| # taz.de -- Internationaler Flinta-Fußball: Fußballaudienz in Rom | |
| > Pichanga feminista sind ein Flinta-Fußballteam aus Neukölln. In der | |
| > kurzen Vereinsgeschichte steht bereits ein Auswärtsspiel gegen eine | |
| > Vatikanauswahl. | |
| Bild: Das Pichanga-Team in Rom mit dem Petersdom im Rücken | |
| Florencia Gabas ist Argentinierin und natürlich Fußballfan. Ihr Herz gehört | |
| [1][Racing Buenos Aires]. Weil sie vor einer Weile einige Zeit in Italien, | |
| der Heimat ihres Mannes, lebte, ist sie auch Fan von Napoli. Seit Februar | |
| ist sie zurück aus Italien wieder in Berlin. Wenn sie sich für einen der | |
| großen Männervereine dieser Stadt entscheiden müsste, dann „mehr für | |
| Union“, sagt sie. Aber das ist nebensächlich, denn Florencia hat ihren | |
| eigenen Verein: Pichanga FC. In dem spielt die 30-Jährige, die früher in | |
| Argentinien Hockey gespielt hat, Fußball. | |
| Pichanga ist Spanisch und heißt so viel wie bolzen. Namentlich ist der | |
| Pichanga FC also eine Bolztruppe. Davon gibt es – unter vielen anderen | |
| Namen – unzählige in Berlin, doch das Pichanga-Team ist ein sehr | |
| spezielles. Aus diversen Gründen. | |
| Gegründet wurde es am Internationalen Frauentag 2018. Camila Vargas, | |
| geborene Ostberlinerin, aufgewachsen im Brandenburger Umland, ist von | |
| Anfang an dabei. Das hat auch familiäre Gründe, denn ihr aus Chile | |
| stammender Mann ist Mitglied in der schon länger existierenden | |
| Männermannschaft von Pichanga FC. | |
| Als Camila Vargas und ein paar Frauen aus dem Umfeld ebenfalls nach Lust | |
| auf Bolzen war, übernahmen sie einfach den Namen der Männer, mit einem | |
| kleinen Zusatz: Pichanga feminista. Klingt ein bisschen nach kämpferisch | |
| feministisch und das soll es auch gern: „Wir sind ein Flinta-Team, das | |
| heißt offen für alle Genderidentitäten“, sagt Vargas. Nicht weniger divers | |
| ist das Team in Bezug auf die Nationalitäten. Internationaler geht es kaum, | |
| denn die Mitglieder kommen unter anderem aus Litauen, USA, Dänemark, Chile, | |
| Spanien, Mexiko, Kolumbien. Nicht alle sind noch dabei, die Fluktuation, | |
| die die Einwohnerschaft von Berlin prägt, spiegelt sich auch im | |
| Bolzfußball. | |
| Zunächst spielte das Pichanga-Team auf verschiedenen Kleinfeldplätzen in | |
| Neukölln, wo es eben gerade ging, bis es sie doch nach etwas Wettbewerb | |
| sehnte. Um in einer Liga mitspielen zu können, schlossen sich die Pichanga | |
| feminista – zusammen mit den Pichanga-Männern – dem [2][Tempelhofer Verein | |
| Tasmania] an. Da sie dort nicht ganz zufrieden waren, wechselten die Frauen | |
| zum [3][Verein Hürtükel am Columbiadamm], wo ihr Weg zur Eigenständigkeit | |
| einst begonnen hatte und wo sie zuletzt zeitgleich mit dem | |
| Pichanga-Kleinfeldteam der Männer trainierten. | |
| Nicht aus Unzufriedenheit, sondern aus einer Art fußballidentitären | |
| Motivation heraus entschieden sie sich im vergangenen Jahr schließlich | |
| (zusammen mit den beiden Männerteams) einen eigenen Verein, Pichanga FC zu | |
| gründen. Der bürokratische Abschluss mit Eintrag im Vereinsregister und | |
| beim Finanzamt ist erledigt. Das Vereinsgelände wurde ihnen schon | |
| zugeteilt, eine Anlage in Nähe der Grenzallee. | |
| ## Die große Stunde | |
| Das richtig Extravagante am Pichanga FC ist: Noch bevor er seinen festen | |
| Platz im Berliner Fußballbetrieb zugewiesen bekam, hatte er schon seine | |
| wohl größte Stunde in der Vereinsgeschichte. Mitte Juni absolvierte das | |
| Frauenteam ein Spiel, das als historisches Länderspiel in die Annalen | |
| eingehen darf. Das aus Deutschland angereiste Pichanga-Team trat in Rom | |
| gegen eine Frauenauswahl des Vatikanstaats an. Die bestand aus weiblichen | |
| Vatikanangestellten oder Ehefrauen und Töchtern von Vatikanmitarbeitern und | |
| wurde im Übrigen wie Pichanga Fem erst 2018 gegründet. | |
| Bisher nahm die päpstliche Sieben nur an Benefizturnieren in Italien teil, | |
| ein Spiel der vatikanischen Damenauswahl gegen ein ausländisches Team gab | |
| es vorher nicht. Das gegen die Berliner Auswahl war also eine Premiere. | |
| Die Partie fand auf dem Sportplatz Petriana außerhalb der Vatikanmauer, der | |
| einen grandiosen Blick auf die Kuppel des Petersdoms bietet, statt. Die | |
| Gäste gewannen mit 3:1, was in Freudentänzen samt Schlachtruf „Aguante | |
| Pichanga!“ – Halte durch Pichanga – mündete. | |
| Zweifache Torschützin war Rebecca Fleming, die inzwischen nicht mehr in | |
| Berlin lebt, aber als „Ehemalige“ dazu gestoßen war. Sie pries die | |
| spezielle Aura des Teams. „Pichanga ist mehr als nur ein Fußballverein, | |
| deshalb habe ich auch immer den Kontakt gehalten. Zwei unserer Spielerinnen | |
| sind sogar extra aus Barcelona angereist.“ | |
| ## Eine Soliparty vor der Abreise | |
| Im Team hatte es intensive Diskussionen gegeben, ob ein Spiel in der | |
| Weltzentrale der katholischen Kirche mit ihrem oft zweifelhaften | |
| Verständnis von Geschlechterrollen okay sein kann. Nicht alle Spielerinnen | |
| fanden das. Einige verzichteten deshalb auf die Reise. Für die anderen sagt | |
| Rebecca Fleming quasi stellvertretend: „Wir sind Personen, die Ultraspaß am | |
| Fußball haben und für uns ging es auch darum, unsere Werte und Diversität | |
| auf den Platz zu bringen. Außerdem finde ich, dass eine Begegnung mit einem | |
| Frauenteam vom Vatikan auch irgendwo etwas Selbstverständliches sein sollte | |
| – wie für die Männer. Wir müssen ja deshalb nicht mit allem übereinstimme… | |
| was der Papst im Vatikan verkündet, aber gerade der Sport bietet eine | |
| schöne Möglichkeit der Begegnung. Das finde ich erst mal gut.“ | |
| Um das tollkühne Abenteuer zu finanzieren, wurde eine Crowdfundingkampagne | |
| organisiert, die sehr erfolgreich lief. Unterstützung kam natürlich auch | |
| von den Männern von Pichanga FC. Unter anderem brachten sie auf einer | |
| Soliparty vor der Abreise durch ihren Getränkekonsum einige Euro in die | |
| Reisekasse. | |
| Ob die Männer ein bisschen neidisch auf den Länderspieltrip ihrer | |
| Flinta-Abteilung waren? „Nö“, sagt Johanna Isensee, die seit fünf Jahren | |
| zum Team gehört. „Sie hätten sich so ein Spiel vielleicht auch gewünscht, | |
| aber letztlich waren sie vor allem stolz, denn wir repräsentierten ja | |
| unseren gemeinsamen Verein.“ | |
| ## Geschichte reicht zurück in die DDR | |
| Das allerdings im Trikot des KSV Johannisthal, der das alles organisiert | |
| hatte. Der tiefere Grund dafür liegt in der Geschichte des Vereins. Er | |
| wurde vor 43 Jahren in Ostberlin von zwei Jugendfreunden aus der Taufe | |
