# taz.de -- Tennis und die internationalen Konflikte: Politics Open | |
> Verweigerte Handschläge und merkwürdig formulierte Botschaften. Krisen | |
> und Kriege haben auch die French Open in Paris erreicht. | |
Bild: Besser vom Netz getrennt: Aryna Sabalenka (Belarus) und Marta Kostjuk (Uk… | |
Elina Svitolina ist eine gute Geschichtenerzählerin. Nach ihrem Sieg im | |
ersten Match bei den French Open in Paris, ihrem Comeback-Auftritt bei | |
einem der vier großen Grand-Slam-Turniere seit den Australian Open 2022, | |
sprach sie vor den Medien viel über ihre neue Rolle als Mutter. Auch | |
darüber, wie es so ist, sich als ehemalige Top-Ten-Spielerin nach einer | |
langen Baby-Pause wieder heranzukämpfen. [1][Svitolina], 28, war mal die | |
Nummer 3 der Frauenrangliste. Die Ehefrau des französischen Profis Gael | |
Monfils hat viele große Turniere gewonnen. Sie ist die erfolgreichste | |
Tennisspielerin der Ukraine und eine der bekanntesten ukrainischen | |
Sportlerinnen überhaupt. | |
Mit einem Lächeln sprach sie Mitte der Woche über ihre Rückkehr auf die | |
große Bühne. Aber dann verdunkelte sich ihre Stimmung. Wie so oft, wenn | |
Svitolina in letzter Zeit irgendwo auftrat, wurde sie auch im Stade de | |
Roland Garros nach den Auswirkungen des Krieges auf ihren Sport gefragt. | |
Sie wisse es nicht, wie sie es freundlicher umschreiben könne, fing | |
Svitolina an. Aber es würde gerade sehr viel „Müll“ rund um das Thema | |
produziert. Es wurde nicht ganz klar, was genau sie damit meinte, aber ihre | |
Botschaft transportierte sie dafür umso präziser: „Wir sollten uns auf das | |
konzentrieren, was gerade passiert, und dass die Menschen in der Ukraine | |
Hilfe brauchen.“ Dann folgte ein bemerkenswerter Appell, der an die gesamte | |
Tennisszene gerichtet war. Es sei jetzt an der Zeit, die Frauen und Kinder | |
in ihrem Heimatland zu unterstützen. Jene Frauen, die ihre Männer im Krieg | |
verloren hätten. Und die Kinder ihre Eltern. Und manche Kinder sogar ihre | |
Körperteile. Mit Tränen in den Augen und brüchiger Stimme forderte | |
Svitolina in Paris konkrete Hilfe für die Ukraine ein. Es ging ihr auch um | |
die richtige Priorisierung: weg vom Kleinkrieg auf dem Court, hin zu | |
Substanziellem, Spenden zum Beispiel. | |
Scharmützel gibt es in Paris fast regelmäßig. Vor allem abseits der Plätze. | |
Am Mittwoch spielte sich im Pressekonferenzraum 2 des Medienzentrums | |
Gespenstisches ab: Eine ukrainische Journalistin wollte von [2][Aryna | |
Sabalenka], Nummer 2 der Damen-Weltrangliste, wissen, warum sie sich nicht | |
klarer von einem Diktator wie den belarussischen Präsidenten Alexander | |
Lukaschenko distanzieren würde. Er sei doch ein Diktator, schob die junge | |
Frau nach. [3][Sabalenka], in Minsk geboren, ist eine der aufregendsten | |
Tennisspielerinnen auf der Tour. Bei den French Open gehört sie zum engsten | |
Favoritenkreis. Ihr Spiel ist spektakulär und wuchtig, abseits des Courts | |
ist sie eher defensiv unterwegs. „Sie werden keinen Kommentar von mir dazu | |
bekommen“, sagte sie zu der Frau, die mit zittriger Stimme nochmal | |
nachlegte. Sie, Sabalenka, würde immer nur sagen „wir sind gegen den | |
Krieg“, aber ob sie nicht mal nur für sich sprechen könne. Antwort | |
Sabalenka: siehe oben. Eine Offizielle forderte schließlich mit Nachdruck | |
die Rückgabe des Mikrofons von der Journalistin. | |
