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# taz.de -- Das subjektive Alter: 60 ist die neue 40! So ein Quatsch!
> Ältere fühlen sich immer jünger. Das will eine neue Studie nun belegt
> haben. Unsere Autorin meint indes, das gefühlte Alter unterliege der
> Tagesform.
Bild: Wer cool ist, sieht die Spielchen mit der Verjüngung aus lässiger Dista…
Das Neueste zum Thema „Verjüngungsillusion“ kommt aus der Forschung:
„Forever young? Menschen im mittleren und höheren Alter fühlen sich jünger
als die Geburtsjahrgänge vor ihnen“ – so war die [1][Mitteilung] der
Humboldt-Universität betitelt. Befragungen über mehrere Jahrzehnte von
mehreren Kohorten haben ergeben, dass sich Menschen des Geburtsjahrgangs
1936, als sie im Alter von Mitte 60 waren, im Schnitt siebeneinhalb Jahre
jünger gefühlt haben, als sie sind, also wie 58. Wer aber 1946 geboren
wurde, der fühlte sich Mitte 60 schon neun Jahre jünger, also wie 56. Diese
Generation hatte auch eine höhere Lebenserwartung.
Je älter wir werden, desto mehr verjüngen wir uns im Geiste. Ein
interessantes Paradox. Das „subjektive Altern“ von später geborenen
Kohorten vollzieht sich „langsamer im Vergleich zu früher geborenen“, hei�…
es in der Mitteilung der Humboldt-Universität. In den Erhebungen wurden die
Leute gefragt: „Wie alt fühlen sie sich?“ – und danach das subjektive Al…
bestimmt.
Nun hat die Alterswahrnehmung auch damit zu tun, was man mit den Zahlen
verbindet. Die eigenen Eltern waren mit 65 alt in den Augen der
nachwachsenden Generation. Doch wenn man selbst dann 65 wird … Nein, 65!
Das kann nicht sein!
Doch, kann es. Im Alter fällt uns die eigene Altersdiskriminierung
sozusagen auf die Füße. Und sie setzt sich fort. Denn jetzt sind es
komischerweise vor allem die anderen, die so rapide altern. Himmel, wie alt
ist X. geworden, und Y. erst! So denkt man, wenn man die beiden 10, 20
Jahre nicht gesehen hat und nun auf einer Beerdigung wieder trifft. X. und
Y. denken aber leider das gleiche, wenn sie einen nach einem kurzen Moment
des Innehaltens hoffentlich doch wiedererkennen (Gott sei Dank!). Und wer
mal nicht erkannt wird, stellt sich mit vollem Namen vor wie eine Fremde:
„Hey, ich bin übrigens …“ Bitter, aber da muss man durch. Growing old is
not for sissies.
Wer cool ist, sieht die Spielchen mit der Verjüngung aus lässiger Distanz.
Überall wird ja gelogen und betrogen. In der Werbung, wenn alte Menschen
gezeigt werden sollen, haben die Frauen zwar graue Haare, aber ansonsten
glatte Gesichter und blendend weiße Zähne. Bei den Männern reichen graue
Schläfen, um dem Publikum die Botschaft zu vermitteln: Hey, das hier sind
Alte, pardon, Ältere! Dann diese Bezeichnungen aus dem Marketing: Silver
Ager, Golden Ager, Best Ager – dabei geht’s um Alte, Alter!
Doch es wäre echtes Spielverderben, wenn man die 60er und 70er jetzt mahnen
würde: Akzeptiert euer Alter! Schluss mit dem Verjüngungswahn! Denn es ist
schon ein tolles Gefühl, wenn man nach einer langen Wanderung im Schnee
nach Hause kommt, in den Spiegel schaut, das Gesicht gerötet und frisch und
denkt: Sieht fast wie früher aus! Tja, das Leben besteht aus Momenten.
Man kann mit den Alterszuschreibungen spielen. Wer mit 66 die
Nike-Kapuzenjacke herauskramt und den ausgeleierten Jeans-Mini anzieht, mit
schwarzen Leggins allerdings, kann sich auf dem Weg ins Café ein bisschen
wie früher fühlen, im lässigen Alles-ist-möglich-Vibe.
An anderen Tagen, wenn das Fußgelenk schmerzt und der Schlaf wieder
schlecht war, gestattet sich die 66-Jährige einen echten Omi-Tag, Leben wie
mit 80: Ein kleiner Spaziergang, Kontemplation im Park mit Vogelgesang,
vielleicht ein Haiku dichten? Am Abend ein Hörbuch, um die Augen zu
schonen. Ein Bild von grasenden Schafen an eine Freundin mailen.
Was sag ich, wenn jetzt jemand von der Forschung anruft und fragt: Wie alt
fühlen Sie sich? Ich sage: Kommt drauf an.
22 May 2023
## LINKS
[1] https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/april-2023/nr-23421-1
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Altersfeststellung
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Altern
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Senioren
Ferda Ataman
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