# taz.de -- Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral: Mehr auf die soziale Frage… | |
> Umfragen ergeben: Der Klima-Volksentscheid scheiterte wohl nicht nur am | |
> Quorum. Teilnehmer eines Podiums fordern breitere Bündnisse für die | |
> Zukunft. | |
Bild: Lange Gesichter am 26. März – wie lässt sich das beim nächsten Mal v… | |
BERLIN taz | Hätten sich am 26. März mehr Menschen an der [1][Abstimmung zu | |
„Berlin 2030 klimaneutral“] beteiligt, wäre der Volksentscheid | |
möglicherweise nicht am verfehlten Quorum, sondern an einer Mehrheit der | |
Nein-Stimmen gescheitert. Das legen die Ergebnisse von zwei repräsentativen | |
Umfragen nahe, die von den Vereinen BürgerBegehren Klimaschutz und Mehr | |
Demokratie sowie der Initiative Klimaneustart Berlin in Auftrag gegeben | |
wurden. So antworteten bei einer der Umfragen 45 Prozent aller, die nicht | |
zur Abstimmung gegangen waren, sie hätten „am ehesten mit Nein“ gestimmt. | |
Ein Kreuz bei „Ja“ hätten nur 40 Prozent gemacht. | |
Ein weiteres Ergebnis, das die Organisationen diese Woche [2][im Haus der | |
Demokratie vorstellte]: Für den größten Teil der Befragten steht der | |
Klimaschutz selbst nicht zur Debatte – es ging ihnen tatsächlich um die | |
konkrete Frage, ob das Land per Gesetz verpflichtet werden sollte, sein | |
Klimaneutralitätsziel um ganze 15 Jahre vorzuziehen. Von den an der Umfrage | |
Beteiligten, die sich im März „enthalten“ hatten, indem sie zu Hause | |
blieben, sagten 80 Prozent, sie seien grundsätzlich für mehr Anstrengungen | |
beim Klimaschutz. Dasselbe gilt immerhin noch für 67 Prozent derer, die mit | |
Nein stimmten. | |
Der beim Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ zur Abstimmung gestellte | |
Gesetzentwurf hatte Ende März den Gefallen einer schmalen Mehrheit von 50,9 | |
Prozent gefunden (Nein: 48,7 Prozent). In Kraft treten konnte er dennoch | |
nicht, weil das notwendige Quorum einer Mindestzustimmung von 25 Prozent | |
der BerlinerInnen deutlich verfehlt wurde. Sprich: Statt mindestens 607.518 | |
Ja-Stimmen erhielt der Entwurf lediglich 442.210. | |
Im Vorfeld der Abstimmung hatte es heftige Auseinandersetzungen darüber | |
gegeben, ob die zeitliche Trennung des Volksentscheids von der | |
Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus einen Erfolg verhindern würde. | |
Dagegen sprachen schon vor den nun veröffentlichten Zahlen die Ergebnisse | |
vom 12. Februar: Damals gelang der CDU der Sprung zurück an die Spitze, das | |
konservative bzw. klimaskeptische Lager insgesamt konnte 42 Prozent der | |
Stimmen auf sich vereinen. Aber auch in den Reihen der damals noch | |
regierenden rot-grün-roten Koalition war das Ziel von „Berlin 2030 | |
klimaneutral“ alles andere als unumstritten. | |
## Eine andere Dynamik | |
Bei der auf die Präsentation der Zahlen folgenden Podiumsdiskussion im Haus | |
der Demokratie meldete Oliver Wiedmann, Berliner Büroleiter von Mehr | |
Demokratie e.V., gewisse Zweifel an dieser Theorie an: Zwar legten die | |
Ergebnisse vom Februar das nahe, aber bei einem kombinierten Wahlkampf wäre | |
„die Dynamik eine ganz andere gewesen. Insofern wissen wir es nicht genau.“ | |
Wiedmann warb für ein Ende der Mindestbeteiligung bei Volksentscheiden: „In | |
Bundesländern wie Bayern und Sachsen, die kein Quorum haben, sind die | |
Beteiligungen am höchsten – denn da kommt es dann drauf an.“ | |
Christoph Bautz von der Petitionsplattform Campact äußerte deutliche Kritik | |
an der Strategie der InitiatorInnen des Volksentscheids: Das Ganze in | |