Der kleine Zwischenfall zeigt: Das zweite Grand-Slam-Turnier des Jahres ist | |
längst schon ein politisches Event. Und es sind die Spieler selbst, die den | |
French Open diese politische Ebene von Beginn an eingezogen haben. Die | |
Ukrainerin Marta Kostjuk verweigerte eben jener Aryna Sabalenka am ersten | |
Tag des Turniers nach ihrer Niederlage den Handschlag am Netz. Das Publikum | |
buhte Kostjuk daraufhin aus. Die Ukrainerin kritisiert seit Monaten die | |
öffentliche Zurückhaltung ihrer belarussischen und russischen Kolleginnen | |
in Bezug auf den Angriffskrieg in der U-kraine. Nach ihrem Match gab es | |
harte Worte von Kostjuk über das Verhalten der Zuschauer. | |
Nur zwei Tage nach der Aufregung um Kostjuk und Sabalenka sorgte Novak | |
Đoković für das nächste Unwohlsein bei den Veranstaltern. Wieder ging es um | |
Nicht-Sportliches. Der serbische Tennisstar nutzte seinen Auftaktsieg für | |
eine politische Botschaft. Nach dem Match schrieb der 22-malige | |
Grand-Slam-Turniersieger „Kosovo ist das Herz Serbiens. Stoppt die Gewalt!“ | |
auf die Linse einer TV-Kamera. Hintergrund seiner Aktion sind die jüngsten | |
Unruhen im serbisch dominierten Norden des Kosovo, bei denen es auch | |
Verletzte gab. Es ging um die Wahl neuer Bürgermeister in dieser Region. | |
Kosovo hatte sich 2008 für unabhängig erklärt. Serbien erkennt die | |
Eigenstaatlichkeit seiner einstigen Provinz nicht an, verlangt die | |
Rückgabe. | |
„Als Serbe tut es mir weh, was im Kosovo passiert, unsere Leute wurden | |
vertrieben“, sagte Đoković – dessen Vater im Kosovo geboren wurde – nach | |
seinem Match zu seiner Message. Öffentliche Äußerungen von politischen | |
Meinungen sind den Spielern auf der Tour untersagt. Würde Đoković nun also | |
eine Strafe bekommen oder gar vom Turnier ausgeschlossen werden? Für die | |
Entscheidungsfindung ließ sich der französische Tennisverband, der die | |
French Open ausrichtet, lange Zeit. Erst 24 Stunden später bekamen die | |
akkreditierten Journalisten in Paris eine Nachricht zugestellt, die | |
unkonkreter nicht hätte sein können. Ohne den Namen des Serben und den | |
Anlass zu nennen, teilte der FFT am Dienstagabend mit, dass es verständlich | |
sei, dass es „Diskussionen über internationale Nachrichtenevents“ bei einem | |
Turnier gebe. Bei allen Grand Slams gebe es die gleichen Regeln. Die Teams | |
jedes Spielers, den dies betreffe, würden entsprechende Botschaften | |
erhalten. | |
Es war eine kuriose Nicht-Meldung, die zeigt, wie schwer sich die | |
Verantwortlichen beim Tennis damit tun, Vorfälle abseits ihres Sports | |
geschickt und für alle nachvollziehbar einzuordnen. Auch die Frage nach dem | |
richtigen Umgang mit dem Ukraine-Krieg-Thema kriegt die Tennis-Familie, die | |
sich nach außen gerne als heile Welt präsentiert, nicht gelöst. Ein gutes | |
Beispiel ist dafür das Turnier in Wimbledon. Im vergangenen Jahr wurden | |
belarussische und russische Profis vom Turnier noch ausgeschlossen. 2023 | |
sind sie wieder dabei. Wie auch schon in Roland Garros ohne Ländernennung | |
hinter ihrem Namen und unter neutraler Flagge. Đoković hat vor Jahren | |
selber einmal gesagt, Sport müsse unpolitisch bleiben. Wie naiv dieser | |
Wunsch ist, zeigt sich gerade beim Tennis in Paris. | |
2 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Bellstedt | |
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