| gehoben. Elmar Werner, ein evangelischer Pfarrer, und sein katholischer | |
| Freund Joachim Döring hatten 1980 die Idee zur Gründung eines kirchlichen | |
| Sportvereins und ihn unter den kritischen Augen der DDR-Staatssicherheit | |
| mit allerlei Undergroundaktionen am Leben gehalten. | |
| Unter anderem veranstalteten sie Spiele gegen Mannschaften westlicher | |
| Botschaften in der DDR und sogar einmal ein illegales Spiel gegen eine | |
| Fußballtruppe aus Westberlin. Ansonsten kickten die KSVler in der untersten | |
| Ostberliner Fußballliga. Nach der Wende erlebte der Verein zwar keinen | |
| sportlichen Höhenflug, sorgte aber für einige Aufsehen erregende Partien | |
| unter anderem gegen israelische Mannschaften in Israel. | |
| Vor einem Jahr kam Elmar Werner dann die Idee zu einer Art Spitzenspiel der | |
| Fußballökumene: KSV Johannisthal gegen eine Vatikan-Auswahl. Nach etwas | |
| längeren organisatorischen Vorbereitungen zeigte sich der vatikanische | |
| Fußballverband tatsächlich bereit, was KSV-Chef Elmar Werner bewog, gleich | |
| noch ein Frauenteam mit auf die Reise zu nehmen. Über Kontakte stieß er auf | |
| die Pichanga feminista. Was auch sportlich eine gute Idee war, weil es dank | |
| des Sieges der Frauen am Ende insgesamt ein Unentschieden im | |
| Fußballvergleich Vatikan-Berlin gab. | |
| Die KSV-Männermannschaft verlor nämlich gegen die Vatikan-Auswahl, in der | |
| Spieler aus verschiedenen Einrichtungen wie dem vatikanischen | |
| Kinderhospital oder der Schweizer Garde mitwirkten. Beim 1:7 wirkte auch | |
| eine Frau mit, die dadurch Teil beider Berliner Mannschaften war. Franka | |
| Trenz, eine 26-jährige Fußballerin aus Bonn, war einem Mitmach-Aufruf von | |
| Elmar Werner im Kölner Domradio gefolgt und hatte sich spontan den | |
| Berlinern angeschlossen. Sie sei halt gern in Gruppen unterwegs und immer | |
| offen, neue Leute kennenzulernen. | |
| Den Teamkolleginnen in spe von Pichanga hatte sie sich bei einem | |
| Zoom-Meeting vorgestellt. Inzwischen ist sie so integriert, dass sie für | |
| die Zukunft gleich mal einen Berlinbesuch mit ihrer Bonner Frauenmannschaft | |
| plant. Gut möglich, dass das bereits im August beim traditionellen | |
| „Mauerfall-Cup“-Turnier des KSV passiert. | |
| Am liebsten würde der in Oberspree ansässige Verein das Frauenteam Pichanga | |
| bei sich eingliedern, aber das Angebot lehnten die befreundeten | |
| Fußballerinnen letztlich ab. Viele von ihnen leben zu weit weg von | |
| Schöneweide, vor allem aber haben sie eine gewisse Heimatverbundenheit mit | |
| Neukölln entwickelt. „Hier ist unser Team entstanden und gewachsen, deshalb | |
| gehören wir hierher“, sagt Camila Vargas. Das Zusammengehörigkeitsgefühl | |
| spielt nun mal eine große Rolle für das Team, wie auch die Argentinierin | |
| Florencia Gabas und ihre chilenische Freundin und Mitspielerin Daphnne | |
| Cuevas bestätigen. „Wir sind ein schön buntes Team mit diversen | |
| Nationalitäten und Sprachen und immer beautiful Chaos. Es ist wie eine | |
| Pichanga Family.“ | |
| 19 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Racing_Club_de_Avellaneda | |
| [2] https://www.sv-tasmania-berlin.de/ | |
| [3] https://www.hurturkel.com/der-verein | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Leue | |
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