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# taz.de -- Versicherer über Angriffe auf Feuerwehr: „Und dann ticken die au…
> Das Bild von Angriffen auf Einsatzkräfte ist verzerrt. Das Problem sind
> vor allem Autofahrer, sagt Thomas Wittschurky von der
> Feuerwehr-Unfallkasse.
Bild: Tumultartige Szenen: drei Männer behindern einen Feuerwehreinsatz in Bre…
taz: Herr Wittschurky, Sie haben [1][zum zweiten Mal Feuerwehrleute danach
befragt], welchen Angriffen sie ausgesetzt sind. Erstaunlicherweise gibt
das ein etwas anderes Bild, als wir alle nach den Silvesterkrawallen im
Kopf gehabt haben, stimmt das?
Thomas Wittschurky: Jede dritte aktive Feuerwehrkraft hat angegeben, in den
letzten zwei Jahren Gewalt erfahren zu haben. Daran erkennt man schon: Das
ist kein Feiertagsphänomen, sondern ein massives Alltagsproblem. Außerdem
handelt es sich überwiegend nicht um Taten, die aus einer Gruppe heraus
begangen wurden, sondern um Einzeltäter.
Mich hat auch gewundert, dass Alkoholeinfluss dabei offensichtlich gar
nicht so eine Rolle spielt.
Das haben wir anfangs auch anders erwartet. Aber das hat sich schon in
unserer ersten Befragung im Jahr 2020 herauskristallisiert. In nur 15
Prozent der Fälle gaben die Einsatzkräfte an, dass der Täter oder die
Täterin erkennbar alkoholisiert war. Auch in den Beschreibungen der
Ereignisse wird deutlich: Wir haben es da eben nicht mit marodierenden
Gangs zu tun, die sich einen Spaß daraus machen, Einsatzkräfte mit Böllern
zu bewerfen – [2][auch wenn es das gab.] Aber die große Masse sind Menschen
wie Sie und ich, die offenbar in bestimmten Situationen die Contenance
verlieren.
Können Sie mal beschreiben, was das für Situationen sind?
Sehr häufig wird uns geschildert, dass sich solche Erlebnisse im
Zusammenhang mit Absperrungen, im Straßenverkehr, ergeben. Es gibt
Menschen, die einfach nicht einsehen, wenn sie jetzt nicht wie geplant
weiterkommen oder vielleicht sogar ihre Grundstückszufahrt blockiert ist.
Und dann ticken die aus und beschimpfen Einsatzkräfte, die gerade nichts
anderes tun, als dort dringend nötige Hilfe zu leisten.
Deshalb haben Sie die Frage danach, ob Feuerwehrleuten schon einmal mit
Anfahren gedroht wurde, in die aktuelle Befragung aufgenommen?
In der Tat, in unserer ersten Untersuchung 2020 haben wir nicht danach
gefragt, weil wir gar nicht auf die Idee gekommen sind, dass das eine
signifikante Problematik sein könnte. Aber dann tauchte es in den
Schilderungen so oft auf, dass wir das aufgenommen haben. In der aktuellen
Befragung haben über 30 Prozent der Befragten gesagt, dass ihnen schon
einmal angedroht wurde, sie anzufahren. Und sechs Prozent, dass sie
tatsächlich angefahren wurden – also vielleicht nicht mit Karacho, aber
schon spürbar. Wir kennen auch Versicherungsfälle, wo den Leuten über den
Fuß gefahren wurde.
Als Unfallkasse sind Sie ja eigentlich nur zuständig, wenn es tatsächlich
zu Verletzungen kommt. Warum befassen Sie sich nun auch mit Drohungen und
Beleidigungen?
Grundsätzlich macht das ja etwas mit den Einsatzkräften – und zwar nichts
Gutes. Die werden dadurch verunsichert, gestresst, unkonzentriert – die
Unfallgefahren steigen. Außerdem rufen solche psychischen Belastungen auch
langfristig Schäden hervor. Deshalb sehen wir das als Teil unseres
Präventionsauftrages. Und wir haben sehr bewusst einen sehr weit gesteckten
Gewaltbegriff gewählt. Der orientiert sich an dem, was [3][die
International Labor Organisation als Gewalt definiert] – das ist ein
anerkannter Standard, der bei der Bewertung von Arbeitsplätzen Anwendung
findet, wenn es um Mobbing und Belästigungen geht.
Wie repräsentativ ist Ihre Umfrage?
Wir haben das wissenschaftlich begleiten lassen. Die Stichprobe ist sehr
groß. Insgesamt haben wir – über beide Umfragen hinweg – fast 4.000 Aktive
der Freiwilligen Feuerwehren in Niedersachsen befragt. Und die
Altersgruppen- und Geschlechterverteilung ist dicht an den Verhältnissen,
die wir sonst auch in der Feuerwehr haben.
Erstaunlicherweise haben Sie dabei ja auch nur ein geringes
Stadt-Land-Gefälle festgestellt.
Das stimmt. In der Pilotbefragung, die wir in der Region Hannover
durchgeführt haben, waren die Feuerwehrleute zwar noch ein bisschen stärker
betroffen. Da hat jeder zweite von Gewalterfahrungen berichtet. Aber in der
großen Befragung haben wir nach der Größe des Ortes gefragt, an dem das
passiert ist – also, ob das in einem Dorf, einem Mittelzentrum oder in der
Stadt war. Und da ließ sich kein statistisch signifikanter Unterschied
feststellen. Was auch dafür spricht, dass es eben diese Alltagssituationen
sind, die eskalieren, nicht unbedingt die Brennpunkte.
Was bedeutet das denn in Ihren Augen für Präventionsstrategien? Müsste es
da nicht einen Unterschied machen, ob man es mit einem Angriff auf
staatliche Autoritäten zu tun hat oder mit Egozentrikern mit kurzer
Zündschnur?
Die viel beklagte Respektlosigkeit gegenüber anderen und Autoritäten gilt
ja möglicherweise für beide Gruppen. Als Unfallkasse können wir natürlich
die politische Großwetterlage nicht beeinflussen. Wir schauen vor allem
danach, welche Präventionsansätze leiten wir daraus jetzt ab, was können
wir für die Betroffenen tun.
Und was wäre das?
Mehr als 80 Prozent haben uns gesagt, dass die Situation für sie überhaupt
nicht vorhersehbar war und sie sich unzureichend vorbereitet fühlten. Die
kommen, um zu helfen, und werden plötzlich angepöbelt und angegriffen. Für
solche Situationen gewappnet zu sein, Deeskalationsstrategien an die Hand
zu bekommen, ist ein wichtiges Anliegen. Außerdem wünschen sie sich viele
klare Verfahren und Meldeketten für solche Vorfälle. Das haben wir zum Teil
auch schon umgesetzt. Auch wenn wir mit der Strafverfolgung in diesem
Bereich alles andere als glücklich sind.
Was stimmt nicht mit der Strafverfolgung?
Das läuft oft so: Man erstattet Anzeige, sitzt dafür noch einmal zwei
Stunden auf einer Polizeiwache und bekommt nach ein paar Monaten eine
Mitteilung von der Staatsanwaltschaft, dass ein Verfahren mangels
öffentlichen Interesses nicht eingeleitet wird. Das ist unglaublich
frustrierend. Bei tätlichen Angriffen passiert das natürlich nicht, die
werden schon verfolgt, aber Beleidigungen und Drohungen eben oft nicht. Das
wird von vielen als erneuter Schlag empfunden, als mangelnder Respekt und
Wertschätzung. Wir haben es hier immerhin mit freiwilligen Feuerwehrleuten
zu tun, die machen das nicht beruflich, sondern in ihrer Freizeit.
Glauben Sie, es wird auf Verfahren verzichtet, weil die Täter schwer zu
ermitteln und die Erfolgsaussichten gering sind?
Nicht nur. In meinem Heimatort gab es so einen Fall. Da ist ein älteres
Ehepaar auf dem Supermarktparkplatz in die Schaufensterfront gefahren –
vermutlich Gas und Bremse verwechselt, der Klassiker. Die Feuerwehr hat das
abgesichert und angeordnet, dass der Wagen da nicht einfach rausgefahren
werden darf – weil unklar war, was mit der Statik des Gebäudes war und weil
Kraftstoff auslief. Da hat dieser Herr die Einsatzkräfte anderthalb Stunden
lang unflätigst beschimpft. Der Name war bekannt, es gab Zeugen, da gab es
nicht viel, was man erst hätte ermitteln müssen. Trotz Strafantrags ist
kein Verfahren eingeleitet und stattdessen auf den Privatklageweg verwiesen
worden.
Bräuchte es [4][härtere Strafen]?
Nein, die Gesetze sind da, man müsste sie nur anwenden. Es gibt dafür im
Einzelnen sicher auch juristische Gründe. Die Grenzen zu dem, was gerade
noch von der Meinungsfreiheit gedeckt wird, werden da ja mitunter weit
gesteckt. Aber aus der Sicht der betroffenen Feuerwehrleute kann man sagen:
Es wäre schon gut, wenn da vielleicht mal das ein oder andere Exempel
statuiert würde. Allein so ein Gerichtsverfahren entfaltet doch auch
abschreckende Wirkung – selbst wenn dabei am Ende keine wahnsinnig hohen
Strafen herauskommen.
26 Jun 2023
## LINKS
[1] https://www.fuk.de/praevention/keine-gewalt-gegen-einsatzkraefte
[2] /Zahlen-zu-Angriffen-in-Silvesternacht/!5909821
[3] https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---relconf/documents/me…
[4] /Als-Konsequenz-aus-Silvesterkrawallen/!5906266
## AUTOREN
Nadine Conti
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Silvester
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