Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gericht in Schleswig hebt Freispruch auf: Hausfrieden wichtiger als…
> Nachdem er einen Baum besetzt hatte, wurde ein Aktivist erst angeklagt,
> dann freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein – mit
> Erfolg.
Bild: Ein Vermummter sitzt während der Räumung des Bahnhofswaldes auf einem S…
Schleswig taz | Strenge Sicherheitsmaßnahmen vor der Tür, eine zügige
Verhandlung im Saal: Nach rund zwanzigminütiger Beratung hob das
Oberlandesgericht in Schleswig ein Urteil des Amtsgerichts Flensburg vom
November vergangenen Jahres auf. Damals hatte eine Richterin den heute
43-jährigen [1][Philipp A. freigesprochen], der wegen der Teilnahme an
einer Baumbesetzung im Flensburger Bahnhofswald angeklagt war.
A. hatte sich auf den sogenannten Notstandsparagrafen 34 des
Strafgesetzbuchs berufen, die Richterin war dieser Argumentation gefolgt.
Der Paragraf besagt: Wer bei Gefahr für Leib und Leben eine eigentlich
strafbare Tat begeht, um die Gefahr abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig.
In dem Fall wollte der Aktivist der Gefahr Klimawandel mit der
Baumbesetzung begegnen.
Es war einer der wenigen Fälle, in denen ein Gericht auf unterer Ebene so
entschieden hatte – der Fall, bei dem es nur um Hausfriedensbruch und eine
geringe Geldstrafe ging, fand daher bundesweit Beachtung. Nun stellte die
höhere Instanz fest: Das Urteil ist aufgehoben, der Fall muss erneut
verhandelt werden.
Alexander Hoffmann, der Verteidiger von A., hatte sich ein anderes Ergebnis
erhofft, war aber nicht überrascht: „Das Bundesverfassungsgericht hat 2021
Mut bewiesen, als es den Schutz des Klimas und der Lebensgrundlagen auf
eine Stufe mit anderen Grundrechten stellte.“ Die „oft sehr konservativen
Oberlandesgerichte“ versuchten nun, diese Entscheidung einzuhegen, sagte er
nach der Verhandlung. Hoffmann hatte beantragt, das Verfahren einzustellen:
„Mein Mandant ist nicht das Objekt, aus dem die Staatsanwaltschaft einen
Präzedenzfall machen kann.“
## Wo jetzt der Wald ist, sollen Hotel und Parkhaus hin
Im Flensburger Bahnhofswald wollen zwei örtliche Unternehmer in Kooperation
mit einer chinesischen Investmentfirma ein Hotel samt Parkhaus errichten.
Doch eine Bürgerinitiative machte gegen die Abholzung der Bäume mobil.
Parallel dazu besetzten Aktivist*innen das Gelände und harrten im
Herbst und Winter 2020 in Baumhäusern aus.
Im Frühjahr 2021 ließen die Investoren eigenmächtig und ohne Genehmigung
Bäume fällen, [2][die Polizei räumte] in der Folge die Baumhäuser. Gegen
mehrere der Aktivist*innen fanden Prozesse statt, die meisten endeten
mit Strafen wegen Hausfriedensbruchs, zuletzt wurde eine Person [3][im Juli
verurteilt].
Im jetzigen Revisionsprozess befasste sich das Oberlandesgericht
ausschließlich mit dem Urteil und den juristischen Argumenten von
Generalstaatsanwaltschaft und Verteidigung. Richterin Janique Brüning
steckte den Rahmen ab: Ja, der Klimaschutz könnte die Einzelinteressen der
Grundstücksbesitzer überwiegen. Es sei auch notwendig, jetzt etwas zu
unternehmen: „Die Gefahr liegt gegenwärtig vor, auch wenn sich die Folgen
erst in Jahren zeigen.“ Werde der CO2-Ausstoß nicht schnell reduziert, gebe
es irreversible Folgen.
Das Argument der Staatsanwaltschaft, ein einzelner Baum rette das Klima
nicht, hielt das Gericht nicht für überzeugend: So, wie nicht eine Person
allein das Klima schädige, könne nicht eine einzelne Person das Klima
retten. „Jeder Beitrag zählt“, sagte Brüning. Daher könne die Besetzung …
Waldes durchaus als geeignetes Mittel angesehen werden, um die Abholzung zu
verhindern – eigentlich.
## Noch sind Emissionen gerechtfertigt, sagt die Richterin
Doch Brüning wies darauf hin, dass ein Rechtsweg existiert und dass es
andere Möglichkeiten gebe, politische Entscheidungen zu beeinflussen:
„Unsere Lebensgewohnheiten sind nun einmal nicht CO2-neutral, und die
heutigen Regeln verlangen das auch nicht.“ Erst 2045 solle Deutschland ohne
Emissionen auskommen. In der Übergangsphase seien Emissionen noch
gerechtfertigt, das habe auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
Richter Blöcher fügte hinzu: „Nur weil Sie sagen, es gehe zu langsam,
dürfen Sie nicht das Recht in die eigene Hand nehmen.“
Anwalt Hoffmann widersprach: Der Rechtsweg sei in Flensburg nicht wirksam
gewesen. „Der Baum, auf dem mein Mandat saß, steht noch und wird wohl
stehenbleiben, und zwar nur, weil er darauf saß.“ Es habe Rechtsverstöße
der Investoren gegeben, auch sei fraglich, ob der städtische Bebauungsplan
rechtskräftig sei. Das Kernproblem sei aber ein anderes: Die Regierung
halte die Pariser Klimaverträge, in denen sich die Staaten dazu
verpflichteten, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, bewusst nicht
ein. Daher sei es falsch, Aktivist*innen zu bestrafen, weil die sich
nicht an Regeln hielten.
Oberstaatsanwältin Silke Füssinger brachte noch den Maschendrahtzaun ins
Spiel: Dieser sei zwar kaputt, aber erkennbar gewesen – was den
Bahnhofswald zu einem „umfriedeten Grundstück“ machte – daher sei das
Betreten von A. Hausfriedensbruch. Für zivilen Ungehorsam aber „ist kein
Raum und darf keiner sein“. Die Staatsanwältin hatte zuvor den Antrag
abgelehnt, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen.
Es ist generell möglich, dass das Amtsgericht in der zweiten Runde diesen
Weg geht und Philipp A. ein weiteres Verfahren erspart – die Entscheidung
darüber liegt nach dem Urteil nun wieder in Flensburg.
9 Aug 2023
## LINKS
[1] /Urteil-zu-Baumbesetzung/!5890379
[2] /Flensburger-Baumbesetzung-beendet/!5753418
[3] /Flensburger-Hotelprojekt/!5943707
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Prozess
Schwerpunkt Klimawandel
Waldbesetzung
Klimaschutzziele
Flensburg
Flensburg
Baumbesetzer*innen
Naturschutz
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozesse nach Waldbesetzung in Flensburg: Hausfriedensbruch im Wäldchen?
Wegen der Besetzung des Flensburger Bahnhofswaldes steht eine Aktivistin
vor Gericht. Ein anderes Verfahren wurde eingestellt.
Flensburger Hotelprojekt: Kein Klima für eine Waldbesetzung
Amtsrichter erkennt bei der Besetzung des Flensburger Bahnhofswaldes keinen
rechtfertigenden Notstand. Eine Kollegin hatte das anders gesehen.
Gericht stoppt Hotelbau in Flensburg: Baustopp im Bahnhofswald
Umweltverbände und eine Bürgerinitiative sind vor Gericht gegen
Hotel-Investoren und die Stadt Flensburg erfolgreich. Hauptverhandlung
steht noch aus.
Aktivismus in Baumkronen: Die Bäume denen, die drin wohnen
Waldbesetzungen haben derzeit Konjunktur. Aber sind sie immer legitim? Und
ab wann zählen ein paar Bäume überhaupt als Wald?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.