämpft sein Vater Raymond McCord Senior um Gerechtigkeit für seinen | |
Sohn. Er weiß, wer die Täter sind. „Es waren bezahlte Polizeispitzel“, | |
sagte er zur taz. „Die konnten machen, was sie wollten, ihre Macht war | |
grenzenlos.“ McCord lehnt das Gesetz deshalb ab. „Es ist lächerlich, dass | |
solch ein Blödsinn Antworten für die Opfer liefern und zur Versöhnung | |
führen soll, wenn man Mördern und Kriegsverbrechern eine Amnestie gewährt.“ | |
Er forderte König Charles III. auf, seine Zustimmung zu diesem Gesetz zu | |
verweigern. | |
Der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris verteidigte das | |
Gesetz im Unterhaus. Er sagte, er hoffe auf „jede Menge Informationen | |
binnen kürzester Zeit“. Allerdings schränkte er ein, es gebe keinerlei | |
Garantie, dass man überhaupt irgendwelche Informationen bekommen werde. | |
Das Gesetz muss in dieser Woche noch vom Oberhaus verabschiedet werden, | |
doch das ist eine Formalie. | |
10 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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