| # taz.de -- Die Wahrheit: Danke, du Prophet des Gedeihens! | |
| > Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Wunder“ (9): Lobgesang auf Robert | |
| > Wirchler, einen etwas anders erfolgreichen Heiler. | |
| Bild: Der beste Weg, Jünger zu verlieren: sie Sahra Wagenknecht aufschwatzen | |
| So konnte es nicht weitergehen. Robert Wirchler war ratlos. Das Ganze war | |
| einfach aus dem Ruder gelaufen. Wenigstens lohnte es sich. Der schier | |
| unfassbare Zuspruch, den er erhielt, lag sicher auch an diesen unsicheren | |
| Zeiten, in denen die Menschen aus Angst, man würde sie schon bald zum | |
| Gendern zwingen, nächtelang nicht schlafen konnten. | |
| Als vor nicht einmal zwei Jahren alles anfing, hätte er nie und nimmer | |
| daran gedacht, dass sich seine Fähigkeiten zu einem kleinen Business | |
| auswachsen könnten. Es war ja auch nicht viel, was er tun musste. Oder sah | |
| er das zu bescheiden? | |
| Mal legte er die Hand auf die Schulter seiner Kunden, mal reichte es, Ihnen | |
| gute Wünsche per Mail zu übermitteln. Und bisweilen erreichten ihn auch | |
| Schreiben von dankbaren Menschen, die davon berichteten, dass sich ihr | |
| Leben verändert habe, einfach nur weil sie sich ganz intensiv gewünscht | |
| hatten, er möge ihnen helfen. | |
| Natürlich hatte Robert Wirchler auch Kritiker. Er verstand die Menschen, | |
| die sich nicht in die Schar der Jubilierenden einreihen wollte, wenn er | |
| wieder einmal einem Blinden zwar das Augenlicht zurückgegeben, ihn dabei | |
| aber taub gemacht hatte. Seine Wunder waren umstritten. Denn ihre | |
| Nebenwirkungen waren unkalkulierbar. | |
| Zu glauben, ein Gehörloser, dem er die Fähigkeit zu hören geben würde, | |
| müsste nun als Blinder weiterleben, wäre zu einfach. Nur einer der acht | |
| einst Gehörlosen war nun blind. Die anderen lebten mit anderen | |
| Einschränkungen weiter. Zwei waren von den Lendenwirbeln abwärts gelähmt, | |
| einem war ein dritter Daumen gewachsen, drei litten unter chronischen | |
| Clusterkopfschmerzen und einer hatte alle Zähne im Unterkiefer verloren. | |
| Bisweilen fragte er sich schon, wie es sein konnte, dass die Menschen ein | |
| so hohes Risiko eingingen. Aber da gab es ja auch die Fälle, in denen es zu | |
| keinen nennenswerten Nebenwirkungen gekommen war. Julian Herwig, dessen | |
| Gehirntumor er zum Verschwinden gebracht hatte, kann jedenfalls ganz gut | |
| leben mit dem nicht allzu großen Pickel, der ihm auf der rechten Arschbacke | |
| gewachsen war. | |
| Renate Wolfgruber, die sich wegen wuchernder Metastasen in ihren Gedärmen | |
| an ihn gewandt hatte, war zwar zunächst ein wenig erschrocken über den | |
| Buckel, der ihr nach vollbrachtem Wunder gewachsen war, hat sich inzwischen | |
| aber daran gewöhnt. „Lieber hinten rund, als unten wund“, beliebt sie bis | |
| heute zu witzeln. | |
| Kunden, die mit den Begleiterscheinungen der Wunder nicht so gut | |
| zurechtgekommen sind, versuchten nicht selten vor Gericht gegen Wirchler | |
| vorzugehen. Klar, wer für die Mobilisierung eines steifen Zeigefingers ein | |
| Lungenkarzinom bekam, konnte schon mal sauer werden. Aber die Richter waren | |
| meist auf Wirchlers Seite. Die Verträge waren wasserdicht. Außerdem hielt | |
| sich der Schaden in Grenzen. Weil er nur nebenberuflich als Wunderheiler | |
| tätig war, verlangte Wirchler nicht allzu viel für eine herkömmliche | |
| Heilung. Für den steifen Finger hatte er 9,99 Euro verlangt. Da konnte man | |
| nun wirklich nichts sagen. | |
| ## Erste Wunder in der Bahn vollbracht | |
