# taz.de -- Grüne Berlin: Arbeiten am Rollenwechsel | |
> Macht weg, Posten weg, Personal weg: Die Grünen-Fraktion findet sich auf | |
> ihrer Klausurtagung bei Nauen in ihre neue Position als Opposition | |
> hinein. | |
Bild: Neue Rolle: Bettina Jarasch hier auf der Landesdelegiertenkonferenz im Ju… | |
Bei dieser Partei wird oft vergessen, dass sie eigentlich an der Bewahrung | |
der Schöpfung arbeitet – die Grünen haben also durchaus ein konservatives | |
Element. Und so ist ihre Abgeordnetenhausfraktion zur Klausurtagung auch | |
wieder ins Landgut Stober gefahren, rund 15 Kilometer südlich von Nauen, wo | |
[1][auch der rot-grün-rote Senat] einmal tagte. Irgendetwas muss ja Bestand | |
haben nach all dem Verlust an Macht, Posten und Personal nach der | |
Abgeordnetenhauswahl vom Februar und dem Regierungswechsel zu Schwarz-Rot. | |
Zur Tradition der Tagung gehört auch die Joggingrunde am Sonntagmorgen. | |
Doch selbst dort macht sich die neue Situation bemerkbar: Meike Niedbal, | |
die [2][bei der Fraktionsklausur im Mai 2022] noch als Staatssekretärin | |
mitlief, ist nicht mehr dabei – Oppositionsparteien haben keine | |
Staatssekretärinnen. Ex-Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, nun | |
Fraktionschefin, kommt hingegen gut gelaunt zum Treffpunkt um acht – wobei | |
Jarasch sowieso eher selten anders zu erleben ist. Daran ändert auch der | |
viel kritisierte Radweg-Planungs- und Baustopp ihrer CDU-Nachfolgerin im | |
neuen Senat nichts. | |
Der Vorstoß von CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner ist auch immer wieder | |
Thema, als die Fraktion in den inhaltlichen Teil der Klausur startet – und | |
sei es nur kopfschüttelnd angesichts des Kommunikationsdesasters, das | |
Schreiner bislang nicht in den Griff bekommt. | |
Es geht eingangs darum, Klimaschutz und die Bereitschaft zu Veränderungen | |
breiter zu vermitteln. Mehrere Gäste beschreiben dabei, wie wichtig | |
Anknüpfungspunkte sind. Eine Ökologie-Professorin erinnert daran, dass auch | |
die Kirchen mit dem Ziel der Schöpfungsbewahrung in die gleiche Richtung | |
gehen wie die Grünen – sie erwähnt sogar Papst Franziskus, in dessen erstem | |
Rundschreiben, [3][der Enzyklika „Laudato si“], es um Umweltschutz ging. | |
## Auch Gewerkschafter zu Gast | |
Zu Gast ist zunächst ein Industriegewerkschafter, den Jarasch mit den | |
Worten einführt, man habe sich ja schon kennen gelernt, „als Grüne und | |
Gewerkschaften noch Lieblingsfeinde waren“. Als Grünen-Spitzenkandidatin | |
hatte Jarasch im Januar, noch kurz vor der Wahl, [4][ein gemeinsames Papier | |
mit der IG Metall] vorgestellt und von „Berlin-Brandenburg als Kern einer | |
Re-Industrialisierung Ostdeutschlands“ gesprochen. Und so referiert vor der | |
Grünen-Fraktion ein Mann, der laut Jarasch nicht nur Gewerkschafter, | |
sondern auch Sozialdemokrat und Dieselfahrer ist. Auch ihm ist wichtig, | |
gemeinsame Punkte zu finden – „man muss nicht immer einer Meinung sein, | |
aber man muss ordentlich miteinander umgehen“, sagt er. | |
Zu Besuch ist an diesem Morgen auch eine Frau, an der sich der | |
Rollenwechsel der Berliner Grünen besonders gut zeigt: Petra Budke, die | |
Fraktionschefin der Brandenburger Grünen. Die waren über Jahrzehnte quasi | |
die arme Verwandtschaft der so lange erfolgreicheren Hauptstadt-Grünen – | |
und liehen sich 2004 sogar den früheren Berliner Fraktionschef Wolfgang | |
Wieland als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl aus. Erfolg hatte das | |
allerdings damals zunächst nicht: Noch bis 2009 mussten die Grünen warten, | |
um nach 15 Jahren überhaupt wieder ins Potsdamer Parlament zurückzukehren, | |
geschweige denn in die Regierung. | |
Nun aber gehört Budke einem Landesverband an, der seit 2019 in einer | |
Kenia-Koalition mitregiert, während die Berliner Nachbarn seit Ende April | |
in der Opposition sind. Sie nimmt die durch den Krieg in der Ukraine so | |
plötzlich entstandene Debatte um die Schwedter PCK-Raffinerie als Beispiel | |
dafür, wie schwierig abrupte Veränderungen zu vermitteln sind. Der Pankower | |
Abgeordnete Andreas Otto knüpft daran an und erinnert an einen Tag im Jahr | |
2022 in Schwedt, „als morgens Greenpeace demonstrierte, weil denen der | |
Wandel nicht schnell genug ging, und nachmittags die Gewerkschaft, der das | |
zu schnell ging“. | |
## Mehr Abgeordnete | |
Der Blick in den Tagungssaal im Landgut Stober, einer Ansammlung von | |
aufgehübschten Backsteinbauten am idyllischen Groß Behnitzer See, zeigt | |
dabei das Besondere, ja Widersprüchliche an der neuen Rolle des Grünen. | |
Denn in dem Raum sitzen nicht weniger, sondern mehr Abgeordnete als bei | |
Tagungen zu Regierungszeiten: Im neuen Parlament hat die Fraktion [5][34 | |
statt zuvor 32 Mitglieder] und damit so viele wie nie zuvor. | |
Auch das sorgt dafür, dass nicht gerade Demut oder etwa Kleinmut herrscht | |
angesichts des verpassten klaren Wahlziels – [6][Jarasch ins Rote Rathaus | |
zu bringen]. In einem einstimmig beschlossenen Papier zur Oppositionsrolle | |
ist nichts von Fehlern im Wahlkampf zu lesen, die zu berichtigen wären. | |
Allein die Ankündigung, „noch mehr“ mit möglichst vielen Berlinern zu | |
sprechen, lässt sich als Korrektur einer teils auf die eigene Blase | |
konzentrierten Politik verstehen. Selbstbewusstsein hat die Fraktion | |
weiterhin genug. Ein zentraler Satz des Papiers lautet: „Berlin geht nur | |
grün und gerecht.“ | |
25 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Senatsklausur-auf-dem-Landgut-Stober/!5826319 | |
[2] https://twitter.com/Bettina_Jarasch/status/1525734051017109504?ref_src=twsr… | |
[3] https://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-fran… | |
[4] https://www.tagesspiegel.de/mehr-industrie-mit-mehr-staat-jarasch-stellt-st… | |
[5] https://wahlen-berlin.de/wahlen/BE2023/AFSPRAES/agh/index.html | |
[6] https://gruene.berlin/pressemitteilungen/berliner-gruene-waehlen-bettina-ja… | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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