# taz.de -- TÜV für Künstliche Intelligenz: Die Neuen im Newsroom | |
> Gegen die Angst vor der künstlichen Intelligenz hilft nur | |
> Medienkompetenz. Auch der Journalismus muss seine Grundsätze mal wieder | |
> updaten. | |
Bild: Neue*r Kolleg*in: Mensch oder Maschine? KI-generiertes Bild | |
Auch wenn die [1][Berichte über Massenpaniken stark übertrieben] waren: Als | |
der „Krieg der Welten“ 1938 im US-Radio ausgestrahlt worden ist, haben es | |
einige Zuhörer*innen mit der Angst zu tun bekommen. | |
Waren wirklich Außerirdische, wie im Hörspiel dargestellt, auf der Erde | |
gelandet und hatten die Macht an sich gerissen? Nein. Doch auch Jahre nach | |
der Ausstrahlung des als nachrichtliche Radiosendung getarnten Hörspiels in | |
Ecuador 1949 und in Deutschland 1977 glaubten manche Menschen daran, dass | |
es doch wahr sein könnte. Beim WDR riefen mehrere besorgte Hörer*innen | |
an, obwohl der Sender mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass es sich um | |
eine fiktive Geschichte handelt. Das hatten sie von Ecuador gelernt, denn | |
dort kam es – als den Menschen klar geworden war, dass das Radio sie für | |
dumm verkauft hatte und alles nur erfunden war – zu wütenden Aufständen. | |
[2][Das Gebäude, in dem der Radiosender untergebracht war, wurde | |
angezündet. Sechs Menschen starben.] Niemand wird gerne von „Nachrichten“ | |
belogen. | |
Der „Krieg der Welten“ und der aktuell diskutierte Einsatz von sogenannter | |
künstlicher Intelligenz (KI) im Medienbetrieb haben ein paar | |
Gemeinsamkeiten: Beide durchbrechen Mauern, die man für sicher gehalten | |
hatte. Und beide verlangen, dass wir unsere Medienkompetenz erweitern. | |
## Mockumentarys und Vlogs | |
Damals war es eine Mauer, die die fiktive Welt eines Romans von der realen | |
Welt der Nachrichten trennte. Inzwischen sind wir daran gewöhnt, dass | |
journalistische Formen auch für erfundene Geschichten genutzt werden | |
können, etwa in Mockumentarys. Ebenso neue Formen wie etwa Vlogs, die | |
ständig zwischen Realität und Fiktion, Abbildung und Darstellung | |
balancieren. | |
Heute ist die bröckelnde Mauer eine zwischen Mensch und Maschine. | |
Mauerbrüche können gefährlich sein, aber auch bereichernd. Die Menschen, | |
adaptive Wesen, die wir sind, gewöhnen sich an neue Situationen. Wir gehen | |
mit ihnen um, nutzen sie für uns – auch die Medien. Mit der | |
Veröffentlichung diverser, immer besser funktionierender KIs in Bild-, Ton- | |
und Textproduktion wächst die Angst: „Wir können Fakes nicht mehr | |
erkennen“, hieß es, als ein Foto vom Papst in weißer Daunenjacke | |
auftauchte. | |
[3][Als das US-Online-Medium Cnet im Herbst 2022 KI-generierte, vor Fehlern | |
strotzende Texte veröffentlichte], [4][als im April 2023 Die Aktuelle ein | |
KI-generiertes, frei erfundenes Interview mit Michael Schumacher druckte], | |
fragten einige warnend: Können wir Medien noch vertrauen, wenn sie in | |
diesem Stil Maschinen einsetzen? | |
Diese Warnungen sind wichtig, damit wir uns individuell auf die möglichen | |
Gefahren einstellen, uns mit ihnen auseinandersetzen und auch unsere | |
Gemeinschaften in dieser Hinsicht stärken. Wie Höhlenmenschen sitzen wir | |
bei Nacht an unseren Feuern und raunen uns Gruselgeschichten über die nicht | |
mehr erkennbare KI zu, damit wir wachsam bleiben. Diese Wachsamkeit ist ein | |
wichtiger Baustein für unsere Medienkompetenz. Sie hilft uns, bewusst mit | |
Fake News, Verschwörungserzählungen und Propaganda umzugehen (auch wenn wir | |
immer wieder an unsere und anderer Menschen Grenzen stoßen). Wir werden uns | |
also auch daran gewöhnen, dass Medien mithilfe von KI erstellt werden. | |
Medienkompetenz hat viele Komponenten. Da wäre zum einen: nicht an der | |
immensen Flut an Nachrichten und Informationen verzweifeln, die durch den | |
Einsatz von KI noch weiter steigen wird. Was ist wichtig (für mich)? Was | |
kann ich ignorieren? Gerade hier kann KI helfen. Newsaggregatoren wie das | |
von Springer entwickelte „Upday“, die Beiträge aus unterschiedlichen | |
Nachrichtenmedien bündeln und Menschen direkt auf ihre Smartphones oder | |
ihren Browser senden, arbeiten bereits mit KI. Bei „Upday“ ist [5][eine KI | |
damit beschäftigt, die Inhalte der Nachrichten zu analysieren]. Und dann | |
werden sie entsprechend der Interessen, die die Nutzer*innen angegeben | |
haben, ausgespielt. Niemand muss Schalke-News lesen, wenn er*sie doch | |
eigentlich das Feuilleton liebt. | |
Um das aber nutzen zu können, muss ein grundlegendes Verständnis über die | |
Mechanismen vorhanden sein. | |
Diese „Informationstechnische Kompetenz“, wie Kommunikationswissenschaftler | |
und Mathematiker Friedrich Krotz sie schon in den 1990er Jahren nannte, | |
bedeutet heute nicht nur: „Passt auf eure Daten auf!“ Sie bedeutet auch: | |
„Verstehe, warum man dir manche Nachrichten NICHT zeigt. Und denk darüber | |
nach, ob du dadurch nicht vielleicht doch nur einseitig informiert bist.“ | |
Diese Kompetenz erfordert auch, dass wir einen Ausweg erhalten, Filter | |
zurücksetzen können. Wir müssen sehen und verstehen, wie wir den Stecker | |
ziehen und uns aus unseren eigenen Rabbit Holes ziehen können. Das | |
erfordert, dass Unternehmen offen damit umgehen und die Lösungen dafür | |
nicht verstecken. Und: dass wir selbst nach ihnen suchen. | |
## Nachricht oder Kommentar? | |
Wenn diese beiden Kompetenzen bestehen, kommen wir zur nächsten, und sind | |
wir ehrlich: auch hier hapert es auf beiden Seiten. Es geht um das | |
Erkennen, ob ein Beitrag eine Nachricht oder ein Kommentar ist. Wütende | |
Leser*innen beschweren sich über mangelnde Objektivität im Kommentar. | |
Und oft genug ist das Wort „Kommentar“ über einem Beitrag verdammt klein | |
und übersehbar. Damit wären wir beim momentan relevantesten Punkt in Sachen | |
Medienkompetenz. | |
Wir müssen als Nutzer*innen einschätzen können, ob eine Nachricht | |
Qualität hat, ob sie wichtig ist und auch richtig und welche Konsequenz sie | |
hat. Dazu gehört, zu erkennen, ob sie von oder mit Hilfe einer KI verfasst | |
wurde. Denn auch das ist eine Qualität – ganz wertungsfrei. Es bedeutet | |
schlicht, dass hinter dieser Information nicht nur ein Mensch steckt. | |
Sondern dass ein Mensch einer KI aufgetragen hat. Zum Beispiel die Aufgabe, | |
einen Absatz über Gesetzgebungsverfahren zu schreiben. Im Idealfall hat er | |
auch noch eine Quelle angegeben, die die KI einfach auswerten muss. Der | |
Mensch muss am Ende dann noch einen Kontrollgang machen. Diese Schritte zu | |
erkennen, ohne eine Kenntlichmachung: unmöglich angesichts dessen, welche | |
Fortschritte generative KI in den letzten Monaten gemacht hat in Bild-, | |
Ton- und Texterstellung. | |
Besonders beim Erstellen von datengetriebenen Beiträgen, wie einfachen | |
Formen von Spiel- oder Börsenberichten, bietet sich KI an. Man könnte zwar | |
einfach auch Tabellen veröffentlichen. Die KI aber kann aus den Daten flugs | |
einen Text machen, der sich in Aufbau und Duktus immer sehr ähnelt. So wie | |
stinknormale Tabellen auch. | |
KI wird inzwischen allerdings auch auf ganz anderen Gebieten eingesetzt. Im | |
Mai 2023 veröffentlichte die Zeitschrift Lisa Kochen & Backen eine Ausgabe | |
mit beinahe hundert von einer KI erstellten Rezepten ohne einen Hinweis | |
darauf, dass eine KI genutzt wurde. Auch „Ippen Digital“ lässt KI beim | |
Schreiben helfen, erklärt aber unter den Texten, sie seien „mithilfe | |
maschineller Unterstützung erstellt und von der Redaktion geprüft“ worden. | |
Aber um welche Abschnitte geht es genau? Wie viel davon ist von Menschen | |
geschrieben, wie viel von einer Maschine? Wäre es nicht besser, die | |
entsprechenden Absätze genau zu markieren, einzufärben, mit Wasserzeichen | |
zu versehen? | |
[6][Der Deutsche Journalistenverband DJV hat ein Positionspapier | |
verabschiedet], in dem es heißt: „Die Kennzeichnung muss in unmittelbarer | |
Nähe zum Inhalt erfolgen und hinsichtlich Größe und Gestaltung klar | |
