# taz.de -- „Pension SchöllerInn“ in München: „Dein wahres Selbst ist b… | |
> Die neue Selbstoptimierungs-Normalität ist nah an dem, was wir früher | |
> Wahnsinn nannten. Das zeigt „Pension SchöllerInn“ am Münchner | |
> Volkstheater. | |
Bild: Schräg, laut und grell rules. Das geht gut in dem queer besetzten Cast d… | |
Krank oder gesund: Das Begriffspaar benutzen wir noch. Verrückt oder | |
normal: eher nicht! Dass die Grenzen zwischen diesen vermeintlichen | |
Gegensätzen fließend sind, darum geht es in „Pension Schöller“. In der 1… | |
uraufgeführten Posse von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby will der | |
Großgrundbesitzer Philipp Klapproth gerne mal echte Geisteskranke sehen. | |
Sein Neffe Alfred, der auf Philipps Geld spekuliert, zeigt ihm aus Mangel | |
an Alternativen die Gäste der Pension Schöller. Und der ganz normale | |
Wahnsinn dieser schrägen Gesellschaft überzeugt und amüsiert den Mann aus | |
Kyritz an der Knatter – bis die vorgeblichen Irren vor der Tür seines | |
Landguts stehen. | |
Ein Schenkelklopfer ist dieses von Boulevard- und Laienbühnen rauf und | |
runter gespielte Stück. Dass es sich auch gut anspitzen lässt, hat Frank | |
Castorf gezeigt, als er es 1994 vor Hakenkreuzfahnen spielen ließ und mit | |
Heiner Müllers Kriegs-Parabel „Die Schlacht“ kreuzte, bis der deutsche | |
Kartoffelsalat nur so spritzte. Denn in den Marotten der abgehalfterten | |
Majore, verhinderten Schauspieler und sonstigen Exzentriker*innen | |
steckt auch die spießbürgerliche Saat, aus der der Faschismus wuchs. | |
## Selfcarebeflissene Kombucha-Junkies | |
Was noch darin wurzeln könnte, haben nun [1][Nele Stuhler] und Jan | |
Koslowski am Münchner Volkstheater erkundet. In ihrer pseudobritisch | |
gegenderten, neopossierlichen „Pension SchöllerInn!“ gehen | |
selfcarebeflissene Kombucha-Junkies und Boreout-Opfer aus und ein. Wer 1890 | |
seine Hecken trimmte, doktert 2023 an seiner Selbstoptimierung herum. | |
Und noch ein Dreh ist neu: Der reiche Onkel Philipp hält sich selbst für | |
verrückt und will endlich normale Menschen sehen. Neffe Alfred, der sich | |
auf Philipps Kosten einen lauen Lenz macht, hat ihm vorgeflunkert, dass er | |
ein Resilienz-Retreat betreibt. Damit der Geldfluss nicht versiegt, müssen | |
die Gäste der Pension ihm nun eines vorspielen. Ohnehin erledigen die hier | |
die ganze Arbeit, weil die Pensionsbetreiber*innen es ausnutzen, | |
dass die Menschen des 21. Jahrhunderts allesamt (Self-)Workaholics sind. | |
## Die Litanei der täglichen To-dos wird immer absurder | |
Durch diesen Kniff könnte der alte Stoff zu aktuellem Zunder werden. Es | |
gibt auch einige Textpassagen, wo das gelingt: „Trink jeden Tag ein Glas | |
warmes Wasser am Morgen. Und mach ein bisschen Yoga. Nicht lang. Hauptsache | |
jeden Morgen. Das kann Wunder wirken … Lies drei bis fünf Zeitungen. Und | |
creme dich ein … Mindestens mit Lichtschutzfaktor 30.“ Das sagt Major | |
Gröber, gespielt von Jan Meeno Jürgens, der den Onkel mit riesenhaften | |
Akupunkturnadeln spickt, während seine Litanei der täglichen To-dos immer | |
absurder wird: „Beobachte Wolken. Rieche an etwas. Albere rum. Lache. Mache | |
etwas kaputt. Repariere etwas. Lösche einen negativen Kontakt.“ | |
Derweil filmt die Kamera Anne Steins Gesicht, die als Onkel unter einer | |
riesigen Turmfrisur ihr feines Mienenspiel bewahrt, obwohl das Autor*innen- | |
und Regieteam alle von Beginn an auf maximale Expressivität und Crazyness | |
eingeschworen hat. Zu steigern gibt es da nichts mehr, und Fallhöhe ist | |
auch nicht. Das sind gleich zwei Probleme dieses Abends, der nach einer | |
witzigen chorischen Intro, die das Theater mit dem Sanatorium verschränkend | |
vor großen Emotionen warnt und die alles mit allem kombinierenden Kostüme | |
von Marilena Büld zur Bewunderung freigibt, nicht mehr zur Ruhe kommt. | |
## „Besteuert mich!“ | |
Schräg, laut und grell rules, was in dem queer besetzten Cast im Einzelnen | |
sogar gut gehen kann: Lorenz Hochhuth als Schriftstellerin Josephine, die | |
sich eine neue Biografie klaut, weil in ihrer alten alles zum Heulen glatt | |
lief, wäre problemlos für eine Soloshow gut. Und Steffen Link treibt | |
Friederiken Schöller bald in die comichafte Überzeichnung, bald in Richtung | |
eines fragilen Tim-Fischer-Lookalikes. | |
Textlich dagegen huldigen Stuhler und Koslowski dem Motto „Mehr ist mehr. | |
Zwischen einigen guten Ideen wird viel zerredet. Der Witz dreht bald so | |
hohl, dass man sich ebenso „durchgenudelt“ fühlt wie der gute Onkel | |
Philipp, dem die vermeintliche Normalität dieser Selbstoptimierer und | |
Selbsterkenntnisverweigerer (Die Schöllerinn: „Dein wahres Selbst ist | |
boring!“) zu anstrengend ist. Da ist er lieber wieder so verrückt wie | |
bisher und macht mit seiner Mission Milliardärsbesteuerung weiter: | |
„Besteuert mich!“ So viel Zeitgeist – von der Millionenerbin Marlene | |
Engelhorn über Tiny-House- und Green-Smoothies-Purismus – ist in das Stück | |
hineingepresst worden. | |
Gegen Ende wird es mit Tanzeinlagen von „Little Snowflake“ Alfred (Anton | |
Nürnberg) und floralen Gemeinschaftschoreos in die Länge gezogen. Wenig | |
kommt unter dem Strich dabei heraus. Nur ein paar flapsige bis exaltierte | |
Variationen von Adornos Diktum von der Unmöglichkeit des richtigen Lebens | |
im falschen und die auch nicht neue Erkenntnis, dass das dauernde Kreisen | |
um sich selbst eine besonders perfide Art der Weltflucht ist. Oder, wie es | |
nun im Volkstheater heißt: „What kind of tea would be hard to swallow? | |
Reali-tea!“ | |
15 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sabine Leucht | |
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