| Längst waren die Medien auf ihn aufmerksam geworden. Alles, aber auch alles | |
| wollten sie von ihm wissen. Wer seine Eltern waren, wo und wie er | |
| aufgewachsen ist, warum er damals zur Bahn gegangen war, wo er bis heute | |
| als Schaffner arbeitete. In der Bahn hatte er auch sein erstes Wunder | |
| vollbracht. Es hat ihn selbst vielleicht am meisten überrascht, als ihn | |
| damals jener Mann im Rollstuhl bat, ihm beim Aussteigen zu helfen, um dann | |
| einfach aufzustehen und loszugehen, nachdem Wirchler ihm auf die Schulter | |
| geklopft und gesagt hatte: „Alles wird gut!“ | |
| Dass der nicht gerade ansehnliche Abszess, der dem Mann daraufhin mitten | |
| auf der Stirn gewachsen ist, eine Nebenwirkung seines Wunders war, konnte | |
| er damals noch nicht ahnen. Bald schon ergab jedenfalls ein Wunder das | |
| andere. Das ganze Land wusste nun um seine Fähigkeiten. Wirchlers ganze | |
| Freizeit, die er früher so gern mit Laubsägearbeiten verbracht hatte, ging | |
| nun für das Vollbringen von Wundern drauf. | |
| Doch nun konnte er nicht mehr. Die Menschen wollten mehr von ihm als | |
| einfach nur Wunder. Sie vermuteten in ihm eine Art Heiland. Jesus habe ja | |
| auch mehr auf der Pfanne gehabt, als einfach nur ein paar Wunder zu | |
| vollbringen, meinten die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft, die sich | |
| inzwischen gegründet hatte. Seit Tagen campierten sie vor dem Haus, in dem | |
| ihr Messias in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung lebte und warteten auf | |
| eine Botschaft. | |
| Einer der Wirchlerianer erklärte der wachsenden Schar von Reportern, dass | |
| sie sich jeder Idee anschließen würden, die Wirchler formulieren würde. | |
| „Wenn es in Richtung Nazis gehen sollte, wäre das schon schwierig, aber so | |
| sei das nun mal mit dem Glauben. Man müsse ihm folgen“, bekannte der | |
| Jünger. Er rechnete aber eher mit einer Art Anti-Impfbotschaft oder anderen | |
| Weisheiten aus dem Bereich der Heilkunde. Da würde Wirchler ja auch mit | |
| seinen Wundern Zeichen setzen. Etwas G5-Kritisches hielt er für besonders | |
| wahrscheinlich. | |
| Robert Wirchler blickte einmal mehr ratlos aus seinem Fenster aus, vor dem | |
| die Gläubigen campierten. Aber was sollte er sagen. Er hatte sein ganzes | |
| Leben lang schon Schwierigkeiten, sich etwas einfallen zu lassen. Auch zu | |
| seinem Hobby war er gekommen, weil ihm seine Mutter damals zur Kommunion | |
| ein Laubsägeset geschenkt hatte. Er hatte keine Botschaften. | |
| Kurz überlegte er, ob er irgendwas zum Thema Heizungen sagen soll. Das | |
| beschäftigte doch die Menschen. Aber da gab es ja nun schon genug | |
| Glaubensgemeinschaften. Oder etwas über die Bahn. Da kannte er sich | |
| wenigstens aus. Doch dazu fiel ihm nun wirklich nichts mehr ein. Sollte er | |
| sie zu Sahra Wagenknecht weiterschicken? Dann wäre er seine Jünger zwar | |
| los, aber das machte es ja nun auch nicht besser. | |
| Nein, er brauchte selbst ein Wunder. Lourdes, Tschenstochau, Altötting? | |
| Sollte er eine Pilgerreise unternehmen, auf dass ihn Gott von der | |
| Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, befreie? Aber er glaubt gar nicht an | |
| Gott. Er war ja selbst so eine Art Gott. Das war ja schon mal eine | |
| Erkenntnis. Jetzt brauchte er nur noch eine Idee. | |
| 11 Aug 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
| ## TAGS | |
| Mystery | |
| Sahra Wagenknecht | |
| Esoterik | |
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