erkennbar sein.“ Das ist wichtig, nicht nur, um das Vertrauen der | |
Leser*innen zu behalten oder auch mal: zu gewinnen. Es geht auch um die | |
Grundsätze von Journalismus: Wahrheit und Transparenz. | |
Die Markierung alleine kann deswegen nicht ausreichen. Es bräuchte eine | |
zusätzliche Erklärung, wie die KI funktioniert, wie sie trainiert wurde, | |
welche ethischen Maßstäbe die Redaktion an ihre KI ansetzt, wie das | |
KI-Erschaffene danach menschlich kontrolliert wird. Denn zu Journalismus | |
gehört es, die Welt zu erklären, möglichst verständlich, auch die eigene. | |
## Wir brauchen einen KI-TÜV | |
Die Gesellschaft darf sich aber nicht darauf verlassen. Selbst ohne den | |
Faktor KI kommt es immer wieder zu gezielten Falschmeldungen und | |
Klickbaiting in Medien, zu Abhörskandalen und Verletzung von | |
Persönlichkeitsrechten. Wir brauchen, so schwer die Forderung fallen mag, | |
gesetzliche Regelungen. | |
Und eine Art TÜV, der nicht Autos prüft, sondern in regelmäßigen Abständen | |
die Technik und die Ethik hinter jeder einzelnen von Medien genutzten KI. | |
Auch der Presserat sollte aktiv werden und KI in den Pressekodex aufnehmen. | |
[7][Das wurde zwar Anfang 2022 schon diskutiert, aber man konnte keine | |
gemeinsame Linie finden]. | |
Besonders problematisch ist der Einsatz von KI-generierten Bildern, wie | |
etwa auch eines für diesen Artikel genutzt wird. Bilder haben eine andere | |
Macht als Texte – selbst für Menschen, die über viel Medienkompetenz | |
verfügen. Das Bild spricht zu uns, ist im Idealfall sofort verständlich und | |
geht dabei über reinen Inhalt hinaus, weil es eine Szene und damit | |
Emotionen transportiert, die wir im Regelfall ohne große Reflexion | |
begreifen. | |
Lesen allerdings erfordert den Beschluss, zu lesen, erfordert Energie und | |
kognitive, bewusste Leistung. Das Nachdenken über Bilder ist vielen von uns | |
aber nicht so beigebracht worden, wie das Nachdenken über Texte. Im | |
Deutschunterricht analysieren Schüler*innen zig Texte, hinterfragen | |
Erzählperspektive, Motivationen, Lügen. Die Bildanalyse kommt viel seltener | |
im Unterricht vor. | |
Generierte Bilder zu nutzen, ohne dies klar als KI-generiert auszuweisen, | |
etwa durch Wasserzeichen, hat ganz andere Auswirkungen als ein schlecht | |
kenntlich gemachter KI-Text. Bilder emotionalisieren augenblicklich und | |
sind schwerer zu hinterfragen. Ein Bild muss ich nicht erst anklicken, um | |
es sehen zu können, einen Text schon. Manche Medien wie etwa Kuwait News | |
arbeiten schon jetzt mit Avataren als Nachrichtensprecher. Die sehen zwar | |
menschlich aus, sind es aber nicht. | |
Erst wenn Medienhäuser einen vernünftigen Umgang mit KI gefunden haben, | |
können auch alle anderen einen vernünftigen Umgang mit eben diesen Medien | |
finden. Und das wäre überaus wichtig und richtig. | |
Denn neben all den Ängsten und Sorgen wird oft vergessen, wie stark KI | |
helfen kann: Beim Verfassen von Bildunterschriften, bei leichterem Schnitt, | |
bei der Auswertung von großen Datenmengen für Investigativrecherchen und | |
bei stupiden Arbeiten, wie der Erstellung eines Fernsehprogramms. Damit | |
Menschen ihre Energie, Zeit, Kreativität und emotionale Intelligenz endlich | |
in andere Medienbereiche stecken können. | |
8 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://slate.com/culture/2013/10/orson-welles-war-of-the-worlds-panic-myth… | |
[2] https://www.abendblatt.de/archive/1949/pdf/19490214.pdf/ASV_HAB_19490214_HA… | |
[3] https://t3n.de/news/cnet-ki-artikel-journalismus-texte-1526724/ | |
[4] https://uebermedien.de/83353/erfundenes-interview-mit-michael-schumacher-zu… | |
[5] https://www.mdr.de/medien360g/medienwissen/ki-ein-weites-feld-100.html | |
[6] https://www.djv.de/fileadmin/user_upload/INFOS/Themen/Medienpolitik/DJV-Pos… | |
[7] https://www.presserat.de/jahresberichte-statistiken.html?file=files/presser… | |
## AUTOREN | |
Johannes Drosdowski | |
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