dieser Form zu starten, sei „nicht geschickt“ gewesen: Die notwendigen | |
Maßnahmen in nur sieben Jahren durchzuführen, sei „nicht realistisch“ | |
gewesen, auch habe die Initiative auf keinen entsprechenden Plan verweisen | |
können. „Und dann hatten viele Leute Angst, dass sie sich die Folgen nicht | |
leisten könnten.“ Dass Angst den Diskurs bestimmt habe, sei auch an den | |
Grünen nicht spurlos vorübergegangen – die reihten sich bekanntlich erst | |
sehr spät und zögerlich ins Ja-Lager ein. | |
Bautz betonte, es sei wichtig, von Anfang an breite Bündnisse zu schmieden. | |
Andere Initiativen hätten es geschafft, Gewerkschaften, Sozialverbände oder | |
andere gesellschaftliche Akteure ins Boot zu holen, die dann „mit ihrem | |
jeweiligen Milieu gesprochen haben“. Bei Campact habe man sich ein anderes | |
Zieljahr gewünscht, etwa 2035: „Das wäre realistischer gewesen, da hätte | |
man dann auch die Umweltverbände, die Grünen und die Linke stärker | |
dabeigehabt.“ | |
Ein späteres Ziel für die Erreichung der Klimaneutralität sei aber genau | |
deshalb nicht möglich gewesen, sagte Michaela Zimmermann, Sprecherin der | |
Initiative Klimaneustart Berlin, die den Volksentscheid ins Leben gerufen | |
hat: „Das war ja das Ergebnis von Debatten, die wir geführt haben. Fridays | |
for Future haben gesagt: Unter 2030 unterstützen wir euch nicht.“ | |
Ein noch späteres Zieljahr wie 2040 habe man dagegen nie in Betracht | |
gezogen – auch wenn laut den nun vorgestellten Umfragen sich dann 32 | |
Prozent der mit Nein Stimmenden auf die Ja-Seite geschlagen hätten. Das | |
widerspreche einfach den wissenschaftlichen Erkenntnissen, so Zimmermann: | |
„Dafür wären wir nicht zwei Jahre auf die Straße gegangen.“ Man habe im | |
Übrigen auch um die Unterstützung von Sportverbänden oder Mietervereinen | |
geworben, aber dafür hätten oft die Ressourcen nicht gereicht: „Um das zu | |
vermitteln, muss man lange Klinken putzen. Die haben oft gesagt: Das ist | |
nicht unser Thema.“ | |
## Zu abstrakte Ziele | |
Die Zeit-Journalistin Vanessa Vu hatte nach dem verlorenen Volksentscheid | |
mit vielen Menschen in den äußeren Stadtteilen gesprochen, wo das „Nein“ | |
dominierte. Sie berichtete, auch dort befürworteten viele grundsätzlich | |
mehr Klimaschutz. Die Ziele des Entscheids seien aber in Teilen zu abstrakt | |
geblieben, gleichzeitig hätten viele das Projekt mit der „Letzten | |
Generation“ gleichgesetzt: „Es gab da die Wahrnehmung, dass Klimaschutz | |
eine ideologische, aktivistische Sache sei“, und gleichzeitig den Wunsch, | |
dass das Problem „technokratisch und nüchtern“ behandelt werde. | |
Das war wiederum ein Stichwort für Campact-Mann Christoph Bautz: Er finde | |
das Engagement und die praktizierte [3][Gewaltfreiheit der „Letzten | |
Generation“] zwar beeindruckend. „Aber wenn ich auf der Straße sitze und | |
Menschen blockiere, rein vom Bild her also sage: ‚Du bist schuld‘, dann | |
treibt das die Polarisierung voran. Man klebt sich vor die Leute, die dann | |
mit Nein stimmen.“ In die Zukunft gerichtet lautete Bautz’ Forderung, die | |
Bewegung solle ihre Aktionen stattdessen stärker gegen das reichste Prozent | |
der Gesellschaft und die Politik richten: „Wir müssen bei allem auch immer | |
die soziale Frage stellen.“ | |
20 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Volksentscheid-in-Berlin-scheitert/!5924254 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=JBqwWgFH0xI&t=12s | |
[3] /Klimaproteste-in-Berlin/!5935121 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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