| # taz.de -- Rockband Erregung Öffentlicher Erregung: Apokalypse now | |
| > Die Band Erregung Öffentlicher Erregung umarmt mit ihrem neuen Album | |
| > Trash und Zukunftsangst. Dabei geht es um veganes Chili, Pommes und | |
| > Eiscreme. | |
| Bild: Erregung Öffentlicher Erregung im Parkhaus. Anja Kasten ganz links | |
| Sie flüstert, sie schreit, sie dehnt die Silben. Ihre Stimme überschlägt | |
| sich und hallt nach. Wenn Anja Kasten bei ihrer Band Erregung Öffentlicher | |
| Erregung am Mikrofon steht, klingeln die Ohren. Aber nicht nur wegen der | |
| schieren Energie, die in dieser Stimme liegt. | |
| Anja Kasten ist auch eine der klügsten, deutschen singenden Texterinnen. | |
| „Ich hab keine Hände, ich hab Pfoten / Meine Haare fallen alle alle aus“, | |
| singt sie etwa in „Meine Haare“ und reimt: „Ich hab keine Locken, ich hab | |
| Knoten / Mein Lebenslauf sieht scheiße aus.“ | |
| Die Ohren klingeln aber auch wegen eines Vergleichs, dem Anja Kasten in | |
| ihrem Song „Top Jeff“ dieses Mal zuvorkommt: „Dein Bohnen-Chili ist | |
| phänomenaaal“, singt sie und zieht die letzte Silbe lang. Spätestens in der | |
| nächsten Zeile, wenn es heißt „Dein veganes Curry macht mich so | |
| sentimentaaal“, hört man Annette Humpe, die in der Westberliner NdW-Band | |
| Ideal diese beiden Adjektive für immer aneinanderband. | |
| Anja Kasten singt nun, 40 Jahre später, bei der [1][Post-Punk-Band Erregung | |
| Öffentlicher Erregung, die seit gut zehn Jahren zusammen musikalische | |
| Sinnsuche betreibt.] Erst mit einigen selbst im Proberaum produzierten EPs, | |
| 2020 folgte das erste Studioalbum „EÖE“. Die Bandmitglieder leben zu | |
| gleichen Teilen in Hamburg und Berlin, ihre Songs komponieren sie online: | |
| Skizzen und Ideen werden in die Cloud geladen, die dann von den anderen | |
| jeweils weiterentwickelt und ausarrangiert werden. Die Band verhandelt das | |
| Zwischenmenschliche und Gesellschaftliche gleichermaßen, meist anhand von | |
| etwas anderem, Alltäglichem. | |
| ## Skizzen in der Cloud | |
| Ihr nun erscheinendes zweites Album, „Speisekammer des Weltendes“, | |
| erforscht die Nahrungsaufnahme. Es geht um Pommes, Eiscreme, Spitzenköche | |
| und veganes Chili. „Mein Kopf ist voll mit süßen Teilen, nicht mit Drogen, | |
| sondern Teig“, singt Kasten da etwa. | |
| Im Interview erklärt Kasten: „Kochen, also Essen aus verschiedenen Zutaten | |
| zu erschaffen, ist eine der größten kulturellen Errungenschaften der | |
| Menschheit. Es ist immer wieder abgefahren, wie Sachen entstanden sind. | |
| Brot zum Beispiel – wie hat man das Rezept herausgefunden? Man muss erst | |
| dieses Körnchen zermahlen und dann muss Wasser dazu. Und dann muss dieses | |
| Zeug erst mal noch ewig stehen.“ | |
| ## Nüchtern und lakonisch | |
| Kastens geniale Nüchternheit und lakonische Attitüde verhindern dabei, dass | |
| es im heiklen Metaphernfeld „Essen“ etwas zu bekömmlich wird – oder wie | |
| Kasten selbst sagt: „zu cheesy“. Angst davor hatte sie etwa im Song „Hei�… | |
| Liebe, sanfter Engel“, einem Liebeslied an das gleichnamige Mischgetränk | |
| aus Orangensaft und Vanilleeis beziehungsweise an eine andere Person: „Ich | |
| mag es, an dir zu lecken, doch wenn du wegläufst, mag ich das nicht“, | |
| intoniert sie darin doppeldeutig auf melodiöse Gitarren, Synthesizer und | |
| einen latent motorischen Rhythmus. | |
| Der Sound ihrer Band klingt auf dem neuen Album ausdifferenzierter, von | |
| ihrer DiY-Vergangenheit haben sie sich aber trotzdem nicht verabschiedet. | |
| „‚Heiße Liebe, sanfter Engel‘ basiert auf fünf bis sieben ganz schrottig | |
| aufgenommenen Gitarren“, verrät Bassist Laurens Bauer. „Die sind da so | |
| dringeblieben, weil es keinen Sinn gemacht hätte, die noch mal neu und gut | |
| aufzunehmen. Das ist auch ein bisschen die musikalische Essenz, dass wir | |
| das Momenthafte, [2][Spontane, manchmal auch Trashige umarmen].“ | |
| Die Musik von „Speisekammer des Weltendes“ ist tatsächlich in einer anderen | |
| Herangehensweise entstanden. Denn die Band hat die Stücke nicht live | |
| eingespielt, sondern [3][mit Produzent Olaf Opa]l im Studio viele Spuren | |
| übereinander gelegt. Zu hören ist das unter anderem in einem ausgeprägten | |
| Synthesizer-Einsatz und ab und zu einer verspielten Drum-Machine, wie sie | |
| etwa den Track „Viele Pommes“ eröffnet. | |
| ## Immer diese Rollenspiele | |
| Doch nicht ausschließlich im Speisen finden EÖE Inspiration. Während | |
| digitale Spieleästhetik die Band schon länger begleitet, sitzen sie jetzt | |
| auch gemeinsam am analogen Spieltisch. Der Track „Jenga“ eröffnet das | |
| Album, „Schwarzes Auge“ nimmt Bezug auf das gleichnamige | |
| Offline-Fantasy-Rollenspiel, mit unendlich vielen Spieleszenarien, | |
| tausendseitigen Würfeln und vielen Bänden Spielanleitung. | |
| Doch blickt die Band darin auch auf die weniger nerdige Vertreter der | |
| Brettspiele: „Wenn ich auf dein Feld komm, schmeiß ich dich raus / Und wenn | |
| du mich rausschmeißt, dann raste ich aus / Und wenn ich frei parken tu, | |
| dann mach ich nix / Und wenn ich ins Gefängnis geh, krieg ich kein Geld.“ | |
| So ist „Speisekammer des Weltendes“ Musik übers Zusammenleben, teilweise | |
| dystopisch, teilweise hoffnungsvoll. Der Albumtitel inkludiert all das: „So | |
| eine Speisekammer finde ich was ganz Tolles, wenn die voll ist, vollgepackt | |
| mit Leckereien. Und dann ist aber auch manchmal irgendwas drin, was schon | |
| abgelaufen ist. Wie geht man damit um? Isst man es noch oder wirft man es | |
| weg?“, fragt Kasten. | |
| ## Wie lange reicht der Vorrat? | |
| Und Bassist Bauer ergänzt: „Jede Speisekammer hat auch etwas Endliches. | |
| Aber vielleicht auch was Zuversichtliches, weil es ja noch eine Zeit lang | |
| reichen wird. Da entsteht eine Spannung in ‚Speisekammer des Weltendes‘. | |
| Reicht es vielleicht auch darüber hinaus?“ | |
| Bauer und Kasten gehören mit ihren Bandkollegen zu einer Generation, in der | |
| das Ende der Welt tatsächlich vorstellbar und also zur alltäglichen | |
| Bedrohung geworden ist. Auch ihr Album ist geprägt von der Situation, dass | |
| die Apokalypse keine Science-Fiction-Vorstellung mehr ist, wie Kasten | |
| erklärt. | |
| „Davon, dass es dafür keine Strategien gibt. Und was das mit einem macht: | |
| Einerseits sehr viel, aber zugleich überraschend wenig.“ EÖE haben keine | |
| Lösung, keine Antworten für die pressierenden Fragen, aber sie haben „eine | |
| neue Platte draußen“, wie sie selbst singen. | |
| Dass so etwas Banales in den alltäglichen Katastrophen nicht untergeht, ist | |
| zu hoffen, denn was Erregung Öffentlicher Erregung ins Albumformat pressen, | |
| ist ganz große Kunst. | |
| 1 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Diviam Hoffmann | |
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