# taz.de -- Osnabrücks Streit um antikoloniale Kunst: Kaufhaus in Sack und Asc… | |
> Der Ghanaische Künstler Ibrahim Mahama kleidet ein verwaistes Warenhaus | |
> in gebrauchte Transportsäcke. Manche verstört die einleuchtende Symbolik. | |
Bild: Mit grobem Garn und riesigen Nadeln: rund 60 Menschen haben mitgewirkt | |
OSNABRÜCK taz | Osnabrück ist [1][reich an Lost Places]. Besonders düster | |
fällt das am Neumarkt ins Auge, dem zentralen Platz der Stadt. Das einstige | |
Kaufhaus Wöhrl steht hier seit vielen Jahren ruinenhaft leer, ebenso das | |
siloartige Sportarena-Gebäude. Und auch der 20.000 Quadratmeter große | |
Sechs-Etagen-Klotz, in dem zuletzt „Kaufhof“ residierte, ist ein | |
Geisterhaus. | |
Aber was leer steht, kann auch Fülle erzeugen. Während der Ex-Kaufhof auf | |
seine Neugeburt als „Osnabrücker Ding“ wartet, als „Cross Community Spac… | |
vom Co-Working bis zum E-Sport, mit Mietern wie der Uni Osnabrück, wird es | |
zum Kunstwerk. | |
Der ghanaische Künstler Ibrahim Mahama, der bei der [2][Kunst-Biennale von | |
Venedig 2019] Ghanas Pavillon gestaltet hat und dessen „Parliament of | |
Ghosts“ dort dieses Jahr in der zentralen Ausstellung der | |
Architektur-Biennale gezeigt wird, verhüllt mit der Installation | |
„Transfer(s)“ die Fassaden des einstigen Warenhauses, eine Fläche von | |
insgesamt 4.000 Quadratmetern. | |
Alte, durch langen Gebrauch zerschundene Jutesäcke kommen dabei zum | |
Einsatz. Mahama bekommt sie im Austausch gegen neue von Händlern. Waren wie | |
Kakao, Bohnen und Holzkohle haben sie transportiert, von Ghana nach Europa, | |
in die USA. Hinzu kommen gewaltige Bahnen aus Baumwolle und Synthetik. Sie | |
tragen Applikationen aus westafrikanischen Batakari-Gewändern, deren | |
Innenfutter nicht selten aus recycelten Bettwäscheresten und | |
Mehlverpackungen besteht. | |
## Reminiszenz an HA Schult | |
„Transfer(s)“, seit zwei Jahren in der Planung, ist Teil des 30-jährigen | |
Jubiläums der Kunsthalle Osnabrück und zugleich Teil des [3][Programms zu | |
375 Jahren Westfälischer Friede]. Dass Mahamas Verhüllung an die 15.000 | |
Kartons erinnert, mit denen HA Schult 1998 in Osnabrück anlässlich des 350. | |
Jubiläums des Friedensschlusses von 1648 einen Speicher am Osnabrücker | |
Hafen umhüllte, darf also nicht wundern. | |
Mahama nimmt in „Transfer(s)“ nicht direkt auf 1648 Bezug. Seine Verhüllung | |
transportiert stattdessen Friedenswerte. Ihre Werkstoffe kritisieren Konsum | |
und Kapitalismus. Sie fordern dazu heraus, in einer Stadt, die sich | |
„Friedensstadt“ nennt, über die Brutalität des Kolonialismus nachzudenken, | |
zu dessen Schauplätzen auch Osnabrück zählt. | |
Ein ehemaliges Kaufhaus ist dafür ein sinnreicher Ort. „Globale | |
Zusammenhänge und deren Machtverhältnisse sichtbar zu machen, und dies auch | |
mit konkreten Orten und Fragestellungen in Osnabrück zu verbinden, ist uns | |
ein grundsätzliches Anliegen“, sagen Anna Jehle und Juliane Schickedanz der | |
taz, die Direktorinnen der Kunsthalle. | |
Dass Mahama ein Paradox inszeniert, unterstreicht dieses Ziel in | |
produktiver Verstörung. Denn er verhüllt nicht nur. Die Verhüllung könne | |
„auch etwas sichtbar machen“, sagt er. Indem eine Fassade bedeckt sei, | |
gelange „neu ins Bewusstsein, was sich unter ihr befindet“. | |
Mahama, der in Berlin lebt, hat für „Transfer(s)“ auf Partizipation | |
gesetzt. Rund 60 Einzelpersonen aller Altersgruppen und Hintergründe haben | |
laut Volunteer-Koordinatorin Bêriya Özlem Susan mitgewirkt. Sie alle haben | |
geholfen, dem Ex-Kaufhof ein demaskierendes Stoffbahnen-Patchwork auf den | |
Baukörper zu schneidern, mit grobem Garn und riesigen Nadeln. | |
Studierende und SchülerInnen haben sich beteiligt, KünstlerInnen und | |
SozialarbeiterInnen, das KuratorInnenteam der Kunsthalle. Dazu Mahama | |
selbst, neben seinen Assistenten Francis Djiwornu und Benjamin Okantey. | |
Mehrere Wochen hat das gedauert, in einem Zwei-Schichten-System. | |
„Der Austausch über die Materialien, historische Hintergründe und | |
kulturelle Besonderheiten ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit“, | |
sagt Kuratorin Bettina Klein der taz. Das Material, von Mahama weltweit für | |
künstlerische Interventionen genutzt, werde „an jedem neuen Ort weiter | |
angereichert“. Die Arbeit der Freiwilligen sei „den Stoffen | |
eingeschrieben“. | |
Aber Mahamas „Transfer(s)“ hat in Osnabrück auch zu Entzweiung geführt. | |
Wenige Tage vor der Eröffnung verhöhnte das Osnabrücker Online-Medium | |
Hasepost die Verhüllung als „alte Drecksäcke aus Afrika“. Es war nicht die | |
einzige Anfeindung. Ein kleiner Teil der Kommentare von PassantInnen sei | |
„offen feindselig“ gewesen, sagt Bettina Klein. „Emotional kalt lassen | |
einen die teils hasserfüllten Kommentare nicht, insbesondere während man am | |
Neumarkt arbeitet, der in der NS-Zeit Adolf-Hitler-Platz hieß und an dem im | |
März 1933 Flaggen der demokratischen Linken verbrannt wurden.“ | |
Zugleich solidarisierten sich Hunderte gegen diese Aggression mit Ibrahim | |
Mahama, von den Grünen bis zur SPD, von der Galerie bis zur | |
Künstlervereinigung, vom Buchladen bis zum Theater, vom Musiker bis zum | |
Bildkünstler: Mahama lädt Osnabrücks öffentlichen Raum mit | |
Erinnerungskultur auf. Dass er dadurch auch provoziert, verrät, wie | |
unbearbeitet die Verbrechen des Kolonialismus noch sind, und beweist, dass | |
seine Verhüllungsaktion ihre Bemäntelung zerstört. Und das ist gut so. | |
8 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Theater-Festival-Spieltriebe/!5871148 | |
[2] /Biennale-Venedig-2019/!5593734 | |
[3] /375-Jahrestag-des-Westfaelischen-Friedens/!5940675 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
## TAGS | |
Osnabrück | |
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus | |
Kolonialismus | |
Kunst | |
Ghana | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |