Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Corona – das Musical!
> Mit einer gnadenlos operettenhaften Neuauflage der Pandemie versucht das
> Virus derzeit an alte Erfolge anzuknüpfen. Ein Werkstattbericht.
Bild: Vorhang auf und alle mitsingen bei: „Flatten the curve!“!
Der Funke sprang in China über: Xi Ping und Tang Che, zwei blutjunge
Mitarbeiterinnen in einem Institut für Virologie, hatten sich jahrelang
beäugt, beschattet und beobachtet, bis sie sich eines kühlen Herbstmorgens
unter Laborbedingungen endlich ihre gegenseitige Zuneigung gestanden. Und
schon nahm sich eine wilde, heftige Liebesszene Raum, ganz egal, was sich
sonst in ebendiesem befunden hat: Die Schutzanzüge fielen, die Masken
wurden abgestreift, irgendein Glas klirrte; die Leidenschaft, die die
beiden überfraut hatte, siegte. Wie schön.
Die Welt verfiel dem Corona-Fieber, die Aufführung wurde ein Straßenfeger,
aber drei Jahre später scheint der Siegeszug des mutmaßlich in jenem Moment
freigesetzten Virus im Sand zu verlaufen. Verkaufs- und Verlaufszahlen sind
gesunken, Übernahmeangebote anderer Pandemie-Anbieter wurden zwar
abgewehrt, das breiter werdende Desinteresse hat jedoch Spuren
hinterlassen.
Niemand möchte das einst so gefürchtete, gehassliebte Virus noch haben –
die einen haben sich immunisiert, manche fünffach, die anderen sind längst
in abstruse Parallelwelten geflüchtet. Zwar arbeiten die Virenschleudern
immer noch auf Hochtouren, neue „Varianten“ wurden blindlings auf den Markt
geworfen, konnten sich aber nicht durchsetzen. Was nun, Corona?
Hilfe kommt von ungeahnter Seite. Oder war es Hilfe zur Selbsthilfe?
Selbsthilfe zur Hilfe? Jedenfalls hat sich das schlaue Virus Inspiration
bei anderen Plagen geholt. Der Kult des Berührungsverbotenen, dieses
luftig-kleine Wesen hat sich eine neue Strategie bei alten Vorgängern
abgeschaut.
## Vorhang auf für Totgelaufenes
Ganz nach dem Motto: Hat sich die Sache totgelaufen, machen wir ein Musical
draus! Was Abba, die Beatles, die Rocky Horror Picture Show oder Monty
Python können – kann Corona schon lange. Vorhang auf für: Corona, das
Musical!
Der Blick geht nach Aachen, wo dieser Tage die deutsche Uraufführung
stattfinden soll. Das eigens dafür angemietete luftdichte Zirkuszelt ist
bereits für den gesamten Herbst ausverkauft. Die Generalprobe zeigt: Wenn
ein großartiges Regieteam wie hier die Produktion übernimmt, stehen die
Zuschauer am Ende begeistert auf, recken ihre Smartphones in die Luft,
schunkeln und singen, gehen womöglich erstmals in ihrem Leben total
begeistert raus in den sprichwörtlichen rheinischen Nieselregen und summen
selbst dann weiter, wenn sie in eine Pfütze getreten sind. Mehr kann ein
Musical nun wirklich nicht erreichen.
Es kann natürlich auch sein, dass das Publikum die Show mit Karneval
verwechselt, aber das macht nichts, der Ort ist nicht zufällig gewählt:
Heinsberg, man erinnert sich vielleicht, liegt ganz in der Nähe.
Tatsächlich erkennt man vieles wieder: die lustige Aufzugszene mit dem
großäugigen Minister in einer Menschentraube; die von den Balkons
gesungenen Arien auf die einfachen Arbeiterinnen, vorgetragen in schönem
Italienisch oder modernem Englisch (Die Hits heißen „Flatten the Curve“ und
„Stay the Fuck at Home“) und von den Sängerinnen und Sängern am Ende selb…
mit Beifall bedacht; die Parkbänke, Tischtennisplatten,
Glühweinverkaufsstände, die mit roten Absperrbändern verziert sind; die
Kreidekreise auf den Böden, die Abstandsstriche, die vereinzelt im Raum
stehenden anonymen Darsteller.
## Treibende Beats aus Wuhan
Für Hauptrollen wurden Feministinnen gar nicht erst angefragt, dafür sorgt
der Wuhan Clan für treibende Beats. Interessant auch der Chor der
Studenten, der in weißen T-Shirts mit schwarzen Nullen ein Abstandsballett
der Sonderklasse hinlegt.
Die Hauptrolle des Virus wird, wie im Theater mittlerweile üblich, gleich
von mehreren Schauspielern übernommen: Hier der eine aus „Babylon Berlin“
als böses Alpha, da der eine vom Münster-„Tatort“ als hinterlistiges Delt…
hinreißend auch die immer noch flinke NDW-Sängerin als Omikron. Auch die
beiden Schauspielschüler als Liebespaar Eris und Pirola wissen zu
überzeugen; obwohl ihre Rollen noch klein sind: Hier könnten steile
Karrieren ihren Anfang nehmen.
Auch wenn das Bundesgesundheitsministerium dementiert, der Erfolg scheint
programmiert. Die Show kann nicht nur wieder beginnen, sondern endlos
weiterlaufen. Oder wie Regisseurin Marlen Schade sagt: „Wir hoffen auf
Langzeitfolgen, nein, -verträge.“
15 Sep 2023
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Die Wahrheit
Verschwörungsmythen und Corona
Musical
Zukunft
Schwerpunkt Coronavirus
Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Filter und UV-Licht gegen Schadstoffe: Zeit für eine Luftveränderung
Schlechte Raumluft lässt Menschen öfter krank werden und unkonzentrierter
arbeiten. Hat die Coronapandemie geholfen, das Problem endlich anzugehen?
Corona-Welle in Deutschland: Pirola auf dem Vormarsch
Die Zahl der Covid-Infektionen in Deutschland steigt wieder. Also zurück zu
Maske und Abstand? Hier die wichtigsten Fragen und Anworten.
Die Wahrheit: Der gerade Turm von Pisa
Eine italienische Bürgerini findet endlich die Lösung gegen den
Übertourismus.
Die Wahrheit: Mein Leben mit Slowenen
Anlässlich der slowenischen Woche der Wahrheit: Ein zwischenmenschlicher
Lagebericht aus Piran, Hort der touristischen und sonstigen Ereignisse.
Die Wahrheit: Mein Leben im endlosen Sommer
Als der Sommer noch endlich war und meist zu kurz, da vertaten auch die
meisten Menschen ihr Leben. Und dieses Jahr? War der Sommer gefühlt endlos
…
Die Wahrheit: Mein Leben als Tourist
Österreich – das ist Urlaub für alte Leute, für Deutsche, für
Kleinfamilien. Es kann aber auch ganz spannend sein, dieses kotelettförmige
Land.
Die Wahrheit: Danke, große Gleichgültigkeit!
Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Wunder“ (10): Wenn alles ganz und gar egal
ist, absolut scheißegal.
Die Wahrheit: Mein Leben als René
„Du bist, wie du heißt?“ Die untergehende „Wiener Zeitung“ bemitleidet
mich, weil die Renés dieser Welt einen Klischeenamen hätten. Ach Gottchen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.