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# taz.de -- Origineller Berlin-Krimi: Showdown im Parkhaus
> „Die Guten und die Toten“ von Kim Koplin ist ein toll geschriebener
> Berlin-Thriller mit Noir-Elementen. Das Böse kriegt darin ordentlich auf
> die Mütze.
Bild: Das Parkhaus, in dem Koplins Krimi spielt, ist dramatisch heruntergekommen
Mit [1][Berlin-Krimis und -Thrillern] lassen sich längst ganze Bücherwände
füllen; die Schauplätze konzentrieren sich seit einigen Jahren jedoch meist
auf die Szene-, die Reichen- oder die Ostbezirke. Auf die Dauer nutzt sich
das alles ab. „Die Guten und die Toten“ geht da eigene Wege und ist auch
insofern originell, als es zum größten Teil [2][in Charlottenburg spielt],
dem „alten Westen“ schlechthin.
Einen weiteren Originalitätspunkt gibt es für die Findung des
Autor*innennamens, denn „Kim Koplin“ ist ein vollendet androgynes
Pseudonym. Tatsächlich mag mensch keine offizielle Hypothese abgeben, ob
dieser Roman nun von einer Frau, einem Mann oder einer Person (oder gar
mehr als einer) mit noch komplexerer Genderidentität geschrieben wurde.
Nichts ist unmöglich, alles ist drin.
## Unter dem Radar bleiben
Als wichtigster Handlungsort fungiert ein dramatisch heruntergekommenes
Parkhaus. Selbstverständlich gibt es dieses Gebäude in der Realität nicht,
jedenfalls nicht dort, wo es im Roman verortet wird: in der
Knesebeckstraße. Auf Google habe es eine Bewertung von 1,4, erfahren wir
(„Ratten im Treppenaufgang“, „Putz fällt von der Decke“), das ist die
schlechteste in ganz Europa. Aber der Betreiber stellt keine Fragen; und
das ist Saad, der die Nachtschicht als Pförtner im Parkhaus schiebt, nur
recht, denn er will unbedingt unter dem Radar bleiben.
Saad heißt eigentlich gar nicht so und gibt sich als syrischer Flüchtling
aus, stammt aber in Wahrheit aus Marseille, wo er ziemlichen Ärger mit
ziemlich gefährlichen Drogengangstern hatte, und lebt in ständiger Angst,
dass die ihn finden könnten. Vor allem seine kleine Tochter will er
schützen; er zieht Leila allein auf, seit ihre Mutter starb.
Ein erster und dann ein weiterer Zufall führt Saad mit Nihal zusammen, der
zweiten sowie weiblichen Hauptfigur des Romans. Über Nihal heißt es
mehrfach, dass sie aussehe [3][wie eine Marvel-Heldin]. Sie ist eine extrem
sportliche Kriminalkommissarin, die sich für die Olympia-Qualifikation im
Kickboxen oder etwas Ähnlichem vorbereitet und deswegen mitunter auch
mitten in der Nacht joggen geht, wenn ihr kleiner Bruder, der ungebeten bei
ihr eingezogen ist, wieder einmal extrem nervt.
Beide Hauptpersonen, Saad und Nihal, haben mithin „Migrationshintergrund“,
aber ganz unterschiedliche Probleme. Während Saads Problem eher selbst
verschuldet ist, wurde Nihal in eine familiäre Situation geboren, in der
sie es mit ihren Ambitionen niemandem recht machen kann. Ihre aus
Aserbaidschan stammenden Eltern missbilligen ganz allgemein alles, was sie
tut. Dass sie als Polizistin einschreiten muss, als ihr Bruder kriminell
wird, bringt ihr den endgültigen väterlichen Bann ein.
Eine Überlegung ins Blaue: Die feministische Grundausrichtung dieser
Figurenkonstellation könnte darauf hindeuten, dass der Roman von einer
Frau/einer als weiblich zu lesenden Person geschrieben wurde. Andererseits
gibt es schließlich auch viele feministisch denkende Männer/männlich zu
lesende Menschen. Und ist nicht die ständige Visualisierung der Polizistin
in eng anliegenden schwarzen Ganzkörperanzügen eine Männerfantasie? Oder
eher doch ein feministischer Selbstermächtigungstopos?
## Milieu der Billigjobs
Die Handlung bildet auf zwanglose Weise Bandbreite und Widersprüchlichkeit
der Berliner Sozialstruktur ab. Das Milieu der Billigjobs, in denen häufig
neu- Eingewanderte ihr Leben fristen, kommt ebenso vor wie jenes der
höheren Regierungskreise, in denen im teuren Dienstwagen durch die Gegend
gefahren, teuer gespeist und (in diesem fiktiven Fall) der Hals doch nie
vollgekriegt wird. Und auch die Party- und Drogenszene bekommt ihr Fett
weg. Die Actionszenen sind spannend geschrieben und mit gut dosierter
Situationskomik grundiert. (Auch das könnte, ebenso wie der vollendet
lakonische Stil und die überlegene Dialogführung, eventuell als Hinweis auf
die Person der AutorIn dienen.)
Für die romantischen Naturen unter den Lesenden hat die schreibende Person
noch eine Love Story zwischen den beiden Hauptfiguren hingesponnen, wie
Jane Austen sie kaum zarter hätte andeuten können. Nur dass hier auch mal
geküsst wird; doch erst nachdem die zahlreichen Leichen ordentlich
beseitigt wurden, die vorher angefallen sind. Das Schönste aber ist, dass
der Roman ganz und gar seinem Titel entspricht und damit eine höhere
Gerechtigkeit herstellt, die es so auf Erden gar nicht gibt.
Deswegen ist dies keineswegs ein Noir-Roman, sondern, so blutig es
zwischendurch zugehen mag, vielmehr eine romantische Thrillerkomödie mit
märchenhaften Zügen: Die Bösen sind am Ende nämlich (Achtung, Spoiler!)
alle mausetot. Die Guten steigen in den Flixbus nach Hamburg.
1 Aug 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Krimi
Roman
Berlin
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Thriller
Krimiserie
Literatur
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