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# taz.de -- Tarifstreit bei der Bahn: Keine Gier, sondern notwendig
> 12 Prozent mehr Lohn klingen happig, Kund:innen finden die
> Streik-Ankündigung nervig. Doch die EVG geht wegen der Inflation mit
> gutem Beispiel voran.
Bild: München Hauptbahnhof: während des EVG-Streiks im April spazieren zwei T…
Na danke. Kaum beginnen in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, die
Sommerferien, kaum packen Zehntausende die Koffer, um in diesem Jahr aber
wirklich mal klimagerecht in den Urlaub zu fahren, also mit dem Zug und
nicht dem die Autobahn zustauenden Pkw, da [1][schaltet die größte
Bahngewerkschaft EVG auf Streik]. Unbefristet soll der sein. Also nicht wie
die noch irgendwie verkraftbaren Ausstände der [2][Warnstreiks] in diesen
schon vier Monate dauernden Tarifverhandlungen. Sondern – im Wortsinne –
anhaltend.
Da ist es nur ein kleiner Trost, dass es die EVG offenbar gar nicht eilig
hat mit der Arbeitsniederlegung. Vier bis fünf Wochen will sie sich Zeit
lassen für die notwendige Urabstimmung. So richtig knallen wird es also
erst mit mehrwöchiger Verspätung. Nun ja, wir sind hier schließlich bei der
Bahn.
Das Echo auf die Blockade der EVG könnte fataler kaum sein. Dass der
Bahn-Vorstand den Gewerkschaftern [3][ein „unglaubliches“ Verhalten
vorwirf]t, weil eine Einigung in greifbarer Nähe gelegen habe, mag nicht
überraschen. Aber auch das Medienecho ist eindeutig: Von der Süddeutschen,
die der EVG Verantwortungslosigkeit und Sturheit vorwirft, bis zur Bild,
die der Gewerkschaft unterstellt, es gehe ihr nur um eine
Machtdemonstration, hauen alle auf die EVG ein.
Tatsächlich hat sie es alles andere als leicht, ihre Forderungen zu
kommunizieren. Das liegt allein schon am Arbeitgeber. Zwar dürfte die Bahn
bei ihren tatsächlichen Kund:innen einen weitaus besseren Ruf haben, als
es das weitverbreitete und immer wieder gern zitierte Bahn-Bashing vermuten
lässt. Aber sie ist eben auch nicht die Ikone der dringend notwendigen
Verkehrswende, sie ist nicht das Unternehmen, das das Land und seine
Bürger:innen Zug und Zug voranbrächte.
## Nachhaltig geschädigt durch den „Bahn-Chef“
Sie leidet bis heute unter dem unseligen Hartmut Mehdorn. Der prägte das
Staatsunternehmen mit seinem angeblich ökonomischen Sparkurs so nachhaltig,
dass nicht nur sein Name untrennbar verbunden scheint mit dem Titel
„Bahn-Chef“. Trotz mittlerweile zahlreicher Nachfolger – wie hießen die
noch gleich? – kam die Bahn nicht wieder richtig aufs Gleis. Verspätungen,
Zugausfälle, ein eingedampftes, überlastetes, weil schlecht gepflegtes
Netz. Man muss nur einmal die Posse der immer wieder scheiternden
Zugteilung in Hamm in Westfalen miterlebt haben, um zu wissen, was los ist.
Wenn aber der Service zu wünschen übrig lässt, wird das auch zum Problem
der EVG. Zwar können die Mitarbeiter:innen am Gleis noch am wenigsten
für die Missstände. Im Gegenteil. Der zunehmende Sarkasmus in den
Lautsprecheransagen rettet häufig das Vergnügen einer Bahnfahrt. Aber
dennoch: Verärgerte Kund:innen treffen ja nicht auf die Vorstände,
sondern auf die einfachen Mitarbeiter:innen. Und denen sollen sie nun satte
12 Prozent mehr gönnen? Obwohl die damit drohen, uns die Fahrt in den
Urlaub zu torpedieren?
Überhaupt diese 12 Prozent, die die EVG seit Monaten hochhält. Die klingen
so happig, dass es der Gegenseite leichtfällt, der Gewerkschaft das Label
„Gier“ anzuhängen. Dabei würde selbst eine 12-prozentige Lohnerhöhung von
der aktuellen Inflation mehr als aufgefressen, wenn der Tarifvertrag, wie
von der Bahn gewünscht, die Löhne für zwei Jahre oder mehr festschreiben
würde.
Gerade in Zeiten stark steigender Preise ist die Laufzeit eines
Tarifvertrags entscheidend. Die Bahn spekuliert offenbar auf eine anhaltend
hohe Inflation, die die höheren Lohnkosten für sie wieder ausgleichen
würde. Kein Wunder, dass die Gewerkschaft da nicht mitmachen will und auf
der Möglichkeit beharrt, nach einem Jahr neu zu verhandeln.
## Unverschämtheit von der Bahn
Auch das Angebot der Bahn, die Löhne in zwei Stufen einmal im Dezember und
dann noch mal im August 2024 pauschal um 200 Euro zu erhöhen, ist nichts
anderes als eine Unverschämtheit. Denn bei der derzeitigen Inflationsrate
von 7 Prozent schreibt das für die meisten Mitarbeiter:innen [4][einen
Reallohnverlust] fest. Das ist tatsächlich unglaublich. So etwas muss eine
Gewerkschaft ablehnen – auch wenn sie dafür in die Kritik gerät.
Zum Glück kommt die EVG erst gar nicht in Versuchung, den Bahn-Chefs die
Hand zu reichen. Denn die nicht gerade konfliktscheue kleinere
Lokführergewerkschaft GdL will im Herbst für ihre Mitglieder noch bessere
Konditionen erstreiten. Diese Konkurrenz zwischen EVG und GdL belebt das
Geschäft – zugunsten der Beschäftigten. Es ist eine beispielhafte
Erfolgsgeschichte, die man sich auch für andere Branchen wünschen würde.
Das bedeutet dann zwar weitere Streiks. Aber gerade in Zeiten von
Inflation, die den Arbeitenden das Geld aus der Tasche zieht, kann man dazu
nur eins sagen: Ja, danke.
25 Jun 2023
## LINKS
[1] /Urabstimmung-der-EVG-ueber-Streik/!5931106
[2] /Bahnstreik-in-Deutschland/!5929450
[3] https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/Ung…
[4] /Zahlen-des-Statistischen-Bundesamtes/!5927716
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Deutsche Bahn
EVG
Tarifkonflikt
Mobilität
Schwerpunkt Bahnstreik
EVG
Bahn
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