# taz.de -- Zuwanderung in Frankfurt Oder: Mehr Einwohner, aber nicht die?! | |
> Frankfurt Oder wirbt für Zuzug, tut sich mit nicht-deutscher Migration | |
> jedoch schwer. Unsere Kolumnistin fragt sich: "Können oder wollen wir | |
> nicht?" | |
Bild: Eigentlich viel Platz in Frankfurt Oder. Willkommen sind dennoch nicht al… | |
Auf der Oder-Insel Ziegenwerder drängelt sich Holunderblütenduft in die | |
Spaziergängernasen. Der heimische Fasan stolziert mit in der Sonne | |
glänzenden Federn über den Weg. Dichtes Grün schirmt fast ab vom Dröhnen | |
der Oder-Bauarbeiten am polnischen Ufer. | |
Was bewegt die Grenzregion zu dieser idyllischen Jahreszeit? Irgendwie ist | |
es immer die Oder − unser Stadtsymbol, ohne das hier nichts erzählt werden | |
kann. Die Oder − der Zankapfel mit Polen. Und die Oderquerung − das | |
ersehnte Ziel für Menschen, die aus dem von den Taliban beherrschten | |
Afghanistan oder kriegsversehrten Syrien in ein besseres Leben flüchten. | |
Die Bundespolizei meldet täglich von der deutsch-polnischen Stadtbrücke: | |
„Schleusung aufgedeckt“, „unerlaubte Einreisen festgestellt“. So kommen | |
regelmäßig 20 bis 100 Menschen in die Zentrale Erstaufnahmestelle in | |
Eisenhüttenstadt sowie am Rand von Frankfurt. | |
Ich treffe einen jungen Mann aus Afghanistan, der vor einigen Wochen ankam. | |
Seine erste Frage an mich: „Wenn mir eine deutsche Person nicht antwortet, | |
wenn ich auf Englisch etwas frage, heißt das, dass sie kein Englisch kann | |
oder dass sie nicht mit mir reden will?“ Ich muss eingestehen: „Beides ist | |
gut möglich.“ Es ging um eine Szene in einem Supermarkt, da er | |
Mitarbeitende fragte, wo er bestimmt Produkte finden könne. „Die Frau tat, | |
als ob sie mich nicht hörte.“ Leider alles klar. | |
## Der falsche Zuzug? | |
Seitdem Frankfurt (Oder) wie andere ostdeutsche Städte nach der Wende | |
massiv an Bevölkerung − hier etwa ein Drittel − verloren hat, wirbt und | |
kämpft die Stadt um Zuzug: mit Werbekampagnen voller schöner Bilder von der | |
europäischen Doppelstadt an Berliner Fernbahnhöfen, mit Begrüßungsgeld und | |
dem Bau neuer Wohnungen für vielleicht nach Frankfurt ziehende | |
Tesla-Mitarbeitende. Nun kommen sogar noch mehr Menschen − aber die Freude | |
darüber ist begrenzt. | |
Die zu DDR-Zeiten für mehr als 100.000 Menschen ausgebaute Stadt will die | |
mit aktuell 58.000 Personen noch immer oft leer wirkenden Straßen, Parks | |
und Geschäfte füllen. Und das gelingt: gut 3.000 Zuzüge im vergangenen | |
Jahr. Viele Frankfurter:innen haben die polnische Staatsbürgerschaft, | |
deutlich weniger einen afghanischen oder syrischen Pass. Geflüchtete seit | |
2015 wurden weitestgehend dezentral untergebracht. Dazu kamen 2022 Hunderte | |
Geflüchtete aus der Ukraine. | |
Mitte 2023 hat Frankfurt (Oder) nun den höchsten Ausländeranteil in | |
Brandenburg − für 2023 rechnet der Linke-Oberbürgermeister René Wilke mit | |
16 Prozent. Und er beginnt sich öffentlich zu sorgen, ob seine | |
Stadtgesellschaft das noch aushalte: „Irgendwann knallt es“, sagte er | |
jüngst der Regionalzeitung. | |
Können oder wollen wir nicht? | |
Bedenken sind berechtigt, auch angesichts des krassen Personalmangels im | |
Bereich medizinischer Versorgung, Bildung und Sozialarbeit. Aber neben der | |
Forderung nach strengerem Rechtsstaat könnte locker auch die nach | |
schnellerer Arbeitserlaubnis stehen. | |
## In aller Interesse | |
Was soll die Region unter Arbeitskräftemangel leiden, während Geflüchtete | |
gefrustet in Deutschkursen sitzen, weil sie erst ab Abitur-Sprachniveau | |
arbeiten dürfen? Das ärgert schon jetzt Bekannte aus der Ukraine wie aus | |
Afghanistan. Wo sind die flexiblen Betriebe, die halbtags anstellen, damit | |
Mitarbeitende ausbildungs- oder berufsbegleitend ihr Deutsch vollenden | |
können? Oder die teils auf Englisch arbeiten? Wäre doch in aller Interesse. | |
Wieder die Frage: Können oder wollen wir nicht? | |
Also, unser 80-jähriger Gartennachbar kaufte jüngst einen Fernseher, | |
gebraucht über Ebay. Kurz war er skeptisch ob des fremd klingenden Namens | |
des Verkäufers. Kaufte dennoch, lernte den Anbieter aus Nordafrika kennen. | |
So gut, dass der Gärtner den neuen Bekannten zum Kirschenpflücken einlädt. | |
Gleich nach der Holunderblütensaison. | |
13 Jun 2023 | |
## AUTOREN | |
Peggy Lohse | |
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