# taz.de -- Die Wahrheit: Geißböcke und Schwachmaten | |
> Eine Fahrt vom Stadion zum Hauptbahnhof durch eine verrückte Stadt mit | |
> einem Taxifahrer, der erzählt und erzählt und erzählt und erzählt … | |
Bild: HSV. Uwe Seeler. Flugkopfball. Tor? | |
Er habe mit dem Thema abgeschlossen, er wolle, sagte der Fahrer des Taxis, | |
das ich bald nach Spielschluss in Stadionnähe aufgetan hatte, mit dem | |
Wahnsinn nichts mehr zu tun haben. Irgendwer müsse doch den Schwachmaten | |
etwas entgegensetzen, die in dieser total durchgeknallten Stadt nichts | |
anderes mehr im Kopf hätten als diesen Verein. Immerhin gehe es ja nur um | |
Fußball. Um Fußball! | |
Aber was werde draus gemacht? Ein Glaubensbekenntnis. Wenn er schon | |
Angeber-Slogans höre wie: „E Levve lang. Spürbar anders.“ Die Welt gehe | |
unter, und in dieser Stadt, die sich als „Jeföhl“ bezeichne, drehe sich | |
alles um deren angeblich ersten Fußballverein. Nein, er habe mit der Sache | |
abgeschlossen. Er habe auch keine Ahnung, wo die in der Tabelle stünden, | |
und wolle auch nicht wissen, wie das Spiel heute ausgegangen sei. Und er | |
kenne schon lange keine Spielernamen mehr. | |
Früher sei das mal anders gewesen, aber da sei Fußball ja einfach Fußball | |
gewesen, und zwar großer. Man denke nur an die Meisterelf von 62, die habe | |
er natürlich noch im Kopf: Ewert, Pott, Schnellinger. Dann Hemmersbach, | |
Wilden, Sturm, Thielen, Habig, Breuer, Christian Müller und vor allem „de | |
Knoll“: Hans Schäfer. | |
Nur zwei Jahre später die nächste Meisterschaft, im Kern die Jungs von 62, | |
dazu Spieler wie Hornig, Weber, Overath. Dann 68, der erste Pokalsieg. | |
Diesmal im Tor Soskic, dann Pott, Hemmersbach, Flohe, Weber, Thielen, Rühl, | |
Simmet, Löhr, Overath, Hornig. | |
Wir quälten uns die Aachener Straße entlang. Die Bürgersteige quollen über | |
vor Menschen in rot-weißer Kluft. Entlang der Straße weiße Häuser mit roten | |
Dächern. Aus einer Seitengasse trieb ein Mann eine Herde Geißböcke Richtung | |
Innenstadt. Die Ampel wechselte von Rot auf Weiß, es ging wieder ein Stück | |
weiter. | |
Und dann der Höhepunkt, schwärmte der Taxifahrer, das Double 78! Und er | |
legte wieder los: Flohe und Schumacher, Cullmann und Neumann, Müller und | |
Strack. Schwer ums Herz werde einem, wenn man an die alten Zeiten denke. | |
Sogar an den 83er-Pokalsieg, eins zu null gegen Fortuna, ein peinlicher | |
Sieg, dabei sei es doch eigentlich eine starke Truppe gewesen: Schumacher, | |
Prestin, Steiner, Engels, Littbarski, Zimmermann, Fischer, Allofs … | |
Irgendwann erreichten wir schließlich den Hauptbahnhof. Nein, sagte der | |
Taxifahrer, mit diesem Verein sei er durch, allein heute: Wieder so eine | |
dämliche Heimniederlage. Schwäbe im Tor bringe es nicht mehr, und ohne | |
Hector sei ohnehin alles nichts. Aber ihm gehe das ja wie gesagt am Arsch | |
vorbei, er sei eben spürbar anders, lachte er dröhnend. | |
Da hatte ich schon gezahlt, und während ich mich durch die Masse rot-weiß | |
Bedresster zum Bahnhofseingang wühlte, hörte ich fern sein Gelächter | |
abebben, das klang wie die Hymne des Vereins, der heute verloren hatte. Ich | |
eilte die Treppen hinauf zum Bahnsteig. Dort wartete abfahrbereit ein ICE, | |
weiß-rot. | |
16 Aug 2023 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schaefer